Wie kann ein Ermittlungsverfahren beendet werden? Einstellung, Anklage, Strafbefehl

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Ein Strafverfahren ist belastend. Das steht außer Frage. Das Ziel ist es, es zu beenden und das möglichst mit einer für den Beschuldigten am wenigsten oder bestenfalls gar nicht einschneidenden Art.


Es gibt dabei verschiedene Punkte, an denen über den weiteren Verlauf des Verfahrens entschieden wird und verschiedene Arten, wie das Strafverfahren ein Ende finden kann.


Um dies zu verstehen, sollten wir zu aller Erst auf die verschiedenen Abschnitte eines Strafverfahrens blicken. Dieses besteht vereinfacht ausgedrückt in den folgenden Abschnitten:


1. Das Ermittlungsverfahren (die Staatsanwaltschaft ermittelt, sucht Beweise zusammen, um festzustellen, ob eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch)

2. Das Zwischenverfahren (das zuständige Gericht überprüft, ob nach aktuellem Erkenntnisstand eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch und entscheidet daraufhin über die Eröffnung des Hauptverfahrens)

3. Das Hauptverfahren, inkl. der Hauptverhandlung (in der Hauptverhandlung wird mündlich verhandelt, es findet eine Beweisaufnahme statt und am Ende kommt es zu einem Urteil. Eine Verurteilung wird ausgesprochen, wenn das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte der vorgeworfenen Tat schuldig ist)


Wir fokussieren uns im Folgenden auf das Ende des Ermittlungsverfahrens. Hier ist eine der ersten großen Weichenstellungen. Die Staatsanwaltschaft entscheidet hier zum Beispiel, ob sie Anklage erhebt, einen Strafbefehl erlässt, das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts einstellt oder von der Verfolgung aus einem der im Gesetz genannten Gründen absieht.

Ist ein Freispruch durch das Gericht am Ende des Strafverfahrens nicht besser als eine Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft?

Man könnte sich nun auf den Standpunkt stellen, dass ein Freispruch durch das Gericht am Ende des Strafverfahrens „mehr wert sei“, als eine „bloße“ Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren. Schließlich stellt der Freispruch ja fest, dass man unschuldig ist.

Mag sein. Allerdings ist diese Perspektive sehr einseitig. Zu beachten ist nämlich insbesondere der enorme Stress, der von einem Strafverfahren ausgeht. Das Strafverfahren schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Beschuldigten und kann sich dabei über viele Jahre hinweg ziehen.

Insbesondere heutzutage erfreuen sich Strafverfahren auch mehr und mehr medialer Aufmerksamkeit, da mithilfe des Internets und der sozialen Medien schnell und weitreichend eine Berichterstattung über ein Strafverfahren möglich ist. Auch eine derartige Öffentlichkeit einer ohnehin schon unangenehmen Situation, macht die Situation für den Beschuldigten nicht besser.


Ein Strafverfahren kann zudem auch schon vor einer Verurteilung beispielsweise berufliche Folgen mit sich bringen.


Es besteht für den Beschuldigten also in der Regel ein großes Interesse daran, das Strafverfahren möglichst früh zu beenden. Dies ist ein großer Nachteil beim Warten auf einen Freispruch. Es dauert Zeit.


Zudem ist auch an dieser Stelle auf den Satz „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“ hinzuweisen. Was in diesem Zusammenhang damit gemeint ist: So sehr man auch von seiner eigenen Unschuld überzeugt ist, so kommt es am Ende des Tages bzw. am Ende des Strafverfahrens auf die Überzeugung des Gerichts an. Man kann sich nie zu einhundert Prozent sicher sein, dass das Verfahren in einem Freispruch endet. Auch unter diesem Aspekt bietet es sich an, sich darum zu bemühen, das Verfahren möglichst früh zu einem Ende zu bringen.


Schlussendlich kommt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Ein guter Strafverteidiger wird Ihnen hier ein realistisches Bild über den weiteren Fortlauf des Verfahrens darlegt und eine entsprechende Verteidigungsstrategie angepasst an Ihren konkreten Fall erarbeiten.

Weichenstellung Nummer 1: Besteht hinreichender Tatverdacht, dass der Beschuldigte die Tat begangen hat?

Wie bereits angedeutet steht am Ende des Ermittlungsverfahrens im Kern die Frage, ob ein hinreichender Tatverdacht gegenüber dem Beschuldigten besteht oder nicht.

Der hinreichende Tatverdacht ist dann zu bejahen, wenn eine Verurteilung am Ende des Strafverfahrens wahrscheinlicher ist als ein Freispruch.

Dazu muss ein strafbares Verhalten vorliegen, welches auch beweisbar ist und es dürfen keine Prozesshindernisse vorliegen (die Tat darf z.B. noch nicht verjährt oder es darf nicht bereits zuvor zu einer Verurteilung wegen genau dieser Tat gekommen sein).


Wird der hinreichende Tatverdacht verneint, so stellt die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gem.  § 170 Abs.2 StPO ein.

Bejaht sie den hinreichenden Tatverdacht, so kann sie insbesondere Anklage erheben oder – abhängig insbesondere vom Tatvorwurf – einen Antrag auf Erlass eines Strafbefehls stellen.

Einstellungsmöglichkeiten bei Bejahung des hinreichenden Tatverdachts

Doch auch, wenn grundsätzlich ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, besteht die Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren.

Zu beachten ist dabei, dass es sich um Ermessensentscheidungen der Staatsanwaltschaft handelt. Die Einstellung des Verfahrens z.B. wegen Geringfügigkeit nach § 153 StPO ist kein zwingender Automatismus, sobald deren Voraussetzungen vorliegen. Vielmehr eröffnet sich damit eine Möglichkeit der Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts.

Aus prozessökonomischen Gründen (um Zeit und staatliche Ressourcen zu sparen), sind die Einstellungsmöglichkeiten aus Opportunitätsgründen aber in der Praxis kaum eine Seltenheit.

Absehen von der Verfolgung wegen Geringfügigkeit

Zunächst ist hierbei an das Absehen von der Verfolgung wegen Geringfügigkeit gem. § 153 StPO zu denken.

Dies ist von Vornherein nur bei Vergehen im strafrechtlichen Sinne möglich. Das sind solche Straftaten, deren Strafandrohung sich im Mindestmaß (also die Untergrenze der Strafandrohung) auf eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe unter einem Jahr beziehen. Hierzu zählt zum Beispiel eine einfache Körperverletzung, eine Beleidigung oder der Gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr.


Für ein Absehen von der Verfolgung wegen Geringfügigkeit ist gem. § 153 Abs.1 StPO zudem erforderlich, dass „die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre“ (hier wird ein Vergleich zu Vergehen gleicher Art gezogen), dass „kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht“ und gegebenenfalls (nicht in jedem Fall) dass das zuständige Gericht der Einstellung zustimmt.

Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen

Ein vorläufiges Absehen von der Erhebung einer öffentlichen Klage ist für die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts auch dann möglich, wenn zwar die Schuld des Täters nicht als gering anzusehen wäre, sondern „lediglich“ die Schwere der Schuld des Täters einer solchen Einstellung nicht entgegenstünde und die Erbringung von Auflagen und Weisungen das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung hinreichend befriedigen.

Hier ist also im Grunde der strafrechtliche Vorwurf stärker, allerdings noch in einem Maße, dass der  Vorwurf vereinfacht ausgedrückt, mit der Erfüllung von Auflagen und Weisungen „abgegolten werden kann“.


Solche Auflagen und Weisungen können zum Beispiel gem. § 153a Abs.1 StGB sein …

  • Zahlung eines Geldbetrags an eine gemeinnützige Organisation
  • Erbringung gemeinnütziger Leistungen
  • Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs
  • Bemühung um eine Schadenswiedergutmachung, eines Täter-Opfer-Ausgleichs


Die angeordneten Auflagen bzw. Weisungen müssen dann binnen einer bestimmten Frist erbracht werden.

Da der Beschuldigte bei einer Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO zu einer Mitwirkung (durch Erbringung von Auflagen bzw. Weisungen) verpflichtet wird, muss dieser Einstellung nicht nur das Gericht, sondern auch der Beschuldigte selbst, zustimmen.

Teileinstellung des Verfahrens bei mehreren Taten

Fällt eine Tat neben anderen vom Beschuldigten begangenen Taten nicht beträchtlich ins Gewicht, so besteht für die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, von der strafrechtlichen Verfolgung der Tat abzusehen (§ 154 Abs.1 StPO). Dies gilt gem. § 154 Abs.1 Nr.2 StPO auch, wenn nicht zu erwarten ist, dass zeitnah ein Urteil wegen einer Tat ergeht und deren Unrecht über die Bestrafung im Zusammenhang mit einer anderen Tag bereits hinreichend abgegolten ist.


Taten im prozessualen Sinne sind übrigens nicht einzelne Delikte, sondern ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, dessen Aufspaltung unnatürlich ist und der demnach gegebenenfalls auch aus mehreren Delikten bestehen kann (vgl. z.B. BGH, Beschluss v. 09.09.2020 – 2 StR 261/20).


Stiehlt zum Beispiel jemand etwas aus einem Laden und stößt bei seiner Flucht einen Tisch samt Vase um und geht diese zu Bruch, so hat er sich neben einem Diebstahl nach § 242 StGB auch wegen einer Sachbeschädigung nach § 303 Abs.1 StGB strafbar gemacht. Es handelt sich dabei aber um einen Vorgang, eine Tat im prozessualen Sinne.

Beschränkung der Verfolgung

Auch eine Beschränkung bezogen auf eine Tat (einen Vorgang) im Hinblick auf einzelne Delikte, die im Rahmen dieser Tat verwirklicht wurden, ist gem. § 154a StPO möglich, wenn einzelne Delikte nicht beträchtlich neben einer verhängten Strafe ins Gewicht fallen.

Kann das Verfahren nach dessen Einstellung wieder aufgenommen werden?

Das kommt auf die Art der Einstellung des Verfahrens an. Regelmäßig ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens möglich.

Wiederaufnahme nach einer Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts

Bei einer Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts gem. § 170 Abs.2 StPO ist beispielsweise  die Wiederaufnahme stets möglich, also beispielsweise wenn neue Erkenntnisse auftauchen oder grundsätzlich auch, wenn es zu einer Änderung in der Rechtsprechung im Hinblick auf eine Rechtsfrage kommt.

Dies konnte zum Beispiel im Zusammenhang mit der Strafbarkeit der Fälschung von Impfausweisen eine Rolle spielen. Hier war unklar, ob das Vorlegen eines gefälschten Impfausweises in einer Apotheke (in der Regel zur Erlangung eines digitalen Impfzertifikats) strafbar ist. Der Gesetzgeber reagierte schnell und änderte das Gesetz, um die Strafbarkeitslücke zu schließen. Der BGH äußerte sich gut ein Jahr später dazu, ob das Vorzeigen eines gefälschten Impfausweises in einer Apotheke schon vor der Gesetzesänderung strafbar war.

Näheres zu diesem Thema finden Sie hier.

Wiederaufnahme nach Einstellung gegen Auflagen und Weisungen

Wird von der Verfolgung gegen die Erfüllung von Auflagen und Weisungen eingestellt und werden vom Beschuldigten die erteilten Auflagen bzw. Weisungen auch fristgemäß erbracht, so kann zwar das Verfahren teilweise wieder aufgenommen werden, allerdings nicht, wenn sich der Vorwurf auf ein Vergehen bezieht. Ändert sich allerdings die Beurteilung (z.B. weil neue Beweise auftauchen) dahingehend, dass sich der Vorwurf nunmehr als Verbrechen (Delikt, das mit einer Mindeststrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist) darstellt, so kann das Verfahren trotz Erbringung der Leistungen wiederaufgenommen werden. Dies kann sich zum Beispiel daraus ergeben, dass ein vermeintlicher Diebstahl sich später doch als ein Raub darstellt (weil zur Begehung des Diebstahls Gewalt eingesetzt wurde).

Es ist ja die Entscheidung der Staatsanwaltschaft – Wie kann mir ein Strafverteidiger bezüglich der Einstellung des Strafverfahrens helfen?

Die Entscheidung, ob das Verfahren aus Opportunitätsgründen eingestellt wird, obliegt der Staatsanwaltschaft (und das Gericht) und natürlich nicht dem Beschuldigten oder seinem Verteidiger. Auch beantwortet die Staatsanwaltschaft (und das Gericht) die Frage, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt.

Allerdings kann der Strafverteidiger bestimmte Entscheidungen anregen und darlegen, aus welchen Gründen beispielsweise eine Einstellung nach § 170 Abs.2 StPO (fehlender hinreichender Tatverdacht) oder ein Absehen von der Verfolgung nach § 153 Abs.1 StPO (wegen Geringfügigkeit) geboten scheint. Daher empfiehlt es sich, bei Erhalt einer polizeilichen Vorladung oder auch sonst, wenn man davon erfährt, dass man Beschuldigter eines Strafverfahrens ist, sich an einen Anwalt für Strafrecht zu wenden. Dieser weiß, worauf zu achten ist und welche Umstände die Staatsanwaltschaft dazu bewegen könnten, das Verfahren einzustellen.

Hier kann es mitunter auf kleinste Feinheiten ankommen. Daher bedarf es eines geschulten Auges, sowohl einschlägiger beruflicher Erfahrung als auch Fachexpertise, um eine geeignete Verteidigungsstrategie zu entwickeln.





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