Widerruf Autokredit - EuGH ermöglicht weitgehenden Widerruf - keine Verwirkung und kein Rechtsmissbrauch

  • 8 Minuten Lesezeit

Da ist er wieder - der Widerrufsjoker. Was die Gerichte bei Immobilienkrediten erheblich beschäftigt hat, wird nun für Autokredite nochmals und wieder zum Thema. Grundsätzlich können diese Kredite - im Gegensatz zu Immobilien - widerrufen werden, wenn bestimmte Angaben im Kreditvertrag fehlen. Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) den deutschen Gerichten klare Vorgaben gemacht - zugunsten der Autokäufer. Es wird nun leichter, seinen Autokredit zu widerrufen. 

LG Ravensburg begehrt auf

Alle vom EuGH entschiedenen Verfahren gehen auf sog. Vorlagefragen des Landgerichtes Ravensburg zurück. Nach Art. 267 AEUV kann ein nationales Gericht dem EuGH rechtliche Vorfragen vorlegen, wenn es meint, das z.B. durch nationale Vorschriften europäisches Recht verletzt ist. Es wird quasi in einem laufenden Verfahren dem Europäischen Gerichtshof die Frage gestellt, ob gewisse Vorschriften oder deren Auslegung durch die Gerichte mit dem europäischen Recht vereinbar sind. 

Dies hat das LG Ravensburg in drei Fällen getan (Aktenzeichen C-33/20, C-155/20 und C-187/20) . Konkret ging es um Kreditverträge der

  • Skoda Bank als Zweigniederlassung der Volkswagen Bank GmbH
  • Volkswagen Bank
  • BWM Bank GmbH

Im Kern ging es dem LG Ravensburg vereinfacht ausgedrückt um zwei Punkte: Zum einen ging es um die Frage, ob bestimmte Angaben in Kreditverträgen enthalten sein müssen, um den Autokäufer nach den Vorgaben des europäischen Rechtes ausreichend zu informieren und ob im Falle eines Widerrufes die Bank die immer wieder gern zitierten Aspekte der Verwirkung wegen Zeitablaufes und Rückführung und/oder des sog. Rechtsmissbrauches heranziehen darf, um einen Widerruf abzulehnen und die Rückzahlung zu verweigern. 

Insbesondere bei der Frage der Verwirkung hat sich das LG Ravensburg bzw. der vorlegende Richter den Unmut vieler deutscher Gerichte zugezogen, denn die Frage der Verwirkung war dem Grunde nach bis zum Bundesgerichtshof unstreitig, es ging letztlich immer nur um die Frage, wann genau eine Verwirkung in Betracht kommt. Die jetzigen Entscheidungen des EuGH in diesem Punkt sind bahnbrechend und bei den Gerichten dürfte dieser Einwand nun erledigt sein.

Was muss im Kreditvertrag angegeben werden? 

Der EuGH hat sich mit den - zugegebenermaßen - sehr formalen Angaben im Kreditvertrag dezidiert auseinandergesetzt. Diese sog. Pflichtangaben dienen aber nicht dem reinen Selbstzweck, sondern sie sollen es nach dem EuGH dem Kreditnehmer ermöglichen, die Tragweite und die Folgen seiner Willenserklärung einzuschätzen. Konkret ging es um folgende Angaben: 

Angabe zu verbunden Geschäften 

Im Kreditvertrag muss angegeben werden, dass es sich - wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen, was meist der Fall ist - zusammen mit dem Kaufvertrag des Fahrzeuges um ein verbundenes Geschäft handelt. Wörtlich heißt es in der Entscheidung C-187/20: 

"Die Information, dass zum einen der betreffende Vertrag einen „verbundenen Kreditvertrag“ im Sinne von Art. 3 Buchst. n der Richtlinie 2008/48 darstellt und zum anderen dieser Vertrag befristet geschlossen wird, ist aber für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung und erlaubt es ihm, seine Rechte und Pflichten tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen."

Konkreter Verzugszins ist anzugeben

Der EuGH verlangt weiter, dass für den Autokäufer nachvollziehbar angegeben werden müsse, wie hoch der konkrete Prozentsatz für Zinsen bei Verzug mit Raten - der Verzugszins - anzugeben ist und für den Anleger nachvollziehbar dargelegt werden muss, wie sich dieser ändern kann bzw. unter welchen Voraussetzungen sich dieser ändern kann. Nur so könne der Verbraucher erkennen, welche Folgen die Nichtzahlung von Raten hat. Der EuGH gibt sogar genaue Vorgaben, was anzugeben ist. Zum einen muss es für einen nicht juristisch gebildeten Verbraucher erkennbar und nachvollziehbar sein, wie sich der Verzugszins berechnet und es muss angegeben werden, wie häufig sich die grundlegende Berechnungsbasis - der sog. Basiszinssatz - ändert. Gerade letztere Angaben finden sich in Kreditverträgen eher selten. 

Nachvollziehbar Methode zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung ist anzugeben

Ferner hat der EuGH verlangt, dass die konkrete Methode zur Berechnung der Entschädigung im Falle einer vorzeitigen Rückführung des Darlehens - die sog. Vorfälligkeitsentschädigung - anzugeben ist. Das ist nun auch eigentlich für den Bundesgerichtshof nicht überraschend, denn zumindest bei Immobilienkrediten geht die Rechtsprechung des BGH in eine ähnliche Richtung. Interessant sind aber auch die Vorgaben des EuGH in den drei Verfahren: 

"Nach alledem ist auf die zweite Frage in den Rechtssachen C‑33/20 und C‑155/20 und die vierte Frage in der Rechtssache C‑187/20 zu antworten, dass Art. 10 Abs. 2 Buchst. r der Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen ist, dass im Kreditvertrag die Methode für die Berechnung der bei vorzeitiger Rückzahlung des Darlehens fälligen Entschädigung in einer konkreten und für einen Durchschnittsverbraucher leicht nachvollziehbaren Weise anzugeben ist, so dass dieser die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung anhand der in diesem Vertrag erteilten Informationen bestimmen kann."

Wir haben schon einige Berechnungen von Vorfälligkeitsentschädigungen gesehen und diese Vorgabe dürfte die Kreditinstitute vor nahezu unüberwindbare Hürden stellen. Praktisch verlangt der EuGH, dass der Kreditnehmer anhand der Angaben im Kreditvertrag selbst berechnen können muss, wie hoch eine Vorfälligkeitsentschädigung konkret ausfällt. Das dürfte für Banken zu einem Riesenproblem werden. 

Außergerichtliches Beschwerdeverfahren muss angegeben werden

Neben dem Weg zu einem Gericht gibt es bei den Banken auch außergerichtliche Beschwerdestellen bzw. Verfahren, an die sich Verbraucher im Falle von Problemen wenden können. Das schreiben die europäischen Vorgaben so vor. Allerdings sind auch hier nicht immer alle Angaben in den Kreditverträgen, die es dem Verbraucher ermöglichen, zu erkennen, wie ein solches Verfahren einzuleiten ist und mit welchen Kosten dies verbunden ist. 

Hierzu hat der EuGH ausgeführt, dass es nicht ausreicht, wenn auf die jeweilige Stelle im Internet oder ein anderes Dokument nicht ausreichend ist. 

Kein Einwand der Verwirkung durch die Bank

Den eigentlichen Zündstoff für Banken bringen dieser und der letzte Punkt. Quasi als letzte "Verteidigungslinie" haben die Banken oft eingewandt, die Widerrufsmöglichkeit sei durch Zeitablauf verwirkt. Verwirkt ist ein Recht immer dann, wenn es längere Zeit nicht geltend gemacht wird und die Gegenseite Dispositionen im Vertrauen darauf getroffen hat, der Widerruf würde nicht mehr erklärt werden. Vor allem dann, wenn die Kreditverträge länger als 3 Jahre liefen oder bereits zurückgeführt waren, wurde dieser Einwand oft erhoben. Der BGH hat dies grundsätzlich für zulässig erachtet, aber offen gelassen, wann Verwirkung in Betracht kommt. Das sei immer eine Frage des Einzelfalles. 

Das geht nun schlicht nicht mehr. Der EuGH führt hier ganz klar aus: 

"Daher ist auf die vierte Frage in der Rechtssache C‑155/20 und auf die siebte Frage in der Rechtssache C‑187/20 zu antworten, dass Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen ist, dass er es dem Kreditgeber verwehrt, sich gegenüber der Ausübung des Widerrufsrechts gemäß dieser Bestimmung durch den Verbraucher auf den Einwand der Verwirkung zu berufen, wenn eine der in Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen zwingenden Angaben weder im Kreditvertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden ist, unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte, ohne dass er diese Unkenntnis zu vertreten hat."

Das ist bitter für Banken. 

Kein Einwand des Rechtsmissbrauches

Wenn nichts mehr geht, geht immer noch "Treu und Glauben" bzw. § 242 BGB. Genau daraus haben nämlich die Banken versucht, einen Einwand gegen den Widerruf von Darlehen zu konstruieren. Sie argumentierten, dass der Widerruf mit der Begründung auf fehlende Pflichtangaben rechtsmissbräuchlich sei, da der Kreditnehmer sich eigentlich nur aus den zu hohen Zinsen befreien wolle. Der Einwand war von je her auch bei den deutschen Gerichten etwas schwierig und kam häufig nicht durch. 

Der EuGH hat nun in aller Deutlichkeit - damit es auch alle verstehen - ausgeführt: 

"Nach alledem ist auf die fünfte Frage in der Rechtssache C‑155/20 sowie auf die achte Frage in der Rechtssache C‑187/20 zu antworten, dass die Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen ist, dass der Kreditgeber im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 durch den Verbraucher keinen Rechtsmissbrauch annehmen darf, wenn eine der in Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen zwingenden Angaben weder im Kreditvertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden ist, unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte."

Auch das ist eine bittere Aussage für Banken. 

Folgen für Banken und Kreditnehmer

Die Folgen für Banken und Kreditnehmer könnten kaum größer sein. Neben den rein formalen Aspekten liegt die Sprengkraft der Entscheidungen darin, dass eine wesentliche Verteidigungslinie von Banken bei Widerrufen nahezu vollständig zerstört wurde. Natürlich wird man sich vor Gericht weiter darüber unterhalten, aber die Luft wird dünner für Banken. 

Für Kreditnehmer haben sich die Chancen hingegen deutlich verbessert. Neben zusätzlichen Pflichtangaben in Kreditverträgen, die meist fehlten, wird nun ein großer Unsicherheitsfaktor für Gerichtsverfahren aufgehoben - die Verwirkung und der Rechtsmissbrauch. Es war aus anwaltlicher Sich manchmal nur schwer zu prognostizieren, wie das Gericht mit diesem Einwand umgeht und manchmal gab es auch herbe Überraschungen vor Gericht. Diese Zeiten dürften nun vorbei sein. 

Unsicherheitsfaktor BGH? 

Bei aller Freude über diese deutlichen Aussagen sollte man das höchste Gericht Deutschlands auf dem Schirm haben. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Bundesgerichtshof (BGH) dem EuGH die Gefolgschaft verweigert und sich auf die nationale Gesetzgebung beruft bzw. dieser Vorrang einräumt. Es darf nicht vergessen werden, dass das LG Ravensburg quasi am BGH vorbei den EuGH angerufen hat. Ein wenig sauer dürfte das den Richtern des BGH schon aufstoßen. 

Gleichwohl kann nach unserer Auffassung der pauschale Einwand der Verwirkung und des Rechtsmissbrauches von Banken nun in diesen Fällen kaum erhoben werden. Wir gehen davon aus, dass die Entscheidung des EuGH die Vergleichsbereitschaft von Banken erhöhen dürfte. Sicher wird sich nicht jedes Gerichtsverfahren vermeiden lassen, aber die Chancen sind deutlich gestiegen. 

Was kann ein Anwalt beim Widerruf vom Autokredit tun? 

Wir können Ihnen sagen, ob Ihr Kreditvertrag von den Entscheidungen des EuGH überhaupt betroffen ist. Es ist zugegebenermaßen für Nichtjuristen nicht ganz einfach, die Entscheidungen des EuGH zu lesen. Das liegt an der Verfahrensordnung und dem Aufbau der Entscheidungen. 

Diese Prüfung lässt sich relativ schnell und kostenfrei erledigen, da dies durch den Blick in den Kreditvertrag geklärt werden kann. Nur dann, wenn die Entscheidungen übertragbar sind, macht es überhaupt Sinn, über ein weiteres Vorgehen nachzudenken. Die Folgen und die Kosten eines Verfahrens müssen dem möglichen Vorteil gegenüber gestellt werden. Das ist aber erst der zweite Schritt. 

Gern können Sie und über das unten stehende Kontaktformular oder unter 

Marc.Gericke@gericke-recht.de

kontaktieren. Eine erstes Gespräch ist immer kostenlos, aber selten umsonst. 



Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Marc Gericke

Beiträge zum Thema