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Arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit oder Scheinselbstständigkeit - Formular V023

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Die Rentenversicherungsträger prüfen verstärkt von Amts wegen den Status sog. arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger. Liegen entsprechende Hinweise vor, werden potenziell Betroffene angeschrieben und aufgefordert, Auskunft über Einzelheiten ihrer Tätigkeit zu erteilen, um eine Feststellung zu ermöglichen. Arbeitnehmerähnliche Selbstständige sind in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig und zahlen im Gegensatz zu abhängig Beschäftigten ihre Beiträge selbst. Für die Feststellung der Rentenversicherungspflicht wird das Formular V023 verwendet.

Wer kann arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger sein?

Nach § 2 Nr. 9 SGB VI sind selbständig tätige Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind, in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig.

Betroffen ist potenziell jeder Solo-Selbstständige, also jeder, der alleine auf selbstständiger Basis ohne weitere versicherungspflichtig beschäftigte Mitarbeiter tätig ist. Der ausgeübte Beruf ist irrelevant. D.h. unter diese Bestimmung können sowohl einfachste Tätigkeiten, wie z. B. haushaltsnahe Dienstleistungen, Reinigungstätigkeiten, Kurierfahrten wie auch die der anerkannten freien Berufe (Ärzte, Journalisten, Ingenieure, Architekten etc.) fallen. Entscheidend ist lediglich, dass die Tätigkeit ohne versicherungspflichtig beschäftigte Mitarbeiter und auf Dauer und im Wesentlichen für einen Auftraggeber ausgeübt wird.

Eine regelmäßige Beschäftigung eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers im Sinne von § 2 Satz 1 Nr.9 Buchstabe a SGB VI liegt nach einem Urteil des BSG- vom 23.11.2005 (B 12 RA 15/04 R) auch dann vor, wenn mehrere wegen Geringfügigkeit versicherungsfreie Arbeitnehmer, deren Entgelte zusammengerechnet die maßgebende Entgeltgrenze von 400 Euro übersteigt, beschäftigt werden. Das steht der regelmäßigen Beschäftigung eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers gleich. Auf das Überschreiten der Entgeltgrenze durch einen einzelnen Arbeitnehmer in dessen konkreten Beschäftigungsverhältnis kommt es insoweit nicht an. Besondere Probleme bereitet allerdings das Merkmal „auf Dauer und im Wesentlichen für einen Auftraggeber.“

Wann erfolgt eine Tätigkeit im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber?

Häufig wird eine Faustformel angewendet, wonach eine arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit vorliegt, wenn mindestens fünf Sechstel der gesamten Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit alleine von einem Auftraggeber erzielt werden. Dieser Wert ist allerdings nicht Bestandteil der gesetzlichen Regelung. Er wurde von den Spitzenorganisationen der Sozialversicherung in einem Rundschreiben vom 20.12.1999 festgelegt und in der Praxis angewendet. Das Bundessozialgericht und die Landessozialgerichte haben bislang offen gelassen, ob es sich dabei um ein taugliches Abgrenzungskriterium handelt. Das Sozialgericht München hat in einem Urteil vom 24.03.2006 festgestellt, dass die grundsätzliche Linie, wonach ein Fall der Versicherungspflicht vorliegt, wenn 5/6 der Betriebseinnahmen aus der Tätigkeit für einen Auftraggeber über einen vorausschauend berechneten bedeutsamen Zeitraum von einem Jahr erzielt wurden, im Sinne einer relativ einheitlichen Rechtsanwendung durch die Versicherungsträger sinnvoll ist, jedoch keine Gesetzesqualität hat und im Einzelfall unzutreffend sein kann (Sozialgericht München – 24.03.2006 – S 27 R 2642/05). Es kommt also letztlich auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an.

Wie lange darf man ausschließlich für einen Auftraggeber tätig sein?

Es gibt Branchen, in denen über längere Zeiträume nur Aufträge für einen einzigen Auftraggeber bewältigt werden können. Dies ist z. B. bei Projektarbeiten in der Industrie der Fall, wenn sich zeitintensive Forschungs- oder Planungsaufträge über einen längeren Zeitraum erstrecken und ein fixer Endzeitpunkt häufig nicht absehbar ist. Die arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit ist daher ein dynamischer Tatbestand. Die Grenze kann fließend sein. Jeder Auftrag muss gesondert betrachtet werden. Die Landessozialgerichte setzen in der Regel die Grenze bei einem Jahr, wobei im Einzelfall auch längere Zeiträume zulässig sein können.

Abgrenzung zur Scheinselbstständigkeit – Formular V023

Arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit setzt voraus, dass echte Selbstständigkeit vorliegt. Dennoch wird in jedem Einzelfall geprüft, ob nicht in Wahrheit eine Scheinselbstständigkeit vorliegt. Denn die Bindung an einen einzigen Auftraggeber kann schnell in eine weisungsabhängige Tätigkeit umschlagen. So fragt die Deutsche Rentenversicherung bei der Feststellung der Versicherungspflicht auch, ob die Arbeit regelmäßig am Betriebssitz des Auftraggebers erfolgt, ob regelmäßige Anwesenheitszeiten einzuhalten sind, ob Weisungen hinsichtlich Arbeits- und Anwesenheitszeiten bei der Ausübung der Tätigkeiten erteilt werden und ob das Einsatzgebiet durch einseitige Weisung des Auftraggebers verändert werden kann. Hierbei handelt es sich um Merkmale, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen. Die Prüfung umfasst also auch immer die Frage, ob nicht tatsächlich eine in allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, für die dann der Auftraggeber als Arbeitgeber beitragspflichtig wäre.

Befreiungsmöglichkeit (§ 6 Abs. 1a SGB VI)

Auf Antrag können Personen, die nach § 2 Satz 1 Nr. 9 versicherungspflichtig sind, für einen Zeitraum von drei Jahren nach erstmaliger Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit, die die gesetzlichen Merkmale erfüllt, von der Versicherungspflicht befreit werden. Das gleiche gilt nach Vollendung des 58. Lebensjahres, wenn sie nach einer zuvor ausgeübten selbständigen Tätigkeit erstmals nach § 2 Satz 1 Nr. 9 versicherungspflichtig werden. Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an (§ 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI).


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