Arbeitgeber sind bei Betriebsschließung nicht zur Lohnfortzahlung verpflichtet

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Überraschung aus Erfurt: Arbeitgeber sind laut Bundesarbeitsgericht (BAG) bei Betriebsschließung durch Lockdown nicht zur Lohnfortzahlung verpflichtet

Von Rechtsanwalt & Fachanwalt für Arbeitsrecht Jens-Arne Former und Wiss. Mit. Dipl.-Jur. Vanessa Förster, LFR Wirtschaftsanwälte München

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die behördlich angeordnete Betriebsschließung kann nicht dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers zugerechnet werden.
  • Der Arbeitnehmer hat somit keinen Lohnfortzahlungsanspruch aus §§ 611a, 615 S. 1, S. 3 BGB.
  • Die durch diese Lohneinbußen verursachten Nachteile für Arbeitnehmer können durch Kurzarbeitergeld abgemildert werden.
  • Es ist zu empfehlen, dass Arbeitgeber die Vereinbarung von Kurzarbeit anbieten. Aber auch Arbeitnehmer sollten sich gezielt an ihre Arbeitgeber wenden.

Problemstellung

Nachdem die Corona-Pandemie in den Sommermonaten an Stärke verloren hat, werden mit den steigenden Fallzahlen nun erneut mögliche Maßnahmen diskutiert, um der hohen Inzidenz entgegenzuwirken. Mehrfach wurde in einer solchen Situation das öffentliche Leben durch die Anordnung eines Lockdowns heruntergefahren. Ein solcher ist jedoch nicht nur ein einschneidender Eingriff in das Privatleben der Bevölkerung, sondern bringt auch Nachteile für viele Branchen mit sich. Zahlreiche Betriebe mussten aufgrund der behördlichen Anordnung schließen. Insbesondere die Gastronomie sowie viele weitere Betriebe im Dienstleistungsbereich waren betroffen. Die Betriebsschließungen hatten konsequenterweise auch Auswirkungen auf bestehende Arbeitsverhältnisse. Vor dem Hintergrund der aktuell hohen Fallzahlen sowie der neuen, noch weitgehend unbekannten Virusvariante Omikron lassen weitere Maßnahmen nur auf sich warten. Clubs sowie Diskotheken wurden bereits geschlossen.

Sollte es tatsächlich erneut zu behördlich angeordneten Betriebsschließungen kommen, sehen sich Arbeitgeber insbesondere mit der Frage konfrontiert, ob sie in einer solchen Situation die Pflicht trifft, dem Arbeitnehmer weiter Lohn zahlen zu müssen. Gerade mit dieser Frage befasste sich das BAG in seiner Entscheidung vom 13.10.2021, Az. 5 AZR 211/21 und ordnete die arbeitsrechtlichen Grundsätze in den aktuellen Kontext ein.

Der Lohnfortzahlungsanspruch aus § 615 S.1 BGB

Im Rahmen des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmer vorleistungspflichtig. Dies ergibt sich bereits aus § 614 S. 1 BGB, wonach der Dienstleistende seine Leistung zu erbringen hat, bevor er seine Vergütung verlangen kann. Diese Pflicht ist auch bekannt unter dem Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“. Dieser gilt jedoch nicht ohne Einschränkungen. Vor dem Hintergrund, dass der Arbeitnehmer regelmäßig auf seinen Lohn angewiesen ist, würde die strikte Anwendung dazu führen, dass der Arbeitnehmer in bestimmten Situationen ungerechtfertigt benachteiligt würde. Eine dieser Situationen erfasst § 615 S. 1 BGB. Die Norm regelt einen Lohnfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers für den Fall, dass er zwar seine Arbeitsleistung erbringen kann, der Arbeitgeber diese jedoch nicht annimmt. Bestünde die Ausnahme von Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ in Form des § 615 S. 1 BGB nicht, würde dem leistungswilligen Arbeitnehmer kein Lohn zustehen.

Hochaktuelles Problem: Lohnanspruch bei Betriebsschließung durch angeordneten Lockdown?

Im Zusammenhang mit der Situation einer behördlich angeordneten Betriebsschließung spielt § 615 S. 3 BGB eine zentrale Rolle. Danach steht dem Arbeitnehmer ein Lohnfortzahlungsanspruch nach § 615 S. 1 BGB auch dann zu, wenn der Arbeitgeber ohne eigenes Verschulden aus betriebstechnischen Gründen seine Arbeitnehmer nicht beschäftigen kann. Dem Arbeitgeber wird hier das sogenannte Betriebsrisiko zugesprochen, sodass er in einem solchen Fall einzustehen hat. Vor dem Hintergrund des hochaktuellen Problems behördlich angeordneter Betriebsschließungen tritt die Frage auf, ob auch eine solche Anordnung noch in die Risikosphäre des Arbeitgebers fällt oder nicht. Dies ist entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weiter Lohn nach § 615 S. 1, S. 3 BGB zu zahlen hat.

Das BAG hat nun einen solchen Fall entschieden und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die behördlich angeordnete Betriebsschließung gerade nicht mehr dem Risikobereich des Arbeitgebers zugeschrieben werden kann.

Zugrundeliegender Sachverhalt der Entscheidung des BAG, Az. 5 AZR 211/21

Gegenstand der Entscheidung war eine Auseinandersetzung zwischen einer geringfügig Beschäftigten und deren Arbeitgeber, welcher ein Ladengeschäft betrieben hatte. Im Zuge weiterer Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie erließ Bremen eine Allgemeinverfügung, welche unter anderem die Schließung von Betrieben anordnete, bei welchen es sich nicht um notwendige Einrichtungen zur Versorgung der Bevölkerung handelte. Nachdem auch der Betrieb des Beklagten geschlossen werden musste, konnte die Klägerin nicht arbeiten. Da der Arbeitgeber für diese Zeit keinen Lohn gezahlt hatte, verklagte sie diesen und forderte den ausstehenden Lohn vor dem Hintergrund des Lohnfortzahlungsanspruchs nach §§ 611a, 615 S. 1, S. 3 BGB.

Entscheidung der Vorinstanzen: Angeordnete Betriebsschließung ist Betriebsrisiko

Sowohl das AG Verden (Urt. v. 29.09.2020 – 1 Ca 391/20) als auch das LAG Niedersachsen (Urt. v. 23.03.2021 – 11 Sa 1062/20) kamen zu dem Ergebnis, dass auch eine behördlich angeordnete Betriebsschließung dem Risiko des Arbeitgebers zuzuordnen ist.

Wesentlich war dabei, dass der Arbeitgeber für die Organisation des Betriebs verantwortlich sei und somit auch die Verantwortung für diese zu tragen habe. Die gegenständliche Streitigkeit unterscheide sich daher nicht von den bisher entschiedenen Fällen und verwies auf die bisherige Rechtsprechung des BAG. Das LAG betonte insbesondere den Charakter des § 615 BGB, wonach dieser gerade die Gefahrtragung regle. Unerheblich sei dabei die Frage, ob der Arbeitgeber die Leistung nicht annehmen könne oder nicht annehmen wolle. Es machte auch seinen Standpunkt hinsichtlich der Beschäftigungsart der Klägerin deutlich. Durch die geringfügige Beschäftigung erhalte der Arbeitgeber hinreichende wirtschaftliche Vorteile, die sich im Betriebsrisiko spiegeln (müssten).

BAG: Hoheitlicher Eingriff als Ursache der Unmöglichkeit

Eine gänzlich andere Ansicht vertrat nun das BAG und überraschte mit seiner Entscheidung, dass der Arbeitgeber wegen der angeordneten Betriebsschließung gerade nicht zur Lohnfortzahlung verpflichtet sei:

„Der Arbeitgeber trägt auch nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn – wie hier – zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen durch behördliche Anordnung in einem Bundesland die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden.“[1]

Die Ursache der Unmöglichkeit der Arbeitsleistung war vielmehr im hoheitlichen Eingriff durch die erlassene Allgemeinverfügung zu sehen. Betriebstechnische Gründe, welche den Lohnfortzahlungsanspruch nach §§ 611a, 615 S.1, S. 3 BGB begründen, könnten gerade nicht in einer behördlichen Anordnung gesehen werden. Eine solche kann dem Arbeitgeber nicht zugerechnet werden.

Zuständigkeit des Staates für Zahlung eines etwaigen Ausgleichs

Das BAG machte außerdem deutlich, dass nicht der Arbeitgeber, sondern vielmehr der Staat zuständig sei, um Arbeitnehmern einen entsprechenden Ausgleich für den Lohnausfall im Zuge der Betriebsschließung zu gewähren. Möglich sei dies etwa durch die Zahlung von Kurzarbeitergeld.

Kontext der Entscheidung des BAG

Wird Kurzarbeit in einem Betrieb eingeführt, hat dies zur Folge, dass die Arbeitszeit vorläufig reduziert wird. Wegen der geringeren Arbeitszeit verringert sich auch der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers. Die Kurzarbeit wird jedoch nicht dauerhaft vereinbart, sondern vielmehr nur für einen bestimmten Zeitraum, etwa für die Zeit des Lockdowns. Danach kehren die Parteien des Arbeitsverhältnisses zur ursprünglichen Vereinbarung zurück. Die Vereinbarung von Kurzarbeit stellt damit ein taugliches Mittel dar, um ein Arbeitsverhältnis trotz einer solch einschneidenden Maßnahme wie eines Lockdowns weiter aufrecht erhalten zu können, ohne dass damit weitere wirtschaftliche Nachteile für den Betriebsinhaber einhergehen. Etwas anderes gilt jedoch bei geringfügiger Beschäftigung, wie dies in der zugrundeliegenden Entscheidung der Fall war. Geringfügig Beschäftigte haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Das BAG sah dies jedoch nicht als Argument dafür an, der Klägerin den Lohnfortzahlungsanspruch zuzusprechen.

Arbeitgeber haben bei der Kurzarbeit zu berücksichtigen, dass sie diese nicht einseitig anordnen können. Vielmehr müssen die Parteien des Arbeitsvertrags darüber übereinkommen. Denkbar sind dabei auch Vereinbarungen in Tarifverträgen oder Regelungen in Betriebsvereinbarungen. Ist der Arbeitnehmer mit der Verringerung der Arbeitszeit mit entsprechender Kürzung des Entgelts hingegen nicht einverstanden, ist eine Änderungskündigung denkbar. Wie im Arbeitsrecht üblich, kommt es letztlich jedoch auf eine Abwägung der entgegenstehenden Interessen der Arbeitsvertragsparteien an.

Auswirkungen für die Praxis

Vor dem Hintergrund der dargestellten Entscheidung des BAG darf jedoch kein falscher Eindruck entstehen. Zwar sind Arbeitgeber nicht zur Lohnfortzahlung verpflichtet, sollten sie aber ihren Arbeitnehmern Kurzarbeit anbieten, um die nachteiligen Auswirkungen behördlich angeordneter Betriebsschließungen abzumildern. Das bereits angesprochene Über-/Unterordnungsverhältnis der Arbeitsvertragsparteien begründet für den Arbeitgeber auch eine Fürsorgepflicht für den Arbeitnehmer, die es zu erfüllen gilt. Bleibt der Arbeitgeber hingegen untätig hinsichtlich der Einführung von Kurzarbeit, sollten Arbeitnehmer diese aktiv darauf ansprechen. Abhängig von der Frage der Initiativlast ist ein Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Zahlung des entgangenen Kurzarbeitergeldes denkbar.

Aus der Entscheidung des BAG lässt sich zudem ableiten, dass dem Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers entgegen der bisherigen Rechtsprechung[2] wohl nicht mehr zusteht, wenn dieser sich einer Vereinbarung von Kurzarbeit verschließt.

[1] Vgl. Presserklärung des BAG, a.a.O. (Fn. 2) https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/betriebsrisiko-und-lockdown/ (zuletzt abgerufen am 30.11.2021).

[2] Siehe ArbG Stuttgart, Urt. v. 22.10.2020 – 11 Ca 2950/20.


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Weitere Informationen: www.wir-beraten-unternehmer.de

Foto(s): https://unsplash.com/photos/Af-gYALXZWw

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