Fake-News zum Widerrufsjoker bei Verbraucherkrediten – zu EuGH C-66/19 und BGH XI ZR 525/19

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I. Vorbemerkung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich einem Urteil vom 26.03.2020 zur Auslegung des Widerrufsrechts bei Verbraucherkrediten in Deutschland geäußert. Dazu finden sich im Internet überwiegend unkritische bis zum Teil haarsträubende Praxistipps, die häufig von einem Automatismus zwischen Urteil und Rückabwicklung von Verbraucherkrediten ausgehen. 

Diesen Automatismus gibt es nicht. Die Ausübung des Widerrufs kann auch durchaus wirtschaftlich nachteilig sein. Zunächst zum Urteil (II.), dann meine Empfehlung (III.):

II. Das Urteil

1. Unionsrechtlicher Hintergrund

Das Urteil betrifft Art. 10 Abs. 2 Buchstabe p der Richtlinie 2008/48/EG – Verbraucherkreditrichtlinie. Die Vorschrift lautet: „Im Kreditvertrag ist in klarer, prägnanter Form Folgendes anzugeben: … das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts sowie die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts …“.

2. Der Rechtsstreit

Es geht um einen grundpfandrechtlich gesicherten Darlehensvertrag über 100.000 Euro eines Verbrauchers aus dem Jahr 2012. Die Widerrufsbelehrung der Bank lautete wie folgt:

Widerrufsrecht 

Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E‑Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat“.

Im Januar 2016 wurde der Darlehensvertrag vom Darlehensnehmer widerrufen. Zu Recht?

3. Die Entscheidung

Das Gericht wirft die Frage auf, „ob die Verweisung auf § 492 Abs. 2 BGB, die in dem in Rede stehenden (Darlehens)vertrag im Hinblick auf die dem Darlehensnehmer zu erteilenden Pflichtangaben vorgenommen wird, dem in Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/48 vorgesehenen Erfordernis genügt …“. 

§ 492 Abs. 2 lautete: „Der Vertrag muss die für den Verbraucherdarlehensvertrag vorgeschriebenen Angaben nach Artikel 247 §§ 6 bis 13 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (…) enthalten“. 

Das Gericht führt aus, die Bedeutung des Widerrufsrechts sei für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung. Der Verbraucher müsse im Vorhinein die Bedingungen, Fristen und Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts kennen. Dazu gehöre insbesondere die Berechnungsmöglichkeit der Widerrufsfrist.

Das Gericht problematisiert dann, dass die Pflichtangaben, die für den Beginn der Frist für den Widerruf des Vertrags maßgeblich seien, nicht im Darlehensvertrag selbst enthalten seien. Vielmehr verweise dieser auf § 492 Abs. 2 BGB, dieser auf Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB und diese auf diverse weitere Bestimmungen im BGB. 

Und dann: „Verweist aber ein Verbrauchervertrag hinsichtlich der Informationen, die nach Art. 10 der Richtlinie 2008/48 anzugeben sind, auf bestimmte Vorschriften des nationalen Rechts, so kann der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen noch überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle nach dieser Bestimmung erforderlichen Angaben enthält, und erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist, über die er verfügen kann, für ihn zu laufen begonnen hat“. Bei einem solchen Konstrukt habe der Darlehensgeber den Verbraucher vielmehr über den Inhalt dieser Vorschriften zu belehren.

Fazit des EuGH: Die Widerrufsbelehrung genügt nicht der Richtlinie und verstößt damit gegen Unionsrecht. Der Widerruf hatte somit Erfolg. Das Darlehen war damit rückabzuwickeln.

III. Praxisrelevanz + Tipps

Anwendbar ist das Urteil zunächst auf Verbraucherdarlehensverträge, also nicht für betriebliche Darlehen. Darlehensverträge mit einer identischen Widerrufsbelehrung bedürfen also in der Tat näherer Prüfung.

Sog. „Kaskadenverweisungen“ genügen der Aufklärung des Darlehensnehmers nicht.

In den Medien kursieren Darlehenszeiträume zwischen dem 11. Juni 2010 und dem 20. März 2016. Diese Aussage ist derart pauschal nicht richtig. Es kommt in erster Linie auf die Gesetzeslage zur Zeit des Vertragsschlusses an.

So hat sich die Widerrufsfrist zwischenzeitlich gesetzlich geändert. In dem entschiedenen Fall hatte der Darlehensnehmer das frühere unbefristete Widerrufsrecht für sich in Anspruch genommen; das gibt es so nicht mehr. Für Finanzdienstleistungen gelten zudem besondere Regelungen, die zu beachten sind.

Im Fall des Widerrufs kommt es zur Rückabwicklung; aber eben nur des Darlehens. Insbesondere die grundbuchrechtliche Situation bleibt unverändert. Sie haben also nicht nur keine Finanzierung; Sie haben auch gegebenenfalls einen deutlich höheren Zins auf die Grundschuld zu leisten. Da muss man gegensteuern.

Unter welchen Voraussetzungen sollten Sie also unbedingt aktiv werden? 1. Ihr Darlehensvertrag wurde jedenfalls bis zum 20.3.2016 geschlossen. 2. Wenn Sie unter dieser Voraussetzung das verbundene Geschäft (z. B. Kaufvertrag) "los werden" wollen. In jedem Fall ist also genau zu überlegen, ob ein Widerruf zielführend ist. Es gibt dafür durchaus tragende Gründe. Dazu ist aber nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine wirtschaftliche Betrachtung notwendig. Wir unterstützen Sie gerne dabei.

IV. Update 4.1.2021)

Der BGH hat sich nun dem EuGH angeschlossen - Urteil XI ZR 525/19 v. 27.10.2020.



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