Was darf der Arbeitgeber bei Verdacht auf krankfeiern tun? „Jeder zehnte Arbeitnehmer feiert gelegentlich krank“ –

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So lautet die Schlagzeile bei „Capital“ vom 01.07.2023. Das Wirtschaftsmagazin fasst die Ergebnisse einer Umfrage von Harris Interactive im Auftrag von Glassdoor wie folgt zusammen:

„Jeder zehnte Arbeitnehmer in Deutschland feiert gelegentlich krank…Rund zehn Prozent der deutschen Arbeitnehmer machen gelegentlich blau. Das hat eine Umfrage von Harris Interactive im Auftrag von Glassdoor ergeben. Die Männer sind skrupelloser als Frauen. Vierzehn Prozent der Männer gaben an, dass sie planen, im kommenden Monat einen Tag krank zu feiern. Bei den Frauen waren es sechs Prozent. Blaumachen ist kein Kavaliersdelikt. Es kann zu Abmahnungen und im Wiederholungsfall auch zu Kündigungen führen, wenn der Arbeitgeber die Mitarbeiter überführt.“ Quelle Capital-Redaktion, online, 01.07.2023.

Arbeitgeber nicht wehrlos

Gegen diesen Missbrauch sind Arbeitgeber nicht wehrlos. Das veranschaulicht folgender Fall des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein, Urteil vom 02.05.2023, Aktenzeichen 2 Sa 203/22. Inhaltlich geht es um einen Sachverhalt, der so manchem Arbeitgeber in Deutschland bekannt sein dürfte. Arbeitnehmer kündigt und wird sodann krank und erscheint folgerichtig trotz Kündigungsfrist „von einem auf den anderen Tag“ nicht mehr zur Arbeit. Arbeitgeber sieht sich in einer scheinbar „ohnmächtigen Situation“ und zahlt die Vergütung gemäß Entgeltfortzahlungsgesetz. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hatte über einen solchen Fall zu entscheiden und hat im Sinne des Arbeitgebers die Zahlungsklage der Arbeitnehmerin zurückgewiesen.

Laut Gericht: Wortlaut des Kündigungsschreibens offenbart die Absicht der Arbeitnehmerin, mit Hilfe von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen die Kündigungsfrist zu überbrücken, obwohl die Arbeitnehmerin nicht krank ist

Wortlaut des Kündigungsschreibens der Arbeitnehmerin laut Gericht: „Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit kündige ich das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis vom 01.05.2019 unter Einhaltung der maßgeblichen gesetzlichen Kündigungsfrist von vier Wochen ordentlich und fristgerecht zum 15.06.2022. Nach meiner Rechnung stehen mir noch 11 Tage Urlaub von diesem Jahr zu und noch 6 Tage von letzten Jahr. Hiermit beantrage ich Urlaub vom 01.06.2022-15.06.2022 (11 Tage). Die restlichen Urlaubstage verrechnen sie bitte mit meiner letzten Gehaltsabrechnung. Bitte senden Sie mir eine Bestätigung des Erhalts dieses Briefes, meine Arbeitspapiere sowie ein qualifiziertes Arbeitszeugnis an die oben aufgeführte Adresse. Ich bedanke mich für die bisherige Zusammenarbeit und wünsche ihren Unternehmen alles Gute.“

„Der Text eines Kündigungsschreibens einer Eigenkündigung in Verbindung mit einer bereits kurz vorher eingereichten Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin sowie die Würdigung der Gesamtumstände nach einer Zeugenaussage des behandelnden Arztes können den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern“, Zitat: Amtlicher Leitsatz des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 02.05.2023.

LAG wie folgt feststellend: „Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet jedoch keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit…Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Die den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers (dazu bspw. BAG 26. Oktober 2016 – 5 AZR 167/16 – Rn. 18, BAGE 157, 102) oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben.“

Vorhalt des Gerichts: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen dauern „passgenau“ bis zum Ablauf der Kündigungsfrist

„Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin mit 5 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 15.06.2022 krankgeschrieben worden ist sowie der Inhalt des Kündigungsschreibens führen dazu, dass Zweifel an der Erkrankung der Klägerin entstanden sind, mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt.“

Vorhalt des Gerichts: Formulierung des Kündigungsschreibens offenbart, dass Arbeitnehmerin nicht mehr die Absicht hatte, in den Betrieb zurückzukehren

LAG: „Aus der Formulierung des Kündigungsschreibens ergibt sich, dass die Klägerin bereits am 05.05.2022 nicht die Absicht hatte, nochmals in den Betrieb zurückzukehren. Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen kann es nicht darauf ankommen, dass die Klägerin die Kündigung erst am 11.05.2022 im Betrieb abgegeben hat.“

Vernehmung des Arztes fällt zum Nachteil der Arbeitnehmerin aus

„Unter Würdigung der Gesamtumstände und der vorzunehmenden Beweiswürdigung ist die Kammer davon überzeugt, dass die Klägerin nicht erkrankt war…Bereits die Formulierung der Kündigung spricht gegen eine Erkrankung der Klägerin. Der Text des Kündigungsschreibens macht deutlich, dass die Klägerin nicht mehr im Betrieb der Beklagten erscheinen wollte und ihre Arbeitsleistung nicht erbringen wollte. Es ist bei den von der Klägerin geschilderten Magenschmerzen naturgemäß unmöglich bereits am 04.05.2022 zu wissen, dass man selbst bis zum 31.05.2022 erkrankt sein wird…“

Für das Gericht steht fest: Arbeitnehmerin war nicht erkrankt

„Die Klägerin hat dem Anraten ihres Arztes das Gespräch mit der Beklagten zu suchen, nicht befolgt. Sie hat sich dort nicht gemeldet, weil für sie bereits feststand, dass sie ihre Arbeit nicht wiederaufnehmen wird…Für die Kammer steht fest, dass die Klägerin ihrem Arzt Beschwerden vorgetragen hat, die tatsächlich nicht bestanden haben. Sie war nicht durch Krankheit an der Erbringung ihrer Arbeitsleistung verhindert. Ein Anspruch auf die Zahlung von Entgeltfortzahlung für die geltend gemachten Zeiträume besteht demgemäß nicht.“

Arbeitsrecht für Arbeitgeber heißt: Missbrauch im Betrieb nicht zuzulassen. Das dient schon allein der Aufrechterhaltung der Betriebsdisziplin im Betrieb. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dürften frustriert reagieren, wenn sie erkennen würden, dass Arbeitnehmer mit ihrem Missbrauch, gelegentlich einen Tag oder mehr "blau zu machen", nicht arbeitsrechtlich sanktioniert werden würden. Demzufolge ist der Arbeitgeber gut beraten, die Zahlung der Vergütung einzustellen. Darüber hinaus sollte eine Abmahnung ausgesprochen werden. Bei schwerwiegenden Fällen, das gilt vor allem dann, wenn der Verdacht "im Raum steht", dass der Arbeitnehmer wiederholt "blau macht", sollte grundsätzlich die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht gezogen werden. "Blau machen" heißt im rechtlichen Sinne, den eigenen Arbeitgeber bewusst täuschen; der Arbeitnehmer begeht einen Arbeitszeitbetrug, denn der Arbeitnehmer will seine Vergütung haben, obwohl er weiss, dass er nicht krank ist. Das ist Betrug.    

Rechtsanwalt Helmut Naujoks ist seit 25 Jahren ausschließlich als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht tätig. Haben Sie Fragen in Bezug auf den Kündigungsschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern? Rufen Sie noch heute Rechtsanwalt Helmut Naujoks an, Spezialist als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht. In einer kostenlosen und unverbindlichen telefonischen Ersteinschätzung beantwortet Rechtsanwalt Helmut Naujoks Ihre Fragen zum Kündigungsschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

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