Arbeitsgericht erklärt fristlose Kündigung gegen Betriebsrat wegen Arbeitszeitbetruges bei Amazon als wirksam

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Arbeitsgericht erklärt fristlose Kündigung gegen Betriebsrat wegen Arbeitszeitbetruges bei Amazon als wirksam

„Unkündbare“ Arbeitnehmer in Deutschland gibt es nicht. Wegen Arbeitszeitbetruges hat das Arbeitsgericht Lüneburg mit Datum vom 5.04.2023, Aktenzeichen 2 BV 6/22, die fristlose Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden als wirksam erklärt.

In der Presseerklärung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen heißt es wie folgt: „Arbeitsgericht Lüneburg ersetzt Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden des Amazon Logistikzentrums Winsen/ Luhe. Die Antragstellerin (Arbeitgeberin) betreibt am Standort Winsen/ Luhe ein Logistikzentrum mit ca. 1.900 Beschäftigten. Bei der Antragstellerin ist ein Betriebsrat gebildet. Im Zeitraum vom 08.11.2022 bis einschließlich 10.11.2022 reiste der Betriebsratsvorsitzende gemeinsam mit drei weiteren Betriebsratsmitgliedern zum Deutschen Betriebsrätetag in Bonn. Die Reise- und Hotelkosten trug die Antragstellerin. Die Rückreise erfolgte gegen Mittag des 10.11.2022. In seinem Arbeitszeitnachweis gab der Betriebsratsvorsitzende unter anderem an, er habe am 9.11. von 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr sowie von 19:00 Uhr bis 22:00 Uhr Betriebsratsarbeit geleistet. Die Antragstellerin wirft dem Betriebsratsvorsitzenden vor, lediglich am 8.11.2022 an dem Betriebsrätetag teilgenommen zu haben. An den Folgetagen sei er der Veranstaltung vollständig ferngeblieben und ausschließlich privaten Angelegenheiten nachgegangen. Es bestehe aufgrund seiner Angaben im Arbeitszeitnachweis auch der Verdacht eines Arbeitszeitbetruges.“ - https://landesarbeitsgericht.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/arbeitsgericht-luneburg-ersetzt-zustimmung-zur-ausserordentlichen-kundigung-des-betriebsratsvorsitzenden-des-amazon-logistikzentrums-winsen-luhe-221269.html -

Kündigung von Betriebsräten unterliegt gleichen Maßstäben wie Kündigung von Arbeitnehmern ohne Sonderkündigungsschutz

Betrug ist Betrug. Wer seinem Arbeitgeber vortäuscht, er habe gearbeitet, obwohl das nicht der Fall ist, muss selbst damit rechnen, dass ihm das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt wird, wenn der Arbeitgeber von dieser schwerwiegenden Pflichtverletzung erfährt. Dabei kann es keine Rolle spielen, ob einem Mitglied des Betriebsrats gekündigt wird oder einem Arbeitnehmer, der keinen Sonderkündigungsschutz hat.

Bundesarbeitsgericht stellt klar: Arbeitszeitbetrug rechtfertigt grundsätzlich fristlose Kündigung; Offensichtlich vertragswidriges Verhalten steht sogar datenschutzrechtlichen Bedenken entgegen.

Das Bundesarbeitsgericht hatte mit Datum vom 29.06.2023, Aktenzeichen 2 AZR 296/22, zum Stichwort „Arbeitszeitbetrug“ folgenden Sachverhalt zur Entscheidung vorliegen:

„Kündigung wegen vorgetäuschter Ableistung einer Schicht - Der Kläger war in der Gießerei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte wirft dem Kläger vor, am 02.06.2018 eine sogenannte Mehrarbeitsschicht in der Absicht nicht geleistet zu haben, sie gleichwohl vergütet zu bekommen. Die auf einen anonymen Hinweis hin erfolgte Auswertung der Aufzeichnungen einer durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera an einem Tor zum Werksgelände ergab nach dem Vortrag der Beklagten, dass der Kläger das Werksgelände noch vor Schichtbeginn wieder verlassen hat. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich.“ Quelle: Redaktion FD-ArbR, Aktuelle Nachrichten, FD-ArbR 2023, 458134; beck-online.de.

Bundesarbeitsgericht: „Überwachungsvideo trotz Datenschutzbedenken in Kündigungsstreit verwertbar“ Quelle: Redaktion FD-ArbR, Aktuelle Nachrichten, FD-ArbR 2023, 458134; beck-online.de.

Für das Bundesarbeitsgericht stellt ein Arbeitszeitbetrug ein offensichtlich vertragswidriges Verhalten dar, dass grundsätzlich eine fristlose Kündigung rechtfertigt.

Es heißt bei Redaktion FD-ArbR, Aktuelle Nachrichten, FD-ArbR 2023, 458134, Beck-Online, dazu wie folgt:

„BAG bejaht Verwertbarkeit des Überwachungsvideos

Mit seiner dagegen erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot und dürften daher im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte vor dem BAG bis auf einen Antrag betreffend ein Zwischenzeugnis Erfolg. Sie führte zur Zurückverweisung der Sache an das LAG. Das LAG musste laut BAG nicht nur das Vorbringen der Beklagten zum Verlassen des Werksgeländes durch den Kläger vor Beginn der Mehrarbeitsschicht zugrunde legen, sondern gegebenenfalls auch die betreffende Bildsequenz aus der Videoüberwachung in Augenschein nehmen. Dies folge aus den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts sowie des nationalen Verfahrens- und Verfassungsrechts.

Offensichtlich vertragswidriges Verhalten steht datenschutzrechtlichen Bedenken entgegen

Dabei spiele es keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des BDSG oder der DS-GVO entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DS-GVO nicht ausgeschlossen, meint das BAG. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung wie hier offen erfolgt und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht. In einem solchen Fall sei es grundsätzlich irrelevant, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten hat.“

Wahrheitswidriges Täuschen in Bezug auf die Arbeitszeit rechtfertigt grundsätzlich fristlose Kündigung

Wer wahrheitswidrig über seine Arbeitszeit täuscht, muss mit einer fristlosen Kündigung rechnen. Dabei ist rechtlich unerheblich, ob es sich um die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds handelt oder um einen Arbeitnehmer, der über keinen Sonderkündigungsschutz verfügt.

Zurück zum Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 05.04.2023 – 2 BV 6/22: Das Gericht erklärt sich zum Stichwort – Arbeitszeitbetrug und Kündigung eines Betriebsratsmitglieds – unmissverständlich wie folgt: Quelle: BeckRS 2023, 13540, Beck-online.de

„Der Umstand, dass der Beteiligte zu 3. den Betriebsrätetag spätestens ab dem frühen Vormittag des 9.11.2022 vollständig fern blieb und auch am 10.11.2022 allenfalls für kurze Zeit teilnahm, stellt bereits eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar, welche an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung abzugeben. Kommt ein Arbeitnehmer bereits an zwei Tagen in einem beträchtlichen zeitlichen Umfang seiner Arbeitspflicht nicht nach, ist dieses Verhalten an sich geeignet, einen wichtigen Grund zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung abzugeben (so etwa BAG 7.07.2005 – 2 AZR 581/04 –, NZA 2006, 98, für den Fall der Internetnutzung während der Arbeitszeit).

Dies gilt entsprechend, wenn ein Betriebsratsmitglied eine auswärtige dreitägige Fortbildungsveranstaltung, auf welche er durch Beschluss des Betriebsrates entsandt worden ist, lediglich am ersten Tag besucht und an den übrigen Tagen privaten Angelegenheiten nachgeht.“

„Vorsätzliche Falschangaben des Arbeitnehmers über die von ihm erbrachte Arbeitszeit können regelmäßig einen wichtigen Grund i. S. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben. Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzliche falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch (BAG 24.11.2005, 2 AZR 39/05) durch vorsätzliche falsche Angaben hinsichtlich der von ihm abgeleisteten Arbeitszeiten und der von ihm in erheblicher Weise seine ihm gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt zu haben (BAG 09.06.2011, 2 AZR 381/10, NZA 2011, S. 1027 ff.).“

Rechtsanwalt Helmut Naujoks vertritt seit 25 Jahren ausschließlich die rechtlichen Interessen der Arbeitgeber. Bei Fragen zu diesem Thema können Sie mich jederzeit gerne zur Beratung kontaktieren.


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