Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) – Was versteht man darunter & wie läuft der Prozess ab?

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Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) – Was versteht man darunter & wie läuft der Prozess ab?


Kurz: Ziel des BEM ist die Wiedereingliederung von Arbeitnehmern nach Krankheit.


Gesetzlich geregelt ist das BEM seit 2004 im Sozialgesetzbuch (SGB). In 167 Abs. 2 SGB IX heißt es:


"Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). [...]"


Arbeitsplatzsicherung - Rehabilitation & Integration


Arbeitnehmern, die länger als 6 Wochen (ununterbrochen oder Einzelkrankheitstage summiert) arbeitsunfähig sind, soll durch geringe Belastungen und andere Änderungen im Arbeitsumfeld die Möglichkeit gegeben werden, sich schrittweise wieder in das Arbeitsleben einzubinden. Dies betrifft Menschen ohne wie auch Menschen mit Behinderung(en).


§ 167 Abs. 2 SGB IX gilt für alle Unternehmen, unabhängig von Betriebsgröße oder Mitarbeiteranzahl - von Aushilfskräften, über Teilzeitangestellte, bis hin zu Beamten.


Auf welche Art und Weise die Umsetzung erfolgen soll, erarbeiten Arbeitgeber, Arbeitnehmer und ggf. weitere Beteiligte gemeinsam und individuell für den jeweiligen Arbeitnehmer.


Das BEM-Verfahren wird von Arbeitgebern allerdings auch als Vorbereitung auf eine krankheitsbedingte Kündigung genutzt, um ihre Position in einem etwaigen Rechtsstreit zu stärken.


Krankheitstage & Gründe


Die sechs Wochen beziehen sich nicht auf ein Kalenderjahr. Wenn sich die sechs Wochen z. B. von Mai 2022 bis März 2023 strecken, ist die Voraussetzung für das BEM-Verfahren geschaffen. Der bei diesem Beispiel zu betrachtende Jahreszeitraum wäre vom   01.04.2022 bis zum 31.03.2023.


Darüber hinaus kommt es nicht auf die Krankheitsgründe an; diese können unterschiedlich sein.


Prozess des BEM-Verfahren


1. Einladungsschreiben


Sind sechs Wochen Krankheitsausfall überschritten, bekommen Arbeitnehmer ein Einladungsschreiben zum BEM-Verfahren. Diese Einladung beinhaltet weitere Unterlagen wie Antwortschreiben, Datenschutz- und Verschwiegenheitserklärung, u. a..


Beschäftigte werden mit dem BEM-Einladungsschreiben über ihre Krankheitstage in Kenntnis gesetzt und über das weitere Vorgehen informiert. Diese Einladung ist an bestimmte formelle Voraussetzungen gebunden. Aus dem Schreiben muss Folgendes hervorgehen:


  • Ziele des BEM


  • Hinweis, dass Arbeitnehmer eigene Vorschläge einbringen können


  • Angabe weiterer Beteiligter, z. B. Betriebsarzt, Vertrauenspersonen*, Betriebsrat(smitglieder); Schwerbehindertenvertretung, ggf. Integrationsamt und/oder Rehabilitationsträger


  • Erklärung zu Daten-Schutzmaßnahmen (Datenerhebung-/verarbeitung)


  • Hinweis, dass die Teilnahme freiwillig ist und jeder Zeit widerrufen werden kann


  • keine Angaben zu Krankheitsursachen oder medizinischen Diagnosen, da eine Kopie an den Betriebsrat geht, sofern vorhanden


*Seit dem 10.06.2021 gilt: "Beschäftigte können zusätzlich eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzuziehen." (§ 167 Abs.2 Satz 2 SGB IX).


Diese Personen können ein Ehe- oder Lebenspartner, Verwandte, Bekannte oder auch  Rechtsanwälte sein.


Die finale Entscheidung, ob bzw. welche weiteren Personen hinzugezogen werden, liegt allein beim Arbeitnehmer. Auch diese Entscheidung kann widerrufen werden.


Sofern die formellen Voraussetzungen nicht erfült sind, gilt ein bereits durchgeführtes BEM-Verfahren als fehlerhaft.


2. Gespräche & ärztliche Untersuchungen


Im Kern geht es in den Gesprächen darum, die Ursache(n) für die Krankheitszeiten festzustellen und herauszufinden, ob es Möglichkeiten gibt, die Ausfallzeiten künftig zu verringern und so eine krankheitsbedingte Kündigung zu vermeiden.


Dies kann z. B. gelingen, indem Arbeitsabläufe zum Wohle des Arbeitnehmers verändert werden (sofern umsetzbar), Arbeitnehmer in eine andere Abteilung versetzt werden, die Arbeitszeiten angepasst werden oder technische Unterstützung gestellt wird.


Der Akt der Lösungsfindung kann sich je nach Einzelfall über mehrere Wochen oder Monate erstrecken.


Dies ist überwiegend dann gegeben, wenn die Hinzuziehung eines Betriebsarztes erforderlich ist. Tritt dieser Fall ein, ist der Arbeitnehmer zu belehren, dass er auf die Konsultation verzichten kann und die benötigten medizinischen Angaben stattdessen über z. B. seinen Hausarzt beibringen kann.


3. Abschluss-Erklärung


Es wird schriftlich festgehalten, ob bzw. welche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Diese Erklärung sollte möglichst von allen Beteilgten unterzeichnet werden.


Hinweis:

Einladung und Abschluss-Erklärung können Bestandteil der Personalakte sein.


Im Laufe des Verfahrens verwendete Arztberichte & Diagnosen oder sonstige höchst persönliche Unterlagen sind gesondert aufzubewahren und nach drei Jahren zu vernichten.


Rehabilitationsträger & Integrationsamt – Wann ist eine Beteiligung notwendig?


In § 167 Abs. 2 Satz 5 SGB IX ist geregelt:


"Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die Rehabilitationsträger oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen."


Rehabilitationsträger sind einzuschalten, sofern es um Leistungen für Arbeitnehmer geht, die weder schwerbehindert noch gleichgestellte Menschen mit Behinderung sind.


  • Gesetzliche Krankenkassen, die gesetztliche Renten- und Unfallversicherung sowie die Bundesagentur für Arbeit sind in einem BEM-Verfahren die wichtigsten Rehabilitationsträger.


  • Leistungsbeispiel: Leistungen zur medizinischen Rehabilitation


Integrationsämter hingegen sind einzubeziehen, wenn es um begleitende Hilfe im Arbeitsleben geht und betroffene Arbeitnehmer schwerbindert oder gleichgestellte Menschen mit Behinderung sind.


  • Leistungsbeispiel: Geldleistungen für technische Arbeitshilfen


Krankheitsbedingte Kündigung ohne BEM-Verfahren


Haben Arbeitgeber das BEM-Verfahren nicht eingeleitet oder wurde das Verfahren fehlerhaft durchgeführt, wäre eine krankheitsbedingte Kündigung nicht zwangsläufig unwirksam.


Die Darlegungs- und Beweislast wird dadurch allerdings um einiges erschwert.


Im Falle einer Kündigungsschutzklage muss der Arbeitgeber dem Gericht


"umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. [...]." (BAG, Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13, S.14)


Krankheitsbedingte Kündigung trotz BEM-Verfahren


1. Arbeitnehmer - Fehlende Mitwirkung


Wurde das BEM-Verfahren ins Rollen gebracht, ist aber wegen fehlender Mitwirkung des Arbeitsnehmers fehlgeschlagen, hat eine etwaige Kündigungsschutzklage kaum Aussicht auf Erfolg.


Trägt der gekündigte Arbeitnehmer erst vor Gericht Möglichkeiten vor, die ihm eine Weiterbschäftigung ermöglicht hätten, ist es zu spät. Dies hätte im vorausgegangenen BEM-Verfahren geschehen müssen. (BAG, Urteil v. 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08).


  • Ausnahme: Die vorgetragenen Mögichkeiten haben sich erst nach der Durchführung des BEM-Verfahrens ergeben.


Ebenso verhält es sich, wenn Arbeitnehmer Einladungen zu einem BEM-Geschpräch erhalten, diese aber ignoriert haben. Sie haben sich damit selbst der Möglichkeit beraubt, eine Weiterbeschäftigung mitzugestalten.


2. Arbeitgeber – Unzureichende Durchführung/Umsetzung


Für Arbeitgeber stehen die Chancen ebenfalls schlecht, wenn sie zwar ein BEM-Verfahren eingeleitet, dieses jedoch nicht ordnungsgemäß durchführt, sondern nur schnell "abgehakt" haben oder ausgearbeitete Maßnahmen und/oder ärztliche Empfehlungen ohne ausführliche Begründung nicht umgesetzt haben.


Fazit Arbeitnehmer: Durch Ihr Mitwirken verschaffen Sie sich einen Vorteil!


SFW Baumeister & Partner – Nutzen Sie unsere kostenfreie Erstberatung!


Sofern Sie ein BEM-Einladungsschreiben oder eine krankheitsbedingte Kündigung erhalten haben, sollten Sie sich unbedingt anwaltlich beraten lassen.


Wir prüfen, ob alle Voraussetzungen erfüllt sind und bereiten Sie auf ein BEM-Gespräch bzw. die Kündigungsabwehr vor.


Profitieren Sie von der jahrelangen Erfahrung & dem Durchsetzungsvermögen unserer Fachanwältin für Arbeitsrecht, Jella Forster-Seher!


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