Wirecard meldet Insolvenz an: Kann man Aktienverluste geltend machen?

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Mit dem Insolvenzantrag des DAX-Unternehmens Wirecard AG endet der Verdacht der Bilanzfälschung im absoluten Desaster. Für viele Aktionäre, die davon ausgegangen sind, dass sich die Gerüchte um Bilanzunregelmäßigkeiten als unbegründet herausstellen, stellt sich nun die Frage nach der Erstattung ihrer Verluste. Der folgende Beitrag klärt über die Rechtslage auf.

Anspruchsgegner für die Erstattung möglicher Verluste sind grundsätzlich die Wirecard AG selbst bzw. rechtswidrig handelnde Organe.  

Welche Ansprüche bestehen gegen die Wirecard AG?

Aktionäre haben als Gesellschafter und Kapitalgeber der Wirecard AG nur dann die Möglichkeit, Verluste gegen die Wirecard AG geltend zu machen, wenn ein Anspruch auf Rückabwicklung des Aktienkaufs besteht. Der Wirecard AG ist vorzuwerfen, dass sie den Kapitalmarkt nicht rechtzeitig über die Bilanzunregelmäßigkeiten in Kenntnis gesetzt hat. Vielmehr kommunizierte die Wirecard AG von Anfang an und insbesondere im März 2020 unter Verweis auf die Sonderprüfung, dass keine Erkenntnisse vorgelegen hätten, die auf eine fehlerhafte Bilanz schließen lassen. Nunmehr hat sich das absolute Gegenteil herausgestellt: es fehlen wesentliche Bilanzpositionen. Die Geschwindigkeit, mit der sich der seit Mai 2019 aufgeworfene Verdacht nunmehr in Tatsachen gewandelt hat, stellt die vorangegangene verzögerte Information des Kapitalmarkts erheblich in Frage. Der Verdacht der bewussten Falschinformation des Kapitalmarktes steht im Raum.

Die Wirecard AG ist als DAX-Unternehmen zur regelmäßigen Berichterstattung und Information des Kapitalmarktes verpflichtet. In Anbetracht der erfolgten Fehlinformationen bzw. verschwiegener Tatsachen kommen Schadenersatzansprüche gegen die Wirecard AG nach §§ 97, 98 WpHG, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 331 HGB sowie nach § 826 BGB wegen Kursbetrugs in Betracht. Sämtliche Ansprüche ermöglichen eine Rückabwicklung des Aktienkaufs und damit den Anspruch auf Erstattung von Verlusten. 

Sollte die Wirecard AG im Rahmen des Insolvenzverfahrens abgewickelt werden, steht Aktionären der Anspruch auf Schadenersatz als Insolvenzforderung zu. Sollte die Wirecard AG nicht abgewickelt werden, bleibt sie "vollwertiger" Anspruchsgegner.

Inwieweit haftet der Vorstand der Wirecard AG persönlich?

Daneben kommt als Anspruchsgegner der Vorstand der Wirecard AG in Betracht, sofern diesem persönlich u. a. der Vorwurf des Kursbetruges nach § 826 BGB, also der wissentlichen Falschinformation des Kapitalmarktes per Ad-Hoc-Mitteilung, gemacht werden kann. Entscheidend für ein Vorgehen gegen den Vorstand wird sein, inwieweit dieser über hinreichend Vermögen verfügt, um Ansprüche ggf. mehrerer Aktionäre bzw. der Wirecard AG selbst auszugleichen. Der Vorwurf der vorsätzlichen Schädigung der Aktionäre schließt ein Eintreten der D&O-Versicherung des Vorstands zum Ausgleich solcher Schäden regelmäßig aus.

Haftung weiterer Beteiligter?

Es lässt sich nicht ausschließen, dass weitere Vorstandsmitglieder bzw. der Aufsichtsrat als auch der Wirtschaftsprüfer EY zu haften haben. Hier ist aber je nach konkreter Sachlage zu prüfen, ob sich die Haftung nicht auf eine solche gegenüber der Wirecard AG beschränkt oder eine Haftung auch gegenüber Aktionären in Betracht kommt. Je nach Pflichtenumfang und der Qualität von Verstößen hiergegen lässt sich eine Haftung nicht ausschließen. Eine solche aktuell zu bejahen, wäre aber zu verfrüht und ist von der weiteren Erkenntnislage abhängig.

Haftet der Staat bzw. die BAFin?

Im Fall einer Insolvenz auf dem Kapitalmarkt wird gerne der Vorwurf bemüht, dass der Staat bzw. die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gegenüber Anlegern bzw. Aktionären zu haften hat. Rechtliche Schritte in diese Richtung blieben bislang erfolglos. Die zuständige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht nimmt ihre Aufgaben nach § 4 Abs. 4 FinDAG nur im öffentlichen Interesse wahr, so dass eine Haftung dieser gegenüber Einzelnen bereits gesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Urt. v. 02.06.2005, Az. III ZR 365/03; OLG Frankfurt/M.; Urt. v. 06.02.2020, Az. 1 U 83/19).

Welche Transaktionen sind Gegenstand der Schadenersatzansprüche?

Ein Schaden nach §§ 97, 98 WpHG, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 331 HGB sowie nach § 826 BGB kommt ab dem Zeitpunkt in Betracht, ab dem der Aktionär Aktien in Unkenntnis der wahren Sachlage (hier die Falschbilanzierung bzw. der Verdacht) erworben hat und die Wirecard AG gleichzeitig zur Meldung dieses Verdachts verpflichtet gewesen ist. In Anbetracht erster Verdachtsmomente im April 2019 wird man Transaktionen ab April 2019 bis 18.06.2020 um 10:42 Uhr für eine Haftung heranziehen können.

Bis wann muss man spätestens tätig werden?

Schadenersatzansprüche verjähren frühestens zum 31.12.2023.

Die Kanzlei 2vier2 ist auf Vertretung von Aktionären in Kapitalmarktstreitigkeiten spezialisiert. Entsprechend hat Rechtsanwalt Philipp Neumann bereits Aktionäre gegen die Telekom AG, die IKB AG, die HRE AG sowie die Volkswagen AG zum Vorwurf der Fehlinformation des Kapitalmarktes vertreten. Bei Fragen wenden Sie sich entweder telefonisch (069-770394690) bzw. per E-Mail (neumann@kanzlei-2vier2.de) an Rechtsanwalt Philipp Neumann.



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