Whistleblowing als Kündigungsgrund

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Mehr Schutz für Whistleblower oder doch ein Kündigungsgrund?

Die Arbeitswelt im 21. Jahrhundert entwickelt sich ständig weiter. Integrität und Verantwortlichkeit nehmen einen immer höheren Stellenwert ein. Dadurch wird das Konzept des Whistleblowings zunehmend wichtiger und ist von grundlegender Bedeutung für die Basis des gemeinsamen Arbeitens.

Doch was genau geschieht, wenn ein Beschäftigter Strafanzeige wegen Unregelmäßigkeiten im Betrieb erstattet? Ist dies ein hinreichender Grund für eine Kündigung? Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat kürzlich eine Entscheidung in einem Fall getroffen, der diese Fragen aufgreift und Antworten liefert. Das Urteil vom 15.08.2023 – 5 Sa 172/22 schauen wir uns nun genauer an.


Sachverhalt

Zuerst ein Einblick in den Fall: Eine Geschichte, die Aufsehen erregt hat. Es handelte sich um eine gemeinnützige Organisation, die sich um Kinder und Jugendliche mit besonderem Betreuungsbedarf gekümmert hat. Diese gerät in die Schlagzeilen, als die zweite Vorsitzende des Vereins eine Strafanzeige wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten gegen den Verein erstattet. Der Auslöser für diese Maßnahme war die Entdeckung von über 700 Bestellungen im Papierkorb des E-Mail-Postfachs der ersten Vorsitzenden des Vereins. Die Bestellungen konnten jedoch nicht dem Vereinszweck zugeordnet werden. Beide Betroffene, die Vorsitzende und ihre Stellvertreterin waren hauptamtlich angestellt. Sie hatten beide einen Arbeitsvertrag mit dem Verein.  

Die Reaktion des Vereins folgte unmittelbar. Es wurden eine außerordentliche und zwei ordentliche Kündigungen ausgesprochen. Die betroffenen Beschäftigten legten jedoch entschieden Klage gegen die Kündigungen ein.


Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat eine klare Entscheidung getroffen. Beide Kündigungen waren nicht rechtmäßig. Ein Arbeitnehmer, welcher in Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte die Staatsanwaltschaft einschaltet, begeht in der Regel keine Pflichtverletzung, welche eine Kündigung rechtfertigen würde.

Das Gericht hat hierzu klare Leitlinien definiert. Erstens darf eine Strafanzeige keine überzogene Reaktion seitens des Beschäftigten sein. Zweitens gilt die Regel, Hinweise auf strafbares Verhalten zunächst intern vorzubringen, nicht, wenn der Arbeitgeber selbst strafbare Handlungen begangen hat. Und drittens ist ein Beschäftigter nicht dazu verpflichtet, innerbetriebliche Klärungen vorzunehmen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass Abhilfe nicht zu erwarten ist.

Das LAG entschied jedoch, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der spezifischen Umstände des Falles gegen eine angemessene Abfindung aufgelöst werden sollte. Gemäß § 9 KSchG haben sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber das Recht, eine solche Auflösung zu beantragen. Der Arbeitgeber kann dies insbesondere dann tun, wenn die Kündigung im Prozess für unwirksam erklärt wird, jedoch Gründe vorliegen, die eine weitere Zusammenarbeit im Sinne der Betriebsinteressen nicht erwarten lassen.

Das LAG sah solche Gründe auch in diesem Fall, insbesondere aufgrund des persönlichen Konflikts zwischen der Klägerin und den Vertretern des Vereins. Das Gericht stellte fest, dass das Verhältnis zwischen der Klägerin und den Vereinsvertretern von persönlicher Feindschaft und internen Machtkämpfen geprägt war. Als Folge wurde der Klägerin eine Abfindung in Höhe von 9.000 Euro zugesprochen.

 

Fazit

In ähnlichen Fällen hätte das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) möglicherweise Kündigungen und die Auflösung des Arbeitsverhältnisses verhindert. Dieses Gesetz zielt darauf ab, Beschäftigten Schutz vor arbeitsrechtlichen Sanktionen zu bieten, wenn sie Missstände im Betrieb aufdecken. Dennoch galt bereits zuvor, dass Arbeitnehmer keine Pflichtverletzung begehen, wenn sie aus triftigen Gründen Strafanzeige gegen den Arbeitgeber erstatten. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung bleibt weiterhin unter den Voraussetzungen des § 9 KSchG möglich.

Es bleibt abzuwarten, ob sich die Anzahl der Auflösungen gegen Abfindung in Whistleblowing-Fällen erhöht. Denn die Frage, ob Whistleblower angemessen und ohne persönliche Feindschaft gegen den Arbeitgeber handelten, muss weiterhin in jedem Einzelfall geprüft werden.

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