Arbeitszeitbetrug, Spesenbetrug, Verdachtskündigung: Wenn Gerichte fristlosen Kündigungen von Betriebsräten zustimmen

  • 5 Minuten Lesezeit

„So wird man unliebsame Beschäftigte los“, so lautet ein Zitat aus dem Interview des ehemaligen vollfreigestellten Betriebsratsmitgliedes bei Amazon im Logistikzentrum Achin im Weser Kurier.de vom 23.September 2023, Autorin: Lisa Schröder. Hintergrund: Das Arbeitsgericht Verden ( Aller ) hat mit Datum vom 19.09.2023 der fristlosen Kündigung von Amazon zum Nachteil des vollfreigestellten Betriebsratsmitgliedes wegen Arbeitszeitbetruges und falscher Reisekostenabrechnung zugestimmt.

Auch das Arbeitsgericht Bielefeld hat im August 2023 der fristlosen Kündigung zum Nachteil eines Betriebsratsmitgliedes des Automobilzulieferers Benteler wegen des Verdachts des Arbeitszeitbetruges zugestimmt. Reaktion des gekündigten Betriebsratsmitgliedes gegenüber der Presse: "Ich erlebe einen Albtraum" Schlagzeile der Neue Westfälische.de ( NW ) vom 03. September 2023.

Rechtlich gesehen passiert nichts anderes als das ein Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass entweder der Verdacht eines Arbeitszeitbetruges vorliegt oder sogar eine Tatkündigung in Form eines Arbeitszeitbetruges bejaht worden ist. Auch der Arbeitgeber ist gehalten, bei Verdacht von strafbaren Handlungen durch Betriebsräte, den Weg einer fristlosen Kündigung in Betracht zu ziehen, weil anderenfalls eine Begünstigung von Betriebsräten vorliegen könnte, die gemäß Betriebsverfassungsgesetz strafbar ist.

Arbeitgeber steht in der Praxis vor einer Abwägungsfrage, die sich grundsätzlich wie folgt darstellt:

Der Arbeitgeber geht den Weg der fristlosen Kündigung zum Nachteil von Betriebsräten, dann muss er aber zugleich mit der typischen Empörungsrhetorik der jeweiligen Gewerkschaft plus Betriebsrat in den Medien rechnen. Arbeitgeber spricht sich gegen die fristlose Kündigung aus, weil er das Unternehmen vor der medialen Empörungsrhetorik schützen will. Letzteres macht den Arbeitgeber persönlich angreifbar. Aktuelles Beispiel ist ein ehemaliges Vorstandsmitglied der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB). „MITGLIEDER DES BETRIEBSRATS SOLLEN BEVORTEILT WORDEN SEIN - Landgericht Stuttgart verurteilt Ex-SSB-Vorstand zu Schadenersatz“ – so lautet die Schlagzeile des Artikels des SWR 3.de vom 30.06.2023. Der Nachfolger ging wegen Begünstigung von Betriebsräten gegen das ehemalige Vorstandsmitglied vor und dieser musste rund EUR 600.000 an Schadensersatz an seinen ehemaligen Arbeitgeber leisten.

Begünstigung von Betriebsräten sowie Verstoß gegen den firmeninternen Verhaltenskodex/ Compliance Richtlinien sollte verhindert werden

Im Besonderen muss sich der Arbeitgeber immer vorhalten, keine Begünstigung von Betriebsräten zu begehen bzw. nicht gegen den Verhaltenskodex der Firma ( Code of Conduct ) zu verstoßen. Sollte ein Compliance-Fall vorliegen, macht sich der Arbeitgeber angreifbar, sei es in Form eines Schadensersatzes oder in Form einer fristlosen Kündigung – oder beides.

Wann liegt ein Arbeitszeitbetrug vor?

LAG Mecklenburg-Vorpommern (5. Berufungskammer), Urteil vom 28.03.2023 – 5 Sa 128/22: „Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit der am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Nicht anders zu bewerten ist es, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die geleistete Arbeitszeit mit Hilfe des Arbeitsplatzrechners in einer elektronischen Zeiterfassung zu dokumentieren, und er hierbei vorsätzlich falsche Angaben macht. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise die sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebende Pflicht zur Rücksichtnahme.“

Wann liegt ein Spesenbetrug vor?

LAG Niedersachsen (2. Kammer), Urteil vom 29.03.2023 – 2 Sa 313/22: „Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB, die dem Schutz und der Förderung des Vertragszweckes dient, kann an sich ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein. Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht verlangt von den Parteien eines Arbeitsverhältnisses, gegenseitig auf die Rechtsgüter und die Interessen der jeweils anderen Partei Rücksicht zu nehmen. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebes nach Treu und Glauben billigerweise erwartet werden kann. Der Arbeitnehmer ist in jedem Fall verpflichtet, vom Betrieb Schäden abzuwenden, soweit ihm dies möglich und zumutbar ist.“ Quelle: Beck-online.de

Wann liegt eine Verdachtskündigung in Abgrenzung zur Tatkündigung vor?

Bundesarbeitsgericht mit Datum vom 24. 5. 2012 – 2 AZR 206/11: „Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Verfehlung kann nur dann für den Ausspruch einer Kündigung genügen, wenn es weder gelungen ist, ihn auszuräumen, noch gelungen ist, die erhobenen Vorwürfe auf eine sichere Grundlage zu stellen. Die Anhörung des Arbeitnehmers ist deshalb ein stets gebotenes Mittel der Sachverhaltsaufklärung. Ihr Umfang richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Einerseits muss sie nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 I BetrVG gestellt werden. Andererseits reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen gegebenenfalls zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt. Sie ist nicht etwa dazu bestimmt, als verfahrensrechtliche Erschwernis die Aufklärung zu verzögern und die Wahrheit zu verdunkeln.“ Quelle: Beck-online.de

Rechtsanwalt Helmut Naujoks ist seit 25 Jahren ausschließlich als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht tätig. Haben Sie Fragen in Bezug auf die Kündigung von Mitarbeitern/innen? Rufen Sie noch heute Rechtsanwalt Helmut Naujoks an, Spezialist als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht. In einer kostenlosen und unverbindlichen telefonischen Ersteinschätzung beantwortet Rechtsanwalt Helmut Naujoks Ihre Fragen zum Kündigungsschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie zu den Rechten und Pflichten des Betriebsrats gemäß Betriebsverfassungsgesetz.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Helmut Naujoks

Beiträge zum Thema