Abrufarbeit: Schwankende Abrufe ändern die zu vergütende Arbeitszeit in der Regel nicht

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Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Oktober 2023, Aktenzeichen 5 AZR 22/23


Der 8-Stunden-Arbeitstag, eine Errungenschaft der Gewerkschaften des späten 19. Jahrhunderts, etablierte die 40-Stunden-Arbeitswoche an fünf Tagen als Norm. Doch branchen- und aufgabenspezifisch benötigen viele Arbeitgeber heute flexiblere Arbeitszeitmodelle. Bei der Ausgestaltung und Überprüfung von Arbeitsverträgen stellt sich daher häufig die Frage, wie flexibel die Arbeitszeit geregelt werden kann.


Gleitzeit, Arbeitszeitkonto & Abrufarbeit - Modelle flexibler Arbeitszeit


Gleitzeit ist ein Modell, mit dem feste und flexible Arbeitszeit kombiniert wird. Ein Zeitrahmen, innerhalb dessen die Arbeit erbracht werden muss (Gleitzeitrahmen, z.B. von 6 Uhr bis 20 Uhr), wird festgelegt und innerhalb dieses Rahmens kann der Arbeitnehmer mehr oder weniger frei über die Lage der Arbeitszeit bestimmen. Der Arbeitgeber kann hierbei Zeiten vorgeben, in denen der Arbeitnehmer (Kernzeit) oder ein bestimmter Arbeitsbereich   (Funktionszeit) erreichbar und arbeitsfähig sein mussIn beiden Fällen legt der Arbeitgeber oft fest, dass sowohl Minus- als auch Plusstunden möglich sind, jedoch innerhalb bestimmter Grenzen - z.B. 10 Minusstunden und 40 Plusstunden - und dies auch nicht geplant, denn das  Arbeitszeitsaldo soll grundsätzlich ausgeglichen sein. Im Gegensatz dazu werden Plus- oder Minusstunden in Arbeitszeitkonten bewusst über bestimmte Zeiträume saldiert; ein ausgeglichenes Arbeitszeitkonto ist also erst am Ende des vereinbarten Zeitraums, der auch mehrere Jahre betragen kann, zu erreichen. Je nach Vereinbarung kann das Arbeitszeitkonto zu diesem Zeitraum auch ein Zeitguthaben ausweisen, welches der Arbeitnehmer z.B. für eine berufliche Auszeit oder den Vorruhestand nutzen kann. Da eine Zeitschuld mit dem Gehalt verrechnet werden kann, muss ein Arbeitszeitkonto im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden, hierbei sollte unbedingt auch der Umfang an mögliche Plus- und Minusstunden, deren Definition und die Verrechnung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses geregelt sein.


Eine andere arbeitgeberseitige Flexibilisierungsmöglichkeit stellt Abrufarbeit dar. Mit einer entsprechenden Vereinbarung im Arbeitsvertrag kann der Arbeitgeber Arbeitszeit flexibel abrufen § 12 Abs. 1 Satz 1, 2 TzBfG). Wichtige Regelungen dabei sind:


- Ankündigungspflicht von vier Tagen im Voraus (§ 12 Abs. 2 TzBfG), sonst besteht keine Arbeitspflicht,

- Mindestdauer pro Einsatz drei aufeinanderfolgende Stunden, wenn nicht anders vereinbart, (§ 12 Abs. 1 S. 4 TzBfG).

- Bei wöchentlicher Mindestarbeitszeit darf der Arbeitgeber bis zu 25 Prozent zusätzlich abrufen (§ 12 Abs. 2 S. 1 TzBfG); bei Höchstarbeitszeit bis zu 20 Prozent weniger (§ 12 Abs. 2 S. 2 TzBfG).


Die arbeitsvertragliche Klausel "Die Anzahl der Arbeitsstunden richtet sich nach den betrieblichen Bedürfnissen" ist unzulässig. Falls keine Regelung zum Volumen der Arbeitszeit existiert, legt das Gesetz fest, dass 20 Stunden wöchentliche Arbeitszeit vereinbart sind (§ 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG). Hat der Arbeitgeber weniger Zeit abgerufen, muss er dennoch diese 20 Wochenstunden vergüten, bei mehr abgerufener Arbeitszeit muss er die gesamte abgerufene Zeit vergüten.


Der Fall: Schwankende Abrufe führen nicht zu einer Anpassung der Arbeitzeit


In einem kürzlich vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall klagte eine „Abrufkraft“ ohne geregelte Arbeitszeit, deren Arbeitgeber in den vergangenen zwei Jahren deutlich weniger Arbeitszeit abgerufen hatte als in den Jahren zuvor, auf Feststellung, dass ihre Arbeitszeit die in der Vergangenheit abgerufene Dauer von knapp 24 Wochenstunden betrage.


Das Bundesarbeitsgericht wies die Klage in diesem Punkt ab (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Oktober 2023, Aktenzeichen 5 AZR 22/23). Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die oben erläuterte fingierte Arbeitsdauer von 20 Wochenstunden grundsätzlich auch dann gilt, wenn das Abrufverhalten des Arbeitgebers sich ändert, jedenfalls wenn es sich um einen lange nach Beginn des Arbeitsverhältnisses liegenden und scheinbar willkürlich gegriffenen Zeitraum handelt. Eine stillschweigende Änderung der Arbeitszeit kann allenfalls angenommen werden, wenn die fingierte Arbeitszeit keine sachgerechte Regelung darstellt und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten bei Vertragsschluss bei Kenntnis der Regelungslücke eine höhere oder niedrigere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbart. Für eine solche Annahme sah das Gericht jedoch keine Anhaltspunkte.


Fazit


Das Urteil unterstreicht, dass auch bei Änderungen im Abrufverhalten des Arbeitgebers die gesetzliche Regelung von 20 Wochenstunden konsequent gilt. Um Unklarheiten zu vermeiden, sollten klare und gesetzeskonforme Regelungen im Arbeitsvertrag für Abrufarbeit getroffen werden.



Weitere Hinweise zum Thema und zum Urteil können Sie in der Langversion unseres Blogbeitrags unter diesem Link nachlesen.




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