Langzeiterkrankungen: Wie tragfähig ist das soziale Netz für Arbeitnehmer?

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Während der ersten sechs Wochen einer Krankheit ist ein Arbeitnehmer gut abgesichert. Sein Arbeitgeber leistet an ihn die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, deren Höhe dem normalen Arbeitseinkommen entspricht. Dauert die Arbeitsunfähigkeit aber länger als sechs Wochen, dann ist der Arbeitgeber nicht zur weiteren Lohnzahlung verpflichtet. Nun ersetzt die Krankenkasse das wegfallende Arbeitsentgelt indem Sie Krankengeld zahlt. Dadurch führt die Langzeiterkrankung zur ersten finanziellen Einbuße, denn das Krankengeld ist weniger hoch als der Lohn. In der Regel beträgt es 70 % des letzten Bruttomonatslohns.

Wie lange kann sich der erkrankte Arbeitnehmer nun auf diese Leistung verlassen? Im Gesetz ist der Grundsatz niedergelegt, Krankengeld sei unbegrenzt lang zu gewähren. Dieses Grundprinzip wird aber im selben gesetzgeberischen Atemzug wieder relativiert, um die Krankenkassen bei Dauerleiden zu entlasten. Beruht eine andauernde Arbeitsunfähigkeit auf „derselben Krankheit", dann wird Krankengeld höchstens für 72 Wochen innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren gewährt. Nach Ablauf dieser Zeit endet das Krankengeld, und zwar unabhängig davon, ob die Arbeitsunfähigkeit fortbesteht oder nicht. Erst wenn die fragliche Krankheit sechs Monate lang nicht mehr Grund einer Arbeitsunfähigkeit war, kann ein neuer Anspruch auf Zahlung von Krankengeld entstehen. 
Beruft sich die Krankenkasse auf diese Regelung, um ihrem Versicherten das Krankengeld zu entziehen, lohnt sich unter Umständen ein genaueres juristisches Hinterfragen: Wurde die Blockfrist von drei Jahren richtig berechnet? Beruht die gegenwärtige Arbeitsunfähigkeit noch auf „derselben" Krankheit im Sinne des Gesetzes oder hat nicht vielmehr eine neue Erkrankung zum Andauern der Arbeitsunfähigkeit geführt?

Gerade der letzte Punkt führt zu Streit zwischen Kassen und Versicherten. Das Bundessozialgericht vertritt in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, es handele sich um „dieselbe" Krankheit, wenn ein einheitliches Krankheitsgeschehen vorliege. Dieses einheitliche Krankheitsgeschehen könne sich jedoch durchaus in unterschiedlichen Erscheinungsformen manifestieren. Im Einzelfall kann die Abgrenzung mithin schwer fallen. Wenn beispielsweise ein Darmleiden nicht ganz ausheilt und deshalb mit zeitlichen Abständen immer wieder zu Arbeitsunfähigkeit führt, handelt es sich um „dieselbe" Krankheit. Bricht hingegen eine Darmerkrankung im Lauf der Zeit mehrmals aus, weil sie neu auftritt, nachdem sie zwischenzeitlich schon ausgeheilt war, dann kann man nicht mehr von „derselben Krankheit" im Sinne des Gesetzes sprechen.

Von derart feinen Unterschieden kann also die Frage abhängen, ob Krankengeld weiter gezahlt wird oder nicht. Der Hessische Rundfunk berichtete in einem Beitrag am 29.03.06, dass sich manche Kassen besonders bei psychischen Leiden und deren Folgen „aus der Verantwortung ziehen", indem sie mit einem „inneren Zusammenhang" zwischen Krankheiten argumentieren.

Falls die maximale Bezugsdauer des Krankengeldes tatsächlich, ausgeschöpft wurde, muss sich der immer noch arbeitsunfähige Arbeitnehmer aber nicht gleich zum Sozialamt begeben und „Hartz-IV‘ler" werden. Stattdessen kann er einen Antrag auf Arbeitslosengeld bei der Arbeitsagentur stellen. Zwar ist er, solange sein Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht, nicht im eigentlichen Sinne arbeitslos. Doch das Gesetz lässt auch eine Beschäftigungslosigkeit wegen langfristiger Arbeitsunfähigkeit genügen. Das Arbeitslosengeld beträgt 67 % bzw. 60 % des Nettoarbeitseinkommens, je nachdem ob der Arbeitslose ein Kind hat oder kinderlos ist. Nach der letzten Gesetzesreform wird Arbeitslosengeld nur noch für längstens 18 Monate gezahlt. Wer jünger ist als 55 bekommt diese Leistung sogar nur höchstens 12 Monate lang.

Welcher Zeitpunkt geeignet ist, um eine Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsminderung zu beantragen, sollte sorgfältig durchdacht werden. Denn die Rente fällt meist deutlich niedriger aus als das Kranken- und das Arbeitslosengeld. Daher kann es sinnvoll sein, zunächst die Bezugsdauern der höheren Sozialleistungen auszuschöpfen, bevor man eine Rente in Anspruch nimmt.

Andreas Hartmann, Rechtsanwalt

Schützenstr. 5

35578 Wetzlar

Tel. 06441-2009600

 

 


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