From the river to the sea - Strafbar, oder nicht?
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Spätestens seit dem 7. Oktober 2023 keimt die Frage auf, ob das Ausrufen der Parole "From the river to the sea, Palestine will be free" strafbar ist. Soweit ersichtlich existieren hierzu derzeit gerade einmal zwei landgerichtliche Urteile - welche die Lage jeweils entgegengesetzt bewerten. Grund genug, sich das Ganze hier einmal genauer anzuschauen.
1. Was spricht gegen die Strafbarkeit?
Gegen die Strafbarkeit spricht zunächst, dass es sich im ersten Teil ganz nüchtern betrachtet erst einmal nur um eine Gebietsbeschreibung handelt - dies sehen auch Amtsgerichte so. Fernerhin ist auch gegen den Wunsch in einem freien Land zu leben nach dem Wortlaut wohl kaum etwas einzuwenden. Vielfach wird der Ausspruch daher auch in Verbindung mit dem Wunsch gebracht, dass Israelis und Palästinenser in einem gemeinsamen, friedvollen Staat leben sollen. Historiker weisen zudem darauf hin, dass die Fluss-Meer-Metapher gar einen biblischen Ursprung habe.
2. Was spricht für die Strafbarkeit?
Das Landgericht Berlin I erkannte hingegen in seiner Entscheidung zwar an, dass der Ausspruch durchaus interpretierbar ist. Gleichwohl folgte es der Auffassung, dass die Hamas die Passage 2017 in ihre Charta aufgenommen habe und es sich daher dabei nicht mehr bloß um eine neutrale Gebietsbeschreibung handele, sondern vielmehr um "eine Chiffre für den Kampf der Hamas gegen Israel und für die sprachlich nur angedeutete, aber inhaltlich unverkennbare Bedrohung für die Existenz des Staates Israel". Man gelangt damit zu dem Ergebnis, dass in dem Zitat ein Aufruf zur gewaltsamen Vernichtung des Staates Israel und seiner Bewohner liege. Von der biblischen Interpretationsweise ist in dem Urteil jedoch in keiner Silbe die Rede.
Folgt man dem, so käme eine Strafbarkeit wegen dem Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen in Betracht. Eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung erscheint demnach zunächst ebenfalls erst einmal naheliegend, dürfte aber regelmäßig ausscheiden, da der Tatbestand nur inländische Personengruppen schützt, nicht aber gegen im Staat Israel lebende Juden.
3. Was sagt der BGH?
Bislang: Nichts. Auf absehbare Zeit wird sich hieran auch leider nichts ändern, da der Bundesgerichtshof als oberstes ordentliches Gericht nur Fälle entscheidet, die letztinstanzlich an ihn herangetragen werden. Eine Revision mit entsprechendem Sachverhalt wurde aber erst vor kurzem zurückgenommen, sodass ein entsprechender Fall, den man entscheiden könnte, nicht mehr vorliegt. Dies ist hochgradig bedauerlich, da nach einer entsprechenden Entscheidung bei diesem in der Rechtsprechung ungleich behandelten Thema Klarheit geherrscht hätte.
Insoweit kann man nur auf in ähnlichen Fällen bereits ergangene Rechtsprechung des BGH zurückgreifen und folgendes Bild zeichnen: Demnach soll es alleine darauf ankommen, ob sich eine verbotene Organisation den Spruch durch Widmung oder bestimmte Kommunikationen zu eigen gemacht hat. Diese Maßgaben wurden indes lediglich im Zusammenhang mit Zeichen und Symbolen entwickelt und es ist gerade noch nicht klar, inwieweit sich diese Grundsätze auf Sprüche oder Sätze übertragen lässt - die eben einer Interpretation zugänglich sind.
4. Wie verhalte ich mich jetzt?
- Die Innenministerin untersagte in einem sich direkt an die Terrorgeschehnisse des 07.10.2023 anschließenden Verfügungsverbot vom 02.11.2023 neben Flaggen und Symbole der Hamas auch den Ausspruch "from the river to the sea". Dies dürfte vielfach Staatsanwaltschaften dazu ermuntert haben, entsprechende Äußerungen zu ahnden (wodurch das Thema aktuell erst an Brisanz gewonnen hat), stellt aber in erster Linie zunächst einmal nur eine politisch motivierte Entscheidung dar, welche nicht nach Belieben Grundlage eines Straftatbestandes werden darf.
- Ganz im Gegenteil: Das Bundesverfassungsgericht verpflichtet die Strafgerichte wegen der Bedeutung der Meinungsfreiheit bei mehrdeutigen Aussagen - außer wenn dies völlig fernliegend erscheint - eine straflose Interpretation zugrunde zu legen. Dem ist vollumfänglich zuzustimmen.
- Mit dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung im Nacken lässt sich folgende Aussage treffen: Wird die Parole in kontextualem Zusammenhang mit einem generell israel- oder insbesondere judenfeindlichen Auftreten benutzt, wird sich der Interpretationskorridor einengen und sich eher in eine strafbare Richtung deuten lassen, als wenn man den Ausspruch entweder vollkommen isoliert verwendet, oder aber ihn gar auf Friedensdemonstrationen oder im Zusammenhang mit bloßer Kritik am politischen Agieren des Staates Israel benutzt. Dann - so meine Deutungsweise nach den eindeutigen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes - ist bei der vielfachen Interpretierbarkeit der Parole im Lichte der Meinungsfreiheit eine Strafbarkeit nicht mehr zu rechtfertigen und würde gleichsam einem Mundverbot gleichkommen, welches mit einem freiheitlich-demokratisch geprägten Rechtsstaat nicht mehr viel zu tun hat.
Dennoch: Vor einer entsprechend höchstrichterlichen Entscheidung ist es definitiv sicherer, die Parole nicht auszusprechen. Sollte gegen Sie dennoch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sein, wenden Sie sich gerne an mich. Ich verteidige sowohl politische Straftaten als auch in allen anderen Belangen des Strafrechts.

AS-Strafverteidigung
Adrian Schmid
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht
info@as-strafverteidigung.de
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