Wirecard AG: Wer haftet für Verluste aus Aktien und Anleihen?

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Nachdem die Wirecard AG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt hat, stellt sich Aktionären und Anleihekäufern die Frage, gegen wen und wie Verluste aus Wertpapierkäufen geltend gemacht werden können. Aktuell werden neben der Wirecard AG u. a. insbesondere der Vorstand sowie die Wirtschaftsprüfer als mögliche Haftende in Betracht gezogen. Der folgende Beitrag zeigt auf, welche Aspekte für ein Vorgehen gegen Haftende beachtet werden müssen.

1. Wirecard AG

a) Haftungsgrund der Wirecard AG

Grundsätzlich ist die Wirecard AG als Emittent der Aktien (WKN 747206) und Anleihen (WKN A2YNQ5) der erste „Ansprechpartner“ für den Ausgleich erlittener Verluste. Als Emittent ist die Wirecard AG verpflichtet gewesen, potentielle Wertpapierkäufer rechtzeitig über Tatsachen zu informieren, die sich auf den Kurs gehandelter Wertpapiere auswirken können.

Gegen diese Verpflichtung hat die Wirecard AG im Fall der zu Tage getretenen Bilanzmanipulationen offenkundig verstoßen. Dabei haftet die Wirecard AG auch für ein Fehlverhalten ihres Vorstands bzw. des Aufsichtsrats. Spätestens Ende Januar 2019 und zum 24.04.2019 aufgetauchte Vorwürfe über fragliche Erträge hätten Vorstand und Aufsichtsrat zu Untersuchungen veranlassen müssen. Aufgrund sorgfältiger Untersuchungen wären fehlende Belege für Umsatzerlöse aus dem Kreditkartengeschäft bereits frühzeitig (geschätzt ab Mitte Mai 2019) ersichtlich werden müssen. Anleger hätten in Kenntnis nicht belegter Umsatzerlöse vom Kauf von Aktien und Anleihen der Wirecard AG wegen dessen unklarer Vermögenslage Abstand genommen.

Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass Vorstandsmitglieder der Wirecard AG wesentliche Bilanzpositionen „von Anfang an“ manipuliert haben, haftet die Wirecard AG von diesem Zeitpunkt an. Dies kann sich nach derzeitigen Veröffentlichungen auch auf Erwerbe aus dem Jahr 2018 erstrecken.  

b) Welches Vorgehen ist sinnvoll?

Aktuell ist es sinnvoll, abzuwarten, wie sich das Insolvenzverfahren entwickelt. Sollte das Insolvenzverfahren eröffnet werden, so bietet es sich zunächst an, mit geringerem Aufwand Schadenersatzansprüche auf Rückabwicklung des Wertpapiererwerbs gegen die Wirecard AG im Insolvenzverfahren als Forderung anzumelden. Sollte der Insolvenzverwalter diese Forderungen anerkennen, erübrigt sich ein Klageverfahren gegen die Wirecard AG.

Die Forderungen auf Schadenersatz gegen die Wirecard AG zielen auf Rückabwicklung der Wertpapiererwerbe ab. Mithin nehmen auch getäuschte Aktionäre mit ihrer Schadenersatzforderung in einem Insolvenzverfahren die Stellung eines Insolvenzgläubigers wahr und nicht die eines Aktionärs (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 09.05.2005, Az. II ZR 287/02). Damit sind getäuschte Aktionäre an der Verteilung des Vermögens der Wirecard AG ebenso beteiligt wie sonstige Insolvenzgläubiger. Sie nehmen nicht die Stellung eines regulären Aktionärs ein, der lediglich am verbleibenden Vermögen nach Ausgleich aller Schulden beteiligt wird (vgl. § 271 AktG).  

Im Fall eines erforderlichen Klageverfahrens (z. B. wenn der Insolvenzverwalter oder die ggf. fortgeführte Wirecard AG Ansprüche ablehnen) ist mit einem Prozess nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz zu rechnen. Hier haben Anleger die Möglichkeit, Schadenersatzansprüche durch eine Klage oder zunächst lediglich durch eine günstigere Anmeldung von Schadenersatzansprüchen geltend zu machen.    

2. Vorstand und Aufsichtsrat

a) Haftungsgrund

Vorstand und Aufsichtsrat der Wirecard AG ist gemeinsam vorzuwerfen, trotz konkreter Hinweise spätestens seit dem 24. April 2019 keine hinreichenden Untersuchungen veranlasst zu haben.

Vorstand und Aufsichtsrat haften gegenüber Aktionären nur dann persönlich, wenn diesen der Vorwurf gemacht werden kann, dass diese eine Schädigung der Aktionäre bzw. Anleihekäufer in Kauf genommen haben. Der Umstand, dass Unterlagen im Rahmen der Sonderprüfung durch KPMG nur sehr verzögert vorgelegt worden sind, Datenbestände vorenthalten wurden, wesentliche Verträge keine Unterschriften aufwiesen und Geschäftsprozesse von schriftlichen Vereinbarungen abwichen, stützen den Verdacht der Manipulation der Bilanz von Vorstandsmitgliedern. Erkenntnisse darüber, dass Aufsichtsratsmitglieder in Manipulationen eingebunden gewesen sein können bzw. Aktionären und Anleihekäufern bewusst Verdachtsmomente vorenthalten haben, liegen aktuell noch nicht vor.

Anleihekäufer, die zur Zeit des Anleihekaufs gleichzeitig Aktionäre gewesen sind, haben zudem die Möglichkeit, gegen Vorstand und Aufsichtsrat persönlich für Verluste aus den Anleihen der Wirecard AG geltend zu machen. Beiden Organen ist vorzuwerfen, Anleihekäufer, die zur Zeit des Anleihekaufs gleichzeitig Aktionäre gewesen sind, durch mangelnde Kontrolle der Gesellschaft spätestens ab Anfang Mai 2019 geschädigt zu haben. Soweit Organe nicht vorsätzlich gehandelt haben, besteht die Möglichkeit, dass D&O-Versicherungen den Schaden aus Anleihekäufen von Aktionären abdecken.

b) Welches Vorgehen ist sinnvoll?

Wer es in Betracht zieht, gegen Vorstand und Aufsichtsrat persönlich vorzugehen, sollte berücksichtigen, dass auch die Wirecard AG bzw. weitere Gläubiger gegen diese Personen vorgehen könnten, so dass das Vermögen der betroffenen Personen derart betroffen sein kann, dass auch diese Insolvenz anmelden müssen. Insofern ist ein Vorgehen nicht risikolos.

3. Wirtschaftsprüfer

Eine Haftung des Wirtschaftsprüfers der Wirecard AG wegen eines fehlerhaft erstellten Jahresabschlusses ist für Aktionäre und Anleihekäufer wenig erfolgversprechend. Nach der Rechtsprechung des BGH haften Wirtschaftsprüfer für Pflichtverletzungen im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Prüfung von Jahresabschlüssen grundsätzlich nicht gegenüber den Aktionären (vgl. BGH, Urteil vom 02.04.1998, Az. III ZR 245/96), sondern nur gegenüber der Aktiengesellschaft (vgl. § 323 HGB).

Eine Haftung der Wirtschaftsprüfer gegenüber Kapitalanlegern kommt nur dann in Betracht, wenn der Prüfungsauftrag der Wirtschaftsprüfer eine Prüfung auch zugunsten der Kapitalanleger ausdrücklich für deren Interessen vorsieht (sogenannter „Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter“). Hiervon ist bei einem Prüfungsauftrags für eine gesetzliche Prüfung des Jahresabschlusses grundsätzlich nicht auszugehen. Ebenso wird man den Wirtschaftsprüfern nach aktueller Erkenntnislage im Zweifel (noch) nicht vorwerfen können, eine Schädigung von Aktionären und Anleihekäufern bewusst in Kauf genommen zu haben bzw. nachteilige Prüfergebnisse falsch oder nicht wiedergegeben zu haben (vgl. § 332 HGB). Insofern sind Vorschläge gegenüber Anlegern, die Wirtschaftsprüfer zu verklagen, mit Vorsicht zu genießen.

4. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 

Auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht haftet wegen unzureichender Kontrollen im Rahmen der Aufsichtstätigkeit nicht für Aufsichtsfehler. Eine solche Haftung hat der Gesetzgeber ausgeschlossen (vgl. § 4 Abs. 4 FinDAG sowie BGH, Urt. v. 02.06.2005, Az. III ZR 365/03; OLG Frankfurt am Main; Urteil. v. 06.02.2020, Az. 1 U 83/19).

5. Anlageberater und Vermögensverwalter

a) Haftungsgrund

Im Fall einer Empfehlung von Aktien der Wirecard AG durch Anlageberater hätte ein Anlageberater auf negative Presseberichte in der Wirtschaftspresse (insbesondere FAZ, Handelsblatt, Börsenzeitung) über Vorgänge bei der Wirecard AG hinweisen müssen. Wenn dies unterblieben ist, kommt eine Haftung wegen fehlerhafter Anlageberatung in Betracht. Vermögensverwalter, die Aktien im Rahmen der Vermögensverwaltung unter Missachtung der sich aus Presseberichten ergebenden Risiken für das Vermögensportfolio erworben haben, können ebenso haften, wenn die Aktienerwerbe gegen die Anlagerichtlinien der Vermögensverwaltung verstoßen.

b) Welches Vorgehen ist sinnvoll?

Entscheidend für ein Vorgehen in Gestalt eines außergerichtlichen Vorgehens bzw. einer Klage ist auch hier der Zeitpunkt der Beratung bzw. der Erwerbe. Hier ist der konkrete Einzelfall entscheidend. Sollte eine Haftung bejaht werden können, steht ein solventer Haftungsgegner zur Verfügung.

6. Analysten

Eine Haftung für Aussagen in Wertpapieranalysten kommt gegenüber der Allgemeinheit für Wertpapierkäufe nicht in Betracht. Hiergegen bestehen grundsätzliche rechtliche Bedenken. Etwas anderes kann gelten, wenn mit dem Unternehmen, welches die Analyse erstellt hat, ein Vertragsverhältnis besteht. Aber auch hier ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, bevor man eine Haftung bejaht.

7. Zusammenfassung

Im Ergebnis wird man sich derzeit wegen eingetretener Verluste aus Aktien und Anleihen auf die Wirecard AG bzw. den Vorstand und den Aufsichtsrat und ggf. auf Anlageberater bzw. Vermögensverwalter als Haftende beschränken müssen.

Die Kanzlei 2vier2 ist auf Vertretung von Aktionären in Kapitalmarktstreitigkeiten spezialisiert. Entsprechend hat Rechtsanwalt Philipp Neumann bereits Aktionäre gegen die Telekom AG, IKB AG, HRE sowie die Volkswagen AG zum Vorwurf der Fehlinformation des Kapitalmarktes vertreten. Bei Fragen wenden Sie sich entweder telefonisch bzw. per E-Mail an Rechtsanwalt Philipp Neumann.



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