Höhe des Bußgeldes kann sich wegen Irrtums bei Geschwindigkeitsüberschreitung verringern

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Eine der häufigsten Unfallursachen in Deutschland stellt die Geschwindigkeitsüberschreitung durch Autofahrer dar. Aus diesem Grund werden solche mit hohen Bußgeldern bestraft. Doch wie wirkt es sich auf die Höhe des Bußgeldes aus, wenn der Autofahrer wegen uneindeutiger Straßenbeschilderung einem Irrtum hinsichtlich des Tempolimits unterlag? Diese Frage lag dem Beschluss des OLG Brandenburg vom 17.11.2022 (2 OLG 53 Ss – Owi 388/22) zugrunde, welches genau zwischen der Bewertung von Vorsatz und Fahrlässigkeit des Autofahrers differenziert.

Die Unterscheidung zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung ist vor allem deshalb wichtig, weil dies große Auswirkungen auf die Höhe des Bußgeldes haben kann.

Was war geschehen? Worüber musste das Gericht für Verkehrsrecht entscheiden?

Der Betroffene fuhr mit seinem Pkw außerorts auf einer Bundesautobahn, wobei er die durch entsprechende Beschilderung angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um mindestens 35 km/h überschritten hatte.

Das Tempolimit wurde aufgrund der dortigen unebenen Fahrbahn angeordnet durch beidseitige Beschilderung mit Zusatzzeichen 112. Als der Betroffene keine Fahrbahnschäden in Form von Fahrbahnaufwölbungen mehr auf der Straße erkennen konnte, beschleunigte er auf Höhe der Messstelle bewusst von 100 km/h auf 135 km/h, da er dachte, dass der Bereich der unebenen Fahrbahn bereits beendet war und das Tempolimit deshalb nicht mehr gelte.

Auch andere Autofahrer beschleunigten an dieser Stelle ihre Fahrzeuge – wohl in derselben Annahme. Allerdings bestand auf dieser Höhe die Gefahr von Fahrbahnschaden tatsächlich noch fort.

Entscheidung des Amtsgericht Cottbus – beeinflusst der Irrtum über die Geschwindigkeitsüberschreitung die Höhe des Bußgeldes?

In seiner Entscheidung vom 25.05.2022 beurteilte das Amtsgericht Cottbus das Vorgehen des Betroffenen als vorsätzlich und begründete es damit, dass die „völlig eigenmächtige Auslegung“ des Betroffenen hinsichtlich der Beschilderung bzw. Gefahrenlage auf der Fahrbahn „nicht als Irrtum zu seinen Gunsten gewertet werden“ könne.

Aus diesem Grund verhängte das Amtsgericht Cottbus gegen den Beschuldigten eine Geldbuße in Höhe von 240 Euro wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 35 km/h.

Dagegen hat der Betroffene daraufhin die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und die Verletzung materiellen Rechts dahingehend gerügt, dass das Amtsgericht Cottbus fälschlicherweise eine vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung angenommen hatte.

Das OLG Brandenburg hat die Rechtsbeschwerde mit diesem Beschluss zugelassen und dem Bußgeldsenat übertragen.

Vorsätzliche oder fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung beeinflusst Höhe der Geldbuße

Wesentlich für die Festlegung der Bußgeldhöhe ist hier die Differenzierung zwischen der vorsätzlichen und fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung dahingehend, ob es sich um eine fahrlässige Fehlbeurteilung der Fahrsituation handelt oder einen vorsätzlichen Verstoß gegen Verkehrsregeln darstellt.

So bestimmt § 17 Abs. 2 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG), dass fahrlässiges Handeln maximal mit der Hälfte der höchstmöglichen Geldbuße für vorsätzliches Verhalten geahndet werden kann. Dies gilt dann, wenn sowohl vorsätzliches als auch fahrlässiges Verhalten mit einer Geldbuße bedroht ist, das Gesetz aber nicht im Hinblick auf die höchstmögliche Geldbuße unterscheidet.

Es macht im Ergebnis also einen wesentlichen Unterschied für die Bußgeldhöhe, ob der Betroffene vorsätzlich oder fahrlässig handelte.

Dieser Aspekt kann Bestandteil einer effektiven Verteidigungsstrategie sein.

Wann hat man fahrlässig die Höchstgeschwindigkeit überschritten?

Zu unterscheiden sind fahrlässiges Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit und vorsätzliches Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit.

Vorsatz meint die Kenntnis und der Wille zur Begehung einer Ordnungswidrigkeit. Mindestens muss der Beschuldigte die Verwirklichung der Ordnungswidrigkeit durch sein Verhalten für möglich gehalten und dies billigend in Kauf genommen haben.

Soweit (aber auch nur dann) das Gesetz anordnet, dass auch die fahrlässige Begehung einer Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, so ist auch bei Verneinung einer vorsätzlich begangenen Ordnungswidrigkeit, dann zu prüfen, ob der Beschuldigte fahrlässig handelte und demnach z.B. wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung geahndet werden kann.

Fahrlässigkeit meint vereinfacht ausgedrückt, die Nichtbeachtung der erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt. Verletzt man eine Sorgfaltspflicht und begeht dadurch eine Ordnungswidrigkeit und war dies sowohl vorhersehbar als auch vermeidbar, so steht ein Fahrlässigkeitsvorwurf im Raum.

Kein Vorsatz bei Irrtum über Tatumstände

Vorsatz entfällt gemäß § 11 Abs.1 S.1 OWiG dann, wenn der Beschuldigte bei Begehung der Tat Umstände nicht kennt, die zum gesetzlichen Tatbestand der Ordnungswidrigkeit gehören. In diesem Fall steht aber dennoch eine fahrlässig begangene Ordnungswidrigkeit im Raum.

Keine Kenntnis, etwas Verbotenes zu tun – Vorsatz oder Fahrlässigkeit?

Fehlt der Person bei Begehung der Handlung die Einsicht, etwas Unerlaubtes zu tun, namentlich weil sie das Bestehen oder die Anwendbarkeit einer Rechtsvorschrift nicht kennt, so handelt sie gemäß § 11 Abs. 2 OWiG dann nicht vorwerfbar, wenn sie diesen Irrtum nicht hätte vermeiden können. Handelt es sich jedoch um einen vermeidbaren Irrtum, so kommt sowohl eine fahrlässige als auch vorsätzliche Tatbegehung in Betracht.

Beschluss des OLG Brandenburg – Wann liegt nur eine fahrlässige Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit vor? Wann vorsätzliche Überschreitung erlaubte Höchstgeschwindigkeit?

In seinem Beschluss entschied das OLG Brandenburg, dass das Amtsgericht Cottbus fälschlicherweise eine vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung annahm.

Es ist insbesondere entscheidend, wovon genau der Betroffene ausgegangen ist und wo genau die Fehlvorstellung lag.

Zwar hat der Beschuldigte nach den getroffenen Feststellungen die durch die Beschilderung angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung aufgrund der Beschilderung wahrgenommen und nach zunächst erfolgter Geschwindigkeitsanpassung daraufhin bewusst zur Beschleunigung auf 135 km/h entschieden. Allerdings lag dies der irrigen Annahme zugrunde, dass das Tempolimit nicht mehr fortgelten würde. So nahm er irrig an, dass die die Geschwindigkeitsbegrenzung begründenden Fahrbahnschäden nunmehr beendet sind und daher auch kein Grund für die Geschwindigkeitsbegrenzung vorläge. Insoweit hat sich der Beschuldigte nicht über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer Geschwindigkeitsbegrenzung an sich geirrt, was als vermeidbarer Verbotsirrtum im Sinne des § 11 Abs. 2 OWiG zu qualifizieren wäre und demnach die Annahme einer vorsätzlichen Tatbegehung nicht auszuschließen wäre. Vielmehr betrifft sein Irrtum die äußeren Umstände rund um die Geschwindigkeitsbegrenzung, welche er als Teil des Tatbestands falsch beurteilt hat, so dass in der Folge kein Vorsatz gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 OWiG anzunehmen ist.

Irrtum bezieht sich auf die Örtlichkeit selbst – Vorsatzausschließender Irrtum über Tatumstände

Der Irrtum des Betroffenen bezog sich auf den äußeren Umstand, dass die zuvor ausgewiesene Gefahrenstelle auf der in Rede stehenden Höhe der Fahrbahn bereits geendet hatte.

So ist die Aufhebung eines im Zusammenhang mit einem Gefahrenzeichen angeordneten Streckenverbots auch ohne entsprechende Beschilderung möglich, wenn sich aus der Umgebung ohne Zweifel ergibt, ab welcher Stelle die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht.

Der Betroffene konnte aus rechtlicher Sicht also aufgrund der scheinbar geendeten Gefahrenstelle zulässigerweise davon ausgehen, dass auch ohne entsprechende Beschilderung die Straßenschäden mangels erkennbarer Fahrbahnaufwölbungen nicht mehr fortbestehen und die daran geknüpfte Geschwindigkeitsbegrenzung entfällt.

Er hat demnach auf tatsächlicher Ebene verkannt, dass die streckenbezogene Geschwindigkeitsbegrenzung faktisch weiter fortbestand. Immerhin zeichnete das Gefahrenzeichen zu Beginn der Gefahrenstelle nicht die Länge der Gefahrenstelle durch entsprechende (Kilo)Meterangabe aus. Der Betroffene konnte also nicht wissen, wann genau die Gefahrenstelle endet.

Dieser Annahme unterlagen scheinbar auch die anderen Autofahrer, die neben dem Betroffenen ebenfalls beschleunigten.

Mithin handelt es sich um eine fahrlässige Fehleinschätzung hinsichtlich der Örtlichkeit. Aus diesem Grund ging das Oberlandesgericht Brandenburg von einer fahrlässigen und keiner vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung aus.

Wie hoch war das Bußgeld für die fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung?

Das OLG Brandenburg setzte das Bußgeld anstellte der ursprünglichen 240 Euro auf nunmehr 120 Euro fest.

Kein Einzelfall – Rechtsprechung zum Thema Bußgeld bei Irrtum über Geschwindigkeitsbegrenzungen

Das OLG Zweibrücken setzt sich in seinem Beschluss vom 11.07.2022 (1 OWi 2 SsRs 39/22) mit dem subjektiven Tatbestand bei Geschwindigkeitsverstößen auseinander. Darin wird thematisiert, dass bei einer relativ niedrigen Geschwindigkeitsüberschreitung von 22 km/h (gemessen am absoluten Maß der zulässigen Geschwindigkeit) nicht ohne weitere Anhaltspunkte stets angenommen werden kann, der Autofahrer habe unter Hinzuziehung weiterer äußerer Kriterien ohne Weiteres diese Geschwindigkeitsüberschreitung erkennen können.

Solche äußeren Kriterien sind etwa Motorengeräusche, sonstige Fahrgeräusche, Fahrzeugvibration und Schnelligkeit der Änderung in der Umgebung.

Vielmehr bedarf es dann zur Annahme einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung weiterer konkreter Anhaltspunkte.


Mit Beschluss vom 27.02.2023 (3 ORbs 22/23) hat sich das Kammergericht Berlin mit dem (angeblichen) Nichtbemerken eines Verkehrszeichens und dessen Folgen auseinandergesetzt.

Grundsätzlich könne das Berufen auf ein „Augenblicksversagen“ nur in besonders gearteten Ausnahmefällen herangezogen werden. Im vorliegenden Fall konnte sich der Kraftfahrer schon deshalb nicht auf „Augenblicksversagen“ hinsichtlich des angeblich übersehenen Verkehrszeichens 274 berufen, weil er bereits die innerörtlich üblicherweise geltende Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h um 12 km/h überschritten hatte.


In einem Beschluss vom 27.09.2022 (1 OLG 53 Ss-OWi 397/22) weist das Oberlandesgericht Brandenburg darauf hin, dass auch die Erheblichkeit der Geschwindigkeitsüberschreitung alleine Vorsatz begründen kann.

Der Betroffene überschritt außerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 52 km/h.  Gerade einem geübten Autofahrer kann hier unterstellt werden, auch ohne ständigen Blick aufs Tachometer erkennen zu können, dass die zugelassene Höchstgeschwindigkeit um mehr als 50 % überschritten wird. Hierfür gäbe es genügend äußere Umstände wie beispielsweise Motorengeräusche als Anhaltspunkte für die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung.

Anhörungsbogen oder Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsüberschreitung erhalten – was tun?

Sollten Sie einen Anhörungsbogen oder einen Bußgeldbescheid wegen des Vorwurfs einer Geschwindigkeitsüberschreitung erhalten haben, sollten Sie zunächst Ruhe bewahren und sich dann so schnell wie möglich an einen erfahrenen und spezialisierten Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Strafrecht wenden. Dieser kennt die einschlägige Rechtsprechung und typische Fehlerquellen von Bußgeldbescheiden und Ordnungswidrigkeitenverfahren im Straßenverkehr und kann Sie entsprechend umfassend über die nun bestehenden rechtlichen Möglichkeiten beraten.



Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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