LG Berlin: keine örtliche Verkehrssitte, Balkone mit 50 % ihrer Fläche zu berücksichtigen

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Nach Ansicht der 18. Kammer des Landgerichts Berlin (LG Berlin, Urteil vom 17.01.2018 – 18 S 308/18) besteht in Berlin keine örtliche Verkehrssitte, dass Balkone immer mit 50 % der Fläche in die Berechnung der Wohnfläche mit einfließen. Bei Mietverträgen, die nach dem Jahr 2003 abgeschlossen wurden und die über einen Balkon verfügen, besteht deshalb eine gute Chance, dass die tatsächlich vorhandene Fläche geringer ist als die vermietete.

Der Ausgangsstreit: Die Parteien sind über einen Mietvertrag für eine Wohnung aus dem Jahr 2007 miteinander verbunden. Die Vermieterin verlangte mit Schreiben vom 30.01.2012 (!) von dem Mieter die Zustimmung zur Erhöhung der Nettokaltmiete. Diese machte mit einer Widerklage einen Anspruch auf Rückzahlung überbezahlter Miete für den Zeitraum Januar 2009 bis März 2012 geltend.

In dem Mietvertrag wurde die Wohnfläche mit 94,48 m² angegeben. Das Amtsgericht hatte hierzu ein Sachverständigengutachten eingeholt, nach dem die Wohnfläche 84,01 m² betragen soll. Der Sachverständige hatte die Wohnfläche nach der Wohnflächenverordnung berechnet und dabei die Fläche des hofseitigen Balkons zur Hälfte und die des straßenseitigen Balkons zu einem Viertel berücksichtigt.

Das Amtsgericht folgte dieser Wertung nicht und legte seiner Entscheidung eine Wohnfläche von 85,97 m² zugrunde, da nach Ansicht des Amtsgerichts in Berlin Balkone im Regelfall mit der Hälfte ihrer Fläche zu berücksichtigen sind.

Die Entscheidung: Das Landgericht Berlin hebt die Entscheidung des Amtsgerichts überwiegend auf, gesteht der Vermieterin eine geringere Mieterhöhung zu und verurteilt sie gleichzeitig zur Rückzahlung von überbezahlter Miete in Höhe von 1.827,93 €.

Die Berücksichtigung der Fläche des straßenseitigen Balkons mit 50 % seiner Fläche bei der Berechnung der Wohnfläche ist nach Ansicht des Landgerichts fehlerhaft. Da die Parteien keine Berechnungsweise der Wohnfläche vereinbart haben, sind die Wohnflächen für den nach 2003 abgeschlossenen Mietvertrag nach der Wohnflächenverordnung (WoFlV) zu berechnen. Nach § 4 Nr. 4 WoFlV sind Balkone, Loggien, Dachgärten und Terrassen in der Regel zu einem Viertel, höchstens jedoch zur Hälfte anzurechnen.

Das Landgericht ließ für seine Entscheidung ein zusätzliches Sachverständigengutachten zu der Frage einholen, ob in Berlin eine örtliche Verkehrssitte besteht, die Flächen von Balkonen abweichend von § 4 Nr. 4 WoFlV generell mit 50 % ihrer Fläche zu berücksichtigen. Das Ergebnis der Umfrage war aber nicht einheitlich, sodass keine örtliche Verkehrssitte festgestellt werden konnte. Das Gericht äußert die Ansicht, dass die häufig anzutreffende Praxis, die Flächen mit 50 % zu berücksichtigen, auf einem bloßen Rechtsanwendungsfehler beruht.

Das Gericht gelangt so mit dem ersten Sachverständigen zu dem Ergebnis, dass die Wohnfläche in dem konkreten Fall lediglich 84,01 m² beträgt. Damit liegt der Unterschied zwischen vereinbarter und tatsächlich vorhandener Wohnfläche bei mehr als 10 % der Fläche, sodass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Mietsache mangelhaft ist. Deshalb fällt die Mieterhöhung geringer aus und der Mieter kann auch noch zu viel geleistete Miete zurückfordern, da er die Miete eigentlich unerkannt mindern durfte.

Praxistipp: Diese recht theoretischen Ausführungen führen zu einem für Berliner Mieter und Vermieter doch recht explosiven Ergebnis. Wenn in Berlin in den ab 2004 abgeschlossenen Mietverträgen Balkone im Regelfall mit einem Viertel ihrer Fläche anzusetzen sind, führt dies bei einer Vielzahl von Mietverhältnissen zu einer Korrektur der Wohnfläche nach unten.

Dies ist für Mieter nicht nur dann interessant, wenn die Abweichung mehr als 10 % der vertraglich vereinbarten Fläche beträgt. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 18.11.2015 – VIII ZR 266/14) ist unabhängig von dem Umfang der Abweichung die tatsächliche Wohnfläche bei der Mieterhöhung zugrunde zu legen. Das Gleiche wird für Betriebskostenabrechnungen und Modernisierungsmieterhöhungen gelten. Folgt man der Ansicht des Amtsgerichts Frankfurt a.M. (AG Frankfurt a.M., Urteil vom 31.08.2017 – 33 C 864/17), kommen sogar weitreichende Rückforderungsansprüche des Mieters für in der Vergangenheit zu viel geleisteter Miete in Betracht.

Vermieter sollten bei Abschluss von Mietverträgen darauf achten, dass die Art und Weise der Berechnung der Flächen, insbesondere von Balkonen, Loggien, Wintergärten und Terrassen, in dem Mietvertrag ausdrücklich geregelt ist. Auf die Regelung der Wohnflächenverordnung muss nämlich nur dann zurückgegriffen werden, wenn die Parteien keine ausdrückliche Vereinbarung zur Berechnung der Wohnflächen, z. B. zur Anrechnung von Balkonen mit 50 % ihrer Fläche, getroffen haben.


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