Fristlose Kündigung wegen Äußerungen in geschlossener Chatgruppe kann wirksam sein

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Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.08.2023


Kundeninteraktionen, enge Fristen und Vorgesetzte können an den Nerven zerren. Jeder kennt es, wenn beim Zusammensein mit Familie, Freunden oder Arbeitskollegen das ein oder andere Wort fällt, das im offiziellen Mitarbeitergesprächs wohl nicht wiederholt würde. In dem geschützten Rahmen eines solchen informellen Gesprächs dürfen Menschen ihre Emotionen frei zum Ausdruck bringen, selbst wenn dabei die Grenze zur sachlichen Kritik überschritten wird. Dies gebietet das Grundrecht der freien Meinungsäußerung. Arbeitsrechtliche Konsequenzen müssen Arbeitnehmer deshalb nicht fürchten.


Selbst im Betrieb und in der Öffentlichkeit gilt dieses Grundrecht, allerdings mit Einschränkungen. Sachliche Kritik muss ein Arbeitgeber grundsätzlich ertragen - ausgenommen von Mitarbeitenden mit besonderer Stellung wie Pressesprechern, die sich öffentlich äußern. Unsachlich Diffamierungen, schwerwiegenden Beleidigungen, fremdenfeindlichen oder anderweitig menschenverachtenden Äußerungen fallen nicht mehr hierunter und können - in diesem Kontext geäußert - arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.


Die neuen Medien machen die Sache arbeitsrechtlich nicht einfacher. Nun können Äußerungen getätigt werden, die gewissermaßen aktiv abgerufen werden müssen, aber auch können (z.B. facebook-Profil). Näheres zu den zulässigen und unzulässigem Äußerungen über den Arbeitgeber in diesem Zusammenhang lesen Sie hier


Erstes Urteil zu geschlossener WhatsApp-Gruppe


Aktuell hat das Bundesarbeitsgericht sich erstmalig mit einer geschlossenen Chatgruppe befasst. Geklagt hatte der Lagerleiter eines Luftfahrtunternehmens. Dieser war Mitglied einer siebenköpfigen Chatgruppe, bestehend aus miteinander befreundeten Kollegen. Der Chat wurde zum Austausch über private Themen genutzt, aber auch für beleidigende, fremdenfeindliche und gewaltverherrlichende Äußerungen über Vorgesetzte und Arbeitskollegen (z.B. „Alle aufknüpfen den Polen zuerst“ und „was wollte die polnische Verräterf***e mit ihrer Scheißmail eigentlich sagen“, wobei es sich hierbei um die „harmloseren“ derjenigen Äußerungen handelt, die in dem Urteil zitiert sind). Der Arbeitgeber erhielt zufällig Kenntnis von dem Inhalt des Chatverlaufs und kündige das Arbeitsverhältnis gegenüber dem Lagerleiter und zwei weiteren Mitgliedern der Chatgruppe außerordentlich fristlos.


Vertraulich oder doch nicht? Bundesarbeitsgericht stellt Leitlinien auf


Nachdem die ersten beiden Instanzen die Kündigungen mit der Begründung, die Chatgruppe stelle einen vertraulichen Raum dar, für unwirksam erklärten (Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 19. Dezember 2022, 15 Sa 284/22), legte der Arbeitgeber Revision zum Bundesarbeitsgericht ein. Dieses entschied zwar nicht den Rechtsstreit, verwies ihn aber an das Landesarbeitsgericht zurück. Das Gericht muss nun unter Beachtung folgender Ausführungen neu entscheiden (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.08.2023, Az. 2 AZR 17/23):


Die Erwartung von Vertraulichkeit sei nur dann gerechtfertigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe tatsächlich einen besonderen Schutz für ihre vertrauliche Kommunikation erwarten können. Ob diese Erwartung berechtigt sei, hänge von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten, der Größe und der Zusammensetzung der Chatgruppe ab. Beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige erhöhen den Maßstab insofern, als der Arbeitnehmer besonders darzulegen habe, warum er davon habe ausgehen dürfen, dass der Inhalt von keinem Mitglied der Gruppe an Dritte weitergegeben werde. 


Fazit: Im Fall geschlossener Chat-Gruppen kommt es auf die Verabredung untereinander an


Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass allein die Tatsache, dass die Chat-Gruppe nicht öffentlich ist noch keinen vertraulichen Raum schafft. Gerade im Fall beleidigender und menschenverachtender Äußerungen komme es auch auf die Berechtigung der Erwartung an, dass diese Nachrichten vertraulich behandelt werden. Die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts deuten darauf hin, dass das Landesarbeitsgericht die hier streitgegenständlichen fristlosen Kündigungen letztendlich doch für wirksam erklärt. Denn der Nachweis dieser berechtigten Erwartung dürfte überaus schwer zu erbringen sein. Bei einer verabredeten Vertraulichkeit, so deutet es die Pressemitteilung an, kann ein solch vertraulicher Raum gegeben sein, in dem die Gruppenmitglieder auch derbe Äußerungen austauschen können.


Weitere Hinweise zum Thema und zum Urteil können Sie in der Langversion unseres Blogbeitrags hier nachlesen.




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