Nicht rückgängig zu machen: Bindung an die Schlussformel im Arbeitszeugnis

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Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 06.06.2023, Aktenzeichen 9 AZR 272/22


Das Arbeitszeugnis wird üblicherweise als letztes Dokument vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer ausgehändigt. Es soll dem Arbeitnehmer ermöglichen, bei potenziellen neuen Arbeitgebern Nachweise über seine bisherigen Leistungen vorzulegen und sich erfolgreich zu präsentieren. Die Wirklichkeit ist etwas komplizierter: Jeder kennt die Gerüchte, wonach Arbeitgeber wohlklingende Formulierungen nutzen, um das Arbeitszeugnis in subtiler Weise abzuwerten oder sogar Warnhinweise an andere Arbeitgeber zu geben ("Vorsicht: geschwätzig" oder "Achtung: Alkoholproblem"). 


Was steckt dahinter? Es gibt wenige Vorgaben zum Zeugnisinhalt und interessanterweise verbietet die knappe gesetzliche Regelung vor allem diese Praxis: „Das Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein. Es darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen.“ (§ 109 Abs. 2 GewO). Man kann sich also merken: Das Arbeitszeugnis muss klar und wahr sein. Zusätzlich zu dieser Vorgabe besteht jedoch der Grundsatz des Wohlwollens, der besagt, dass das Zeugnis den Arbeitnehmer in seinem berufliches Fortkommen fördern soll. Dies führt dazu, dass Arbeitgeber oft zwischen der (empfundenen) Zeugniswahrheit und der Verpflichtung zu wohlwollenden Formulierungen hin- und hergerissen ist. Dies führt häufig zu den gefürchteten verschleiernden Formulierungen.


Werden in Arbeitszeugnissen Noten gegeben?


Formal gesehen gibt es in Arbeitszeugnissen kein Notensystem. Dennoch hat sich in der Praxis schon früh eine Notenskala etabliert. Diese Formulierungen sind mittlerweile so standardisiert, dass geschulte Personen ein Arbeitszeugnis mit einer bestimmten "Note" in der Regel korrekt erstellen und interpretieren können. Die bekannteste und wohl auch maßgebende Formulierung ist die oben bereits angesprochene Gesamtbeurteilung. An Schulnoten angelehnt wird in der Regel mit einer sechsstufigen Skala benotet. Typische Varianten, bei denen vor allem bei den unteren Noten der Grundsatz des Wohlwollens erkennbar ist, sind:


Note 1 / sehr gut: "stets zu unserer vollsten Zufriedenheit."

Note 2 / gut: "stets zu unserer vollen Zufriedenheit."

Note 3 / befriedigend: "Zu unserer vollen Zufriedenheit."

Note 4 / ausreichend: "Zu unserer Zufriedenheit."

Note 5 / mangelhaft: "Insgesamt zu unserer Zufriedenheit."

Note 6 / ungenügend: "Hat sich (stets) bemüht."


Schlussformel: Ein Plus, aber kein Anspruch


Dank für geleistete Arbeit, Bedauern über das Ausscheiden und die besten Wünsche für eine erfolgreiche Zukunft - diese Bestandteile des Arbeitszeugnisses wirken zweifellos aufwertend. Doch kann ein Arbeitnehmer im Rahmen des Grundsatzes des Wohlwollens solche Ausführungen im Arbeitszeugnis verlangen?


Nein, gemäß einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.01.2022, Aktenzeichen 9 AZR 146/21, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein Arbeitszeugnis mit einer Schlussformel zu versehen, in der er dem Arbeitnehmer für die geleistete Arbeit dankt und ihm für die Zukunft alles Gute und viel Erfolg wünscht. Das Gericht argumentierte, dass eine solche Dankes- und Wunschformel nur einen unbedeutenden Beitrag zum eigentlichen Zweck des Zeugnisses als Beurteilungsgrundlage für künftige Arbeitgeber leistet. Allerdings wäre die Meinungsfreiheit des Arbeitgebers beeinträchtigt, wäre er verpflichtet, in jedem Arbeitszeugnis innere Gedanken und Gefühle für den ausscheidenden Arbeitnehmer zu äußern.

Kein Bedauern mehr wegen nervender Korrekturwünsche: Nachträgliche Entfernung der Schlussformel trotzdem nicht zulässig


Einmal getroffene Bewertungen in Arbeitszeugnissen haben eine bindende Wirkung: Solange sich seit der Ausstellung nichts verändert hat, ist es dem Arbeitgeber nicht gestattet, davon abzuweichen. Das ist insbesondere bedeutsam, wenn ein Zwischenzeugnis kurz vor dem Endzeugnis ausgestellt wurde, beispielsweise um dem Arbeitnehmer Bewerbungen zu ermöglichen. Doch was passiert, wenn zwar keine neuen Fakten vorliegen, der Arbeitgeber allerdings aufgrund des Verhaltens des Arbeitnehmers anders empfindet und daher die subjektiven Formulierungen der Schlussformel anpasst oder entfernt?


Der Fall: Nach zwei Korrekturwünschen Ausstellung Streichung der Schlussformel


Eine Arbeitnehmerin erhielt nach zwei Korrekturwünschen eine Version ihres Arbeitszeugnisses, in der die Dankes- und Bedauernsformel im Gegensatz zu den ersten zwei Versionen des Arbeitszeugnisses fehlte. Der Arbeitgeber argumentierte, dass er nun kein Bedauern mehr über das Ausscheiden der Mitarbeiterin empfinde. Die Arbeitnehmerin verlangte vor Gericht die Wiederaufnahme der Schlussformel unter Berufung auf die Bindung des Arbeitgebers an die einmal gewählte Formulierung und das Maßregelungsverbot. Gemäß § 612a BGB ist es verboten, Arbeitnehmer zu benachteiligen, weil sie in zulässiger Weise ihre Rechte ausüben. Der Arbeitgeber argumentierte dagegen, dass dieses Verbot nicht für Ereignisse gelte, die nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stattgefunden hätten. Außerdem bestehe kein Anspruch auf ein Arbeitszeugnis mit einer Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel, da die Aufnahme solcher nicht mehr empfundener Formulierungen der Wahrheit des Zeugnisses widerspreche.


Das Urteil: Bindung an Schlussformel bleibt bestehen


Die Kanzlei KERNER Rechtsanwälte hat den Fall vor dem Arbeits-, Landesarbeits- und schließlich vor dem Bundesarbeitsgericht vertreten. Das Gericht entschied zugunsten der Arbeitnehmerin, dass der Arbeitgeber das Arbeitszeugnis einschließlich der Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel auszustellen habe. Die Weigerung des Arbeitgebers, die ursprünglich verwendeten Schlusssätze auch dem zweimalig korrigierten Zeugnis hinzuzufügen, verstoße gegen das Maßregelungsverbot. Dies gelte auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, insbesondere in Bezug auf das Arbeitszeugnis. Das Maßregelungsverbot schütze die Willensfreiheit des Arbeitnehmers, ohne Angst vor Repressalien durch den Arbeitgeber über die Inanspruchnahme seiner Rechte entscheiden zu können. Das Interesse des Arbeitnehmers, den ursprünglichen Zeugnisinhalt beizubehalten, sei höher zu gewichten als das Interesse des Arbeitgebers, das Zeugnis als Reaktion auf das Verhalten des Arbeitnehmers nachträglich zu ändern, solange keine sachlichen Gründe dafür vorliegen. Obwohl grundsätzlich kein Anspruch auf die Verwendung einer Schlussformel im Arbeitszeugnis besteht, habe der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin durch die nachträgliche Streichung einen Nachteil zugefügt, da diese Schlusssätze dazu beitragen können, die Bewerbungschancen des Arbeitnehmers zu verbessern. Da dieser Nachteil direkt mit der berechtigten Forderung nach Korrekturen verbunden war, war die nachträgliche Streichung unzulässig.


Mehr Informationen zum Thema und zum Urteil finden hier Sie in der ausführlichen Version unseres Blogbeitrags.



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