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Hindernis Kehrmaschine: Wer haftet bei einem Unfall?

  • 5 Minuten Lesezeit
Sandra Voigt anwalt.de-Redaktion

Gerade in Innenstädten landet ständig Müll auf den Straßen, der von der Gemeinde mittels Kehrmaschinen in regelmäßigen Abständen beseitigt wird. Diese bewegen sich aber zumeist nur sehr langsam fort, sodass die von hinten herannahenden Fahrzeugführer bei der erstbesten Gelegenheit versuchen, die Kehrmaschine zu überholen. Passiert dabei ein Unfall, stellt sich die Frage, wer schuld daran war und somit haften muss.

Zusammenstoß mit wendender Kehrmaschine

Nur 500 Meter von seinem Wohnsitz entfernt wurde ein Autofahrer in einen Unfall mit einer Kehrmaschine verwickelt. Die fuhr zum Zweck der Straßenreinigung mit nur ca. 6 km/h nahe dem rechten Straßenrand entlang. Das war dem Autofahrer jedoch zu langsam – da nur 30 km/h erlaubt waren, setzte er mit ca. 16 bis 19 km/h zum Überholen an. Als er sich auf Höhe der riesigen Kehrmaschine befand, zog deren Fahrer plötzlich nach links und krachte in sein Kfz.

Der Autofahrer verlangte daraufhin Schadenersatz. Schließlich habe der Führer der Kehrmaschine einfach nach links gelenkt, ohne seine Wendeabsicht z. B. mittels Setzen eines Blinkers anzuzeigen. Auch habe er nicht mit einem spontanen Abbiegen rechnen müssen – weil das Ende der Straße noch nicht erreicht wurde, habe er vielmehr davon ausgehen dürfen, dass die Kehrmaschine geradeaus weiterfährt, um die gesamte Straße vom Müll zu befreien.

Sein Unfallgegner lehnte jegliche Zahlung ab. Im Übrigen sei dem Autofahrer zumindest ein Mitverschulden anzurechnen, weil er das ständig angeschaltete gelbe Blinklicht am Dach der Kehrmaschine nicht beachtet und trotz einer unklaren Verkehrslage überholt habe. Auch wende der Fahrer seine Kehrmaschine stets vor dem Ende der Straße, um die andere Seite zu reinigen – das müsse dem Autofahre bekannt sein, weil er in der Nähe wohne. Der Streit der Parteien endete vor Gericht.

Autofahrer hat Anspruch auf Schadenersatz

Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf entschied, dass der Kehrmaschinenführer den Unfall allein verschuldet hat. Damit konnte der Autofahrer seinen Schaden zu 100 % ersetzt verlangen.

Fehlverhalten des Kehrmaschinenfahrers

Der Führer der Kehrmaschine hatte gegen § 9 V Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen. Nach dieser Vorschrift müssen sich Verkehrsteilnehmer beim Wenden oder Abbiegen so verhalten, dass sie andere Teilnehmer am Straßenverkehr nicht gefährden. So muss man seine Abbiege- bzw. Wendeabsicht gemäß § 9 I 1 StVO ferner mittels Setzen des Blinkers und Verringerung der Geschwindigkeit deutlich anzeigen. Auch sollte man sich beim Linksabbiegen deutlich zur Straßenmitte einordnen und durch die doppelte Rückschau vergewissern, dass die Fahrbahn frei ist.

Diese Pflichten hat der Fahrer der Kehrmaschine vorliegend nicht beachtet. Er hatte keinen Blinker gesetzt, sich nicht zur Straßenmitte hin eingeordnet und auch seine doppelte Rückschaupflicht verletzt. Anderenfalls hätte er nämlich das Kfz neben sich bemerkt und vom Wendemanöver abgesehen. Somit war allein sein Verhalten ursächlich für die Kollision der beiden Fahrzeuge.

Vorrecht der Kehrmaschine wegen gelben Blinklichts?

Das gelbe Blinklicht auf dem Dach der Kehrmaschine führte nicht zu irgendwelchen Sonderrechten. Nach § 38 III StVO dient ein gelbes Blinklicht eher der Warnung vor einer Gefahr, z. B. wenn das Fahrzeug besonders breit oder langsam ist. Es hat nicht dieselbe Wirkung wie ein Blaulicht, wonach Verkehrsteilnehmer sofort freie Bahn zu schaffen haben, um zu gewährleisten, dass etwa die Polizei oder ein Krankenwagen schnell genug vorankommen und Menschenleben retten können, vgl. § 38 I StVO.

Der Fahrer der Kehrmaschine durfte somit nicht erwarten, dass die von hinten herannahenden Verkehrsteilnehmer nicht überholen, um ihm eine ständige Wendemöglichkeit einzuräumen.

Mitverschulden des Autofahrers?

Nach Ansicht der Oberlandesrichter war dem Geschädigten kein Mitverschulden am Unfall anzurechnen.

a. War mit der Kollision zu rechnen?

So hatte der Fahrer die Kehrmaschine derart spontan nach links gelenkt, dass der Autofahrer neben ihm nicht mehr schnell genug reagieren konnte, um eine Kollision zu vermeiden.

Auch wenn der Autofahrer nahe der Unfallstelle wohnte, musste ihm ferner nicht bekannt sein, dass die Kehrmaschine gewohnheitsmäßig bereits vor dem Ende der Straße gewendet wurde.

b. Geschwindigkeitsüberschreitung?

Des Weiteren war er nicht zu schnell unterwegs – er hatte nämlich die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h nicht überschritten, sondern die Kehrmaschine mit nur 16 bis 19 km/h zu überholen versucht. Damit hatte er § 3 I StVO nicht verletzt.

c. Seitenabstand nicht eingehalten?

Auch ein Verstoß gegen § 5 IV 2 StVO war nicht ersichtlich. Zwar konnte nicht mehr ermittelt werden, ob der Autofahrer beim Überholen tatsächlich einen ausreichenden Seitenabstand von mindestens einem Meter eingehalten hatte. Allerdings stellte ein Sachverständiger klar, dass der Unfall selbst durch das Einhalten des erforderlichen Seitenabstands nicht verhindert worden wäre.

d. Überholen bei unklarer Verkehrslage?

Im Übrigen hatte der Autofahrer nicht bei unklarer Verkehrslage gemäß § 5 III Nr. 1 StVO überholt. Eine solche liegt vor, wenn ein problemloses und sicheres Überholen nicht gewährleistet ist, z. B. weil der Vordermann blinkt, ansonsten aber keine Anstalten macht, tatsächlich abzubiegen, weil seine Fahrweise unsicher erscheint oder weil aufgrund einer Kurve nicht erkennbar ist, ob sich Gegenverkehr nähert.

Vorliegend durfte der Autofahrer aber aus mehreren Gründen mit einem problemlosen Überholen rechnen: Er durfte erwarten, dass die Kehrmaschine nicht wendet, bis die rechte Straßenseite komplett gereinigt ist. Auch durfte er davon ausgehen, dass sich der Fahrer der Kehrmaschine an die Verkehrsregeln hält und erst wendet, wenn dies gefahrlos möglich ist. Letztlich deutete – wie bereits erklärt – auch die Fahrweise vor dem Unfall nicht darauf hin, dass der Unfallverursacher plötzlich nach links ziehen würde. Allein das langsame Fahren mit nur 6 km/h begründete keine unklare Verkehrslage – ansonsten dürften langsame Fahrzeuge gar nicht mehr überholt werden.

e. Anrechnung der Betriebsgefahr?

Letztlich musste sich der Autofahrer auch nicht die Betriebsgefahr seines Kfz – also die Gefahr, die von einem Fahrzeug ausgeht, wenn es betrieben wird – anrechnen lassen. Schließlich hatte der Kehrmaschinenfahrer derart grob gegen seine Verkehrspflichten verstoßen, dass die Oberlandesrichter es für angemessen hielten, ihm die Alleinhaftung „aufzubrummen“.

(OLG Düsseldorf, Urteil v. 04.04.2017, Az.: I-1 U 125/16)

(VOI)

Foto(s): ©Fotolia.com

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