Kurzarbeit im Vorfeld einer Insolvenz und Auswirkungen auf das Insolvenzgeld

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Vorab: Das Insolvenzgeld ist im Insolvenzeröffnungszeitraum im Normalfall die „attraktivere“ Lohnersatzleistung. Sie gewährt dem Arbeitnehmer 100 % des Nettoeinkommens. Das Kurzarbeitergeld ersetzt momentan je nach Dauer und familiärer Situation zwischen 60 und 87 % des ausgefallenen Nettolohns.  Im Gegensatz zum Kurzarbeitergeld erhalten auch geringfügig Beschäftigte Insolvenzgeld, da es nicht erforderlich ist, dass der Beschäftigte der Beitragspflicht unterliegt (Insolvenzgeld wird durch Arbeitgeberumlage finanziert).

Bei der Leistung von Insolvenzgeld handelt sich zwar um eine Vorschussleistung und der Bundesagentur für Arbeit erwächst ein Erstattungsanspruch gegen das Unternehmen, doch bei diesem handelt es sich um eine bloße Insolvenzforderung (vergl. 55 Abs. 3 InsO). Die Einführung / Beibehaltung von Kurzarbeit nach Insolvenzantragstellung ist bei gegebener Sanierungsmöglichkeit zwar denkbar, erscheint aber auf Grund der Vorteile des Insolvenzgeldes weniger oft sinnvoll.

 

 

A) Kurzarbeitergeld im Vorfeld einer Insolvenz

 

Sowohl im Vorfeld eines Insolvenzantrages, als auch nach Stellung des Insolvenzantrages ist die Einführung von Kurzarbeit mit entsprechender Individualvereinbarung oder Betriebsvereinbarung möglich.

 

I. Grundlage für die Einführung von Kurzarbeit im Betrieb

Eine gesetzliche Anordnungsbefugnis für die Einführung von Kurzarbeit gibt es nicht. Der Arbeitgeber kann Kurzarbeit daher nicht einseitig anordnen. Der Arbeitnehmer muss seine Arbeitskraft anbieten. Der Arbeitgeber muss diese in voller Höhe vergüten und zwar auch dann, wenn er den Arbeitnehmer mangels Arbeitsanfall nicht einsetzen kann. Will er das nicht, muss er eine Individualvereinbarung mit jedem einzelnen Arbeitnehmer treffen oder eine wirksame kollektivrechtliche Regelung treffen [vergl. BAG Urteil vom 18.101994 1 AZR 503/93].

Eine kollektivrechtliche Vereinbarung sollte sich dabei auch immer mit der Frage befassen, ob die Gewährung von Kurzarbeitergeld durch die Arbeitsverwaltung sichergestellt sein muss [BAG, aaO].

 

Achtung: Wenn bei der Einführung der Kurzarbeit Fehler unterlaufen, besteht das Arbeitsverhältnis in seiner ursprünglichen Gestalt fort. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Arbeitsagenturen aufgrund unwirksam eingeführter Kurzarbeit gewährtes Kurzarbeitergeld zurückfordern.

 

I. Gesetzliche Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld, § 95 SGB III

 

Arbeitnehmer/innen haben Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 95.ff. SGB III vorliegen.

                                                                                                     

1. Erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall (Legaldefinition § 96 SGB III)

Erheblich ist der Arbeitsausfall, wenn er auf wirtschaftlichen Gründen (pandemiebedingt z.B. Mangel an Rohstoffen, Störung des globalen Wirtschaftskreislaufes) oder einem unabwendbaren Ereignis (z.B. Betriebsschließungsanordnung, Quarantäne) beruht und vorübergehend ist, nicht vermeidbar ist und mindestens 10 % (Erleichterung bis 31.12.2021) der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer/innen von einem Entgeltausfalls von jeweils mehr als 10 % betroffen sind. Da § 97 S. 2 SGB III bestimmt, dass Betrieb im Sinne der Vorschriften über das Kurzarbeitergeld auch eine Betriebsabteilung ist, reicht es, wenn 10 % der Beschäftigten einer Betriebsabteilung betroffen sind.

 

2. Betriebliche Voraussetzungen (Legaldefinition § 97 SGB III)

Die betrieblichen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn mindestens ein Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt ist.

 

  1. Persönliche Voraussetzungen (§ 98 SGB III)

Der jeweilige Arbeitnehmer muss versicherungspflichtig beschäftigt sein. Daher gibt es kein Kurzarbeitergeld für geringfügig Beschäftigte.

Außerdem darf das Arbeitsverhältnis weder gekündigt noch durch Aufhebungsvertrag aufgelöst sein. Hierbei entfällt die persönliche Voraussetzung nicht erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern bereits  ab Zugang der Kündigung oder Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages.

 

3. Anzeige an die zuständige Arbeitsagentur (§ 99 SGB III)

In seiner Anzeige an die zuständige Arbeitsagentur hat der Arbeitgeber glaubhaft zu machen, dass ein erheblicher Arbeitsausfall und die betrieblichen Voraussetzungen vorliegen.

 

II. Schwierigkeiten bei Vorliegen oder Drohen eines Insolvenzereignisses

 

Aus dem oben dargestellten Voraussetzungen ergibt sich, dass die Möglichkeit für die Gewährung von Kurzarbeitergeld nur bei einem vorübergehenden Arbeitsausfall gegeben ist. Ziel des Instrumentariums Kurzarbeit ist die Vermeidung von Arbeitslosigkeit.

Daraus folgt unmittelbar, dass nach Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld nur erfüllt sind, wenn trotz Stellen des Insolvenzantrages eine Sanierung und Fortführung des Betriebes überwiegend wahrscheinlich ist.

 

 

III. Weisung der Bundesagentur 202004012

 

Mit Datum vom 28.04.2020 hat die Bundesagentur für Arbeit die Weisung mit der laufenden Nummer 202004012 unter dem Geschäftszeichen GR 22 – 75095 /75165 erteilt. Mit dieser Weisung wird der Umgang der Mitarbeiter der Bundesagentur bei dem Zusammenfallen von Kurzarbeitergeld mit Insolvenzen sowie Insolvenzgeld geregelt. Es handelt sich um eine Dienstanweisung.

 


1. Kurzarbeitergeld im Betrieb bereits vor Stellung des Insolvenzantrages

 

Wie erörtert, kann in Fällen, in denen Kurzarbeit bereits vor Erstellung des Insolvenzantrages eingeführt wurde, das Kurzarbeitergeld nach der Stellung des Insolvenzantrages weiter gewährt werden, wenn die Voraussetzungen der Paragrafen 95 ff. SGB III weiterhin vorliegen.

Hierzu gibt die Bundesagentur in Ihrer Dienstanweisung (Weisung 202004012) vor kritisch zu prüfen, ob die Ursachen für den Arbeitsausfall vorübergehend sind.

Definiert wird ein Arbeitsausfall in der Weisung als vorübergehend, wenn begründete Erwartungen für eine Betriebsfortführung und die Rückkehr zur Vollarbeit bestehen. Nach den Gesamtumständen des Einzelfalles muss mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit voraussehbar sein, dass in absehbarer Zeit wieder mit dem Übergang zur Vollarbeit zu rechnen ist [Vergl.  BSG vom 17.5.1983  7 RAr 13/82].

 

2. Einführung von Kurzarbeit nach Stellung des Insolvenzantrags

 

Kurzarbeitergeld kann auch nach der Stellung eines Insolvenzantrages weiter gewährt werden, wenn die Voraussetzungen für die Zahlung von Kurzarbeitergeld weiter vorliegen. Die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge ist in solchen Fällen nicht möglich.

Ab dem Abrechnungsmonat, in dem der Insolvenzantrag gestellt wurde, erfolgt keine Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge nach § 2 der Verordnung über Erleichterungen der Kurzarbeit. Hierbei geht die Bundesagentur aus Vereinfachungsgründen jedoch erst ab diesem Abrechnungsmonat vor einer Anfechtbarkeit nach §§ 129 ff Insolvenzordnung aus.

 

 

B) Insolvenzgeld bei vorherigem Bezug von Kurzarbeitergeld

 

Es stellt sich die Frage, wie sich rechtmäßig angeordnete Kurzarbeit auf das Insolvenzgeld auswirkt.

 

I.

Arbeitnehmer/innen haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftig waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen Monate des Arbeitsverhältnisses noch Anspruch auf Arbeitsentgelt haben, § 165 SGB III.

 

Das heißt in der Regel bekommen Arbeitnehmer/innen in dem Dreimonatszeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Insolvenzgeld.

Das Insolvenzgeld wird in Höhe des Nettoarbeitsentgelts gewährt. Die Bundesagentur berücksichtigt zur Berechnung jedoch nur das Brutto-Arbeitsentgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Sonderleistungen mit denen erbrachte Arbeitsleistung vergütet werden soll, werden hierbei in der Regel mit 3/12 der Gesamtleistung berücksichtig. Zur Bewertung der Frage, ob die Sonderleistung Arbeitsleistung und nicht z.B. Betriebstreue vergüten soll, ist die individuelle vertragliche Regelung der Sonderleistung (z.B. Weihnachtsgeld)  zu betrachten.

Die Höhe des Insolvenzgeldes bei vorherigem Bezug von Kurzarbeitergeld ist vom Einzelfall abhängig.

 

II Weisung der Bundesagentur und Problem

Aus Sicht der Bundesagentur Weisung 202004012 besteht ein Anspruch auf Insolvenzgeld bei Kurzarbeit im Insolvenzgeldzeitraum nur in Höhe des verbleibenden Ist-Entgelts.  

 

Es stellt sich die Frage was ist das Ist-Entgelt? Hat ein Arbeitnehmer bei Kurzarbeit auf 0 am Ende für den Insolvenzgeldzeitraum unter Umständen trotz bestehendem Arbeitsverhältnis weder Anspruch auf Insolvenzgeld noch Anspruch auf Kurzarbeitergeld?

 

1.  Weiter bestehender Anspruch auf Kurzarbeitergeld

Zunächst kann wie oben bereits dargelegt auch während des Insolvenzeröffnungszeitraums ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld bestehen, wenn der Arbeitsausfall vorübergehend ist. Dieser ist vorübergehend, wenn bei einer Prognoseentscheidung wahrscheinlich ist, dass es im eröffneten Insolvenzverfahren zu einer Fortführungslösung unter Erhalt der Arbeitsplätze kommt. Diesen Punkt wird die Bundesagentur – wie ihrer Weisung – zu entnehmen ist sehr kritisch prüfen. Falls der Anspruch auf Kurzarbeitergeld besteht, wird er auch im Insolvenzgeldzeitraum bezahlt und zwar bei ausreichender Liquidität zunächst verauslagt durch den Arbeitgeber mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters oder durch Weiterleitung der seitens der Bundesagentur eingehenden Gelder.

 

2. Kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld, aber rechtswirksam eingeführte Kurzarbeit

In allen anderen Fällen, besteht für Fortgewähr von Kurzarbeitergeld nach Insolvenzantragstellung kein Raum und zwar auch dann nicht, wenn die Kurzarbeit arbeitsrechtlich rechtswirksam eingeführt wurde und für die Arbeitsverhältnis entsprechend Kurzarbeit gilt.

 

a) Möglichkeit der Beendigung der Kurzarbeit

Es ist dann im Einzelfall zu prüfen, ob die Kurzarbeit (vorzeitig) möglichst noch vor Insolvenzantragstellung beendet werden kann. Dies wäre zum Beispiel möglich, wenn die Einführung der Kurzarbeit unter der auflösenden Bedingung der Stellung eines Insolvenzantrages vorgenommen wurde oder es sich um eine einzelvertragliche Vereinbarung handelt, welche übereinstimmend aufgehoben werden kann.

Besteht die rechtliche Möglichkeit die Kurzarbeit zu beenden, besteh ab diesem Zeitpunkt der Anspruch auf Insolvenzgeld in Höhe des ungekürzten Arbeitsentgelts.

Der spätere potentielle Bezug von Insolvenzgeld sollte daher nach Möglichkeit schon bei Einführung der Kurzarbeit zu beachten. Nur durch explizite Regelung in den Individualvereinbarungen zur Kurzarbeit mit den Arbeitnehmern (bzw. expliziter Regelung in der Betriebsvereinbarung) kann gesichert werden, dass die Stellung eines Insolvenzantrags zur automatischen Rückkehr zur Vollarbeit führt.

 

 

b) Keine Möglichkeit der Beendigung, aber Gehaltsanspruch bzw. Insolvenzgeldanspruch in Höhe des Kurzarbeitergeldes

Besteht keine rechtliche Möglichkeit der sofortigen Beendigung der eingeführten Kurzarbeit und gleichzeitig kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld, behält der Arbeitnehmer seinen Lohnanspruch in Höhe des Kurzarbeitergeldes [vergl. BAG 11.Juli 1990 5 AZR557/89].

 

Nach der Rechtsprechung des BAG entfällt bei einer gegenüber dem Arbeitnehmer rechtmäßig und wirksam angeordneten Kurzarbeit die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ganz (bei Kurzarbeit Null“) oder teilweise. Annahmeverzug im Sinne von § 615 des BGG tritt nach der Rechtsprechung insoweit nicht ein Die Kurzarbeit stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls zu tragen, also Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers die Vergütung in voller Höhe weiterzuzahlen hat, wenn der Arbeitnehmer insoweit seine Arbeitskraft angeboten hat [BAG Urteil vom 22.04.2009 5 AZR 310/08; BAG Urteil vom 11.Juli 1990 5 AZR 557/89].

 

Der Arbeitnehmer behält nach der Rechtsprechung des BAG jedoch während der Kurzarbeit den Lohnanspruch in Höhe des Kurzarbeitergeldes. Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers entfällt also nicht vollständig. Sind die sozialrechtlichen Voraussetzungen in §§ 169ff SGB III für den Bezug von Kurzarbeitergeld erfüllt, wird das aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit finanzierte Kurzarbeitergeld vom Arbeitgeber errechnet und an die anspruchsberechtigten Arbeitnehmer ausbezahlt. Fehlt es an einer der sozialrechtlichen Anspruchsvoraussetzung der §§ 196ff SGB III, ist aber die Kurzarbeit arbeitsrechtlich wirksam eingeführt worden, so können die von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer Verdienstausfall in Höhe des Kurzarbeitergeldes beanspruchen  [BAG Urteil vom 22.04.2009 5 AZR 310/08; BAG Urteil vom 11.Juli 1990 5 AZR 557/89].

 

Es besteht daher ein Anspruch auf Insolvenzgeld in Höhe des Kurzarbeitergeldes, da der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung der Bundesagentur trotz der eingeführten Kurzarbeit seinen Lohnanspruch in Höhe des Kurzarbeitergeldes behält. Damit besteht ein Anspruch auf Arbeitsentgelt im Sinne des § 165 SGB III. Bei diesem Anspruch handelt es sich nämlich um den fortbestehenden Anspruch auf Arbeitsentgelt, für erbrachte Arbeitsleistung, so dass er insolvenzgeldfähig ist, denn es handelt sich um den ursprünglichen Hauptvergütungsanspruch des Arbeitnehmers als Gegenwert für seine Arbeitskraft.

 

 

 

18.11.2020

 

Alexandra Braun

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Arbeitsrecht


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