Arbeitszeitbetrug – Tätlichkeit: Vorgesetzten durch Händedruck verletzt

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„Einzelfall einer unwirksamen außerordentlichen und ordentlichen Kündigung eines seit über 20 Jahren beanstandungsfrei beschäftigten Mitarbeiters, der seiner Vorgesetzten nach einem Personalgespräch so fest die Hand drückte, dass diese Verletzungen erlitt. Vorausgegangen war die Beendigung einer langjährigen Beziehung zwischen beiden, in deren Folgezeit der Kläger von seiner Vorgesetzten und ehemaligen Partnerin mit einer Vielzahl zumindest teilweise unberechtigter arbeitsrechtlicher Sanktionen überzogen worden war.“ – so lautet der amtliche Leitsatz des LAG Hessen, Urteil vom 24.01.2014 - 14 Sa 776/13; Quelle: Beck-online.de

Festes Hand-Drücken gegenüber Führungskraft führt zur fristlosen Kündigung

LAG Hessen: „Der Kläger hatte ein Gleitzeitkonto mit zuletzt 1.178, 47 Stunden aufgebaut, wegen dessen hohen Saldos der Vorgesetzte des Klägers Herr C es seit September 2010 mehrfach abgelehnt hatte, den Kläger mit neuen Projekten zu betrauen. Anfang 2012 erklärte sich der Kläger gegenüber Frau A bereit, auf sein Gleitzeitguthaben verzichten, um das Thema zum Abschluss zu bringen. Diese erklärte, dass sie dies nicht tun werde, sondern sich für den Kläger einsetzen werde, damit eine Lösung gefunden würde, die den Kläger in die Lage versetzen sollte, die Stunden abzubauen. Im Jahr 2012 erarbeitete der Kläger einen Plan zum Abbau des hohen Gleitzeitsaldos, der von Frau A nicht akzeptiert wurde. Alternativen wurden von Frau A nicht vorgeschlagen…Nachdem das Personalgespräch beendet war, gab der Kläger Frau A“, bei der es sich um eine Führungskraft handelt,  „die Hand und drückte diese. Frau A gab daraufhin einen Schmerzenslaut von sich. Der Kläger ging am Folgetag des Gesprächs zu seinem Hausarzt, der eine akute Belastungsstörung diagnostizierte und ihn zum Psychiater überwies. Er wurde sodann bis zum 30. Oktober 2012 wegen Depressionen krankgeschrieben. Ebenfalls am 12. Oktober 2012 suchte Frau A das Katholische Krankenhaus G in H auf, wo ihre Hand untersucht und geröntgt wurde. Dem Ambulanzbrief vom 12. Oktober 2012 zufolge ergab die Untersuchung folgenden Befund: „Schmerzsymptomatik MC 5 re. Hand, keine Hautläsion, keine Zeichen peripherer Durchblutungsstörung“. …Am 15. Oktober 2012 stellte der Hausarzt der Frau A, Dipl. med. I, Blutergüsse im Bereich des rechten Handrückens fest. Die von der Beklagten zur Akte gereichte Anlage B 10 (Bl. 93 dA), die keine Unterschrift, aber einen Stempel des Hausarztes aufweist, enthält die Angabe „Schmerzsymptomatik MC 5 re. Hand, keine Hautläsion, keine Zeichen peripherer Durchblutungsstörung, Röntgen o. B. jetzt Hämatom über 2. Strahl und DS MC 5 mit Schwellung“. Die gleichen Befundangaben enthält das ärztliche Attest des Dipl. med. I vom 11. Dezember 2012, das sich ebenfalls auf den Arztbesuch der Frau A am 15. Oktober 2012 bezieht. Am 19. Oktober 2012 erhob Frau A gegen den Kläger Strafanzeige. Das polizeiliche Ermittlungsverfahren wurde am 7. März 2013 eingestellt.“ Quelle: Beck-online.de

Arbeitgeber: Beim Schließen der Hand wurde der Führungskraft starke Schmerzen zugefügt

LAG Hessen: „Die Beklagte hat behauptet, am 12. Oktober 2012 sei die rechte Hand von Frau A im Bereich des Zeigefingers, des Ringfingers und des kleinen Fingers geschwollen gewesen, sie sei nicht in der Lage gewesen richtig zuzugreifen und besonders beim Schließen der Hand seien starke Schmerzen aufgetreten.“ Quelle: Beck-online.de

Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung

LAG Hessen: „Gem. § 626 Abs. 1 BGB berechtigt ein Sachverhalt zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, wenn es dem Kündigenden danach unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. Das Gesetz kennt keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht. Insofern kann ein wichtiger Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB nur vorliegen, wenn bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand überwiegt.“ Quelle: Beck-online.de

Gericht stellt klar: Festes Hand-Drücken Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht

LAG Hessen: „Vorliegend nimmt die Kammer anders als das Arbeitsgericht an, dass ein Grund gegeben ist, der „an sich“ geeignet ist, die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Der Kläger hat schuldhaft seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzt, seiner Vorgesetzten keine körperlichen Schmerzen zuzufügen. Insofern steht zunächst nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien fest, dass der Kläger am 11. Oktober 2012 am Ende des mit ihm geführten Personalgesprächs seiner Vorgesetzten A zum Abschied so fest die Hand drückte, dass diese einen Schmerzenslaut von sich gab. Die Kammer geht weiter davon aus, dass aus diesem Händedruck eine Verletzung der Hand von Frau A resultierte, wie sie im Attest vom 15. Oktober 2012 angegeben wurde, also ein Hämatom und eine Schwellung. Zwar bestreitet der Kläger die Kausalität seines Händedrucks für die attestierten Verletzungen. Angesichts der Tatsache, dass unstreitig der Kläger Frau A schmerzhaft die Hand gedrückt hatte, immerhin so schmerzhaft, dass diese einen spontanen Schmerzenslaut von sich gab und die am 15. Oktober 2012 an der betroffenen Hand festgestellten Verletzungen auch nach der ärztlichen Einschätzung plausible Folgen eines solchen Händedrucks waren, wäre der Kläger nach allgemeinen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast gehalten gewesen, einen möglichen abweichenden Geschehensablauf vorzutragen, der zum Vorliegen der Verletzungen geführt hat. Mit dem pauschalen Hinweis, solche Verletzungen könnten auch auf anderem Weg entstehen, genügt er dieser Darlegungslast nicht, denn ein solcher Vortrag ist für die Beklagte nicht einlassungsfähig. Dass sich Frau A die Verletzungen absichtlich selbst zufügte oder zufügen ließ, behauptet der Kläger nicht.“ Quelle: Beck-online.de

Interessenabwägung fällt zum Nachteil des Arbeitgebers aus

LAG Hessen: „Die außerordentliche Kündigung ist jedoch bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht gerechtfertigt. Es hätte vorliegend ausgereicht, dem Kläger gegenüber eine Abmahnung auszusprechen. Der Beklagten ist wegen der ohne zuvor ausgesprochene Abmahnung nicht ausreichend zu stellenden negativen Prognose für ein auch zukünftig belastetes Arbeitsverhältnis eine Weiterbeschäftigung des Klägers zumutbar. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind.“ Quelle: Beck-online.de

Betriebszugehörigkeitszeit von 22 Jahren führt zur Verpflichtung des Arbeitgebers: Erst Abmahnung, dann Kündigung

LAG Hessen: „Zwar bedurfte es hier keiner Abmahnung, um dem Kläger zur Kenntnis zu bringen, dass er seiner Vorgesetzten keine Schmerzen und Verletzungen zufügen darf. Es ist jedoch ohne zuvor erfolgte Abmahnung keine Wiederholungsgefahr anzunehmen, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigte. Der Kläger war zum Kündigungszeitpunkt seit 22 Jahren bei der Beklagten beschäftigt, ohne dass es - hiervon muss die Kammer mangels entsprechenden Vortrags der Beklagten ausgehen - jemals zu aggressivem Verhalten des Klägers gegenüber Vorgesetzten oder Kollegen gekommen wäre. Die bisher erteilten Abmahnungen bedingen keine andere Bewertung da sie - unabhängig von der Frage ihrer Berechtigung - jedenfalls nicht einschlägig waren. Keine der dem Kläger erteilten Abmahnungen hat den Vorwurf aggressiven Verhaltens zum Gegenstand.“ Quelle: Beck-online.de

Rechtsanwalt Helmut Naujoks ist seit 25 Jahren ausschließlich als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht tätig. Haben Sie Fragen in Bezug auf die Kündigung von Mitarbeitern/innen? Rufen Sie noch heute Rechtsanwalt Helmut Naujoks an, Spezialist als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht. In einer kostenlosen und unverbindlichen telefonischen Ersteinschätzung beantwortet Rechtsanwalt Helmut Naujoks Ihre Fragen zum Kündigungsschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie zu den Rechten und Pflichten des Betriebsrats gemäß Betriebsverfassungsgesetz.


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