OLG Köln zum „Härtefall" beim Absehen vom Fahrverbot und zu den Urteilsanforderungen

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Das OLG Köln hat sich sehr detailliert zur Frage des Härtefalls im Zusammenhang mit der Verhängung eines Fahrverbotes und insbesondere mit den Anforderungen an die tatrichterliche Entscheidungsbegründung befasst.

Verhängt der Tatrichter ein Fahrverbot, muss die Begründung des tatrichterlichen Urteils erkennen lassen, dass sich der der Tatrichter mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob der mit dem Fahrverbot erstrebte besinnungs- und Erziehungseffekt auch durch eine Erhöhung der Geldbuße zu erreichen ist.

Zur Beurteilung der Frage, ob ein Härtefall vorliegt, der der Verhängung eines Fahrverbots nach der BKatV entgegensteht, hat das Tatgericht im Allgemeinen Ausführungen zu der Berufstätigkeit des Betroffenen zu treffen.

Eine Verpflichtung, nähere Feststellungen dazu zu treffen, welcher Berufstätigkeit der Betroffene nachgeht, besteht insbesondere dann, wenn der Betroffene sich mit konkretem Tatsachenvortrag auf das Vorliegen eines Härtefalls beruft und das Gericht zur Gewährung des rechtlichen Gehörs damit in den Entscheidungsgründen befassen muss.

Das Gericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Der Landrat des Kreises Euskirchen hat gegen den Betroffenen mit Bescheid vom 20.09.2012 ein Bußgeld in Höhe von 80,00 Euro sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat gemäß §§ 41 Abs. 2, 49 StVO, §§ 24, 25 Abs. 2 a StVG; Nr. 11.3.5 BKat, § 4 Abs. 2 BKatV wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften, begangen am 22.0712012 in Blankenheim-Freilingen auf der L 115 in Fahrtrichtung Ahrhütte, verhängt (BI. 24 f. d. A.). Gegen diesen, dem Betroffenen am 27.09.2012 zugestellten (BI. 27 f. d.A.) Bescheid hat er mit anwaltlichem Schreiben vom 02.10.2012, am selben Tag als Telefax bei der Verwaltungsbehörde eingegangen, Einspruch eingelegt (BI. 29 d. A.). Mit Urteil des Amtsgerichts Schleiden vom 01.03.2013 - 13 OWi 513/12 (Bl. 53 ff. d.A.) ist der Betroffene wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften zu einem Bußgeld von 80 € verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer von 1 Monat verhängt worden. Gegen das dem bevollmächtigten Verteidiger des Betroffenem am 03.04.2013 zugestellte Urteil (BI. 70, 22 d.A.) hat er mit anwaltlichem Schreiben vom 08.03.2013, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, Rechtsbeschwerde eingelegt (BI. 51 d.A.). Mit weiterem Verteidigerschriftsatz vom 18.04.2013, bei Gericht eingegangen am 19.04.2013 ist die allgemeine Sachrüge erhoben worden (BI. 71 d.A.).

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat zu einem Teil zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt aufgrund der erhobenen allgemeinen Sachrüge zur Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch und in diesem Umfang zur Zurückverweisung.

Die tatsächlichen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Das Gericht hat zunächst hinreichende Feststellungen zu dem Fahrzeug des Betroffenen, zu Ort und Zeit des Geschehens sowie der zur Tatzeit ermittelten Geschwindigkeit getroffen. In den Urteilsgründen sind die erforderlichen - aber auch ausreichenden - Angaben zu der gemessenen Geschwindigkeit, dem in Ansatz gebrachten Toleranzwert, dem angewandten standardisierten Messverfahren und darüber hinaus zur Eichung des Messgerätes zu entnehmen.

Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben sich jedoch hinsichtlich der vom Gericht bestimmten Rechtsfolge. Die Ausführungen des Amtsgerichts zur Begründung des angeordneten Fahrverbots sind materiell-rechtlich unvollständig.

Sie lassen nicht erkennen, dass sich das Gericht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob der mit dem Fahrverbot erstrebte Besinnungs- und Erziehungseffekt auch durch eine Erhöhung der Geldbuße zu erreichen ist.

Bei der abzuurteilenden Verkehrsordnungswidrigkeit handelt es sich zwar „um einen Regelfall des Fahrverbots gemäß § 4 Abs. 2 BKatV, so dass die Begründungspflicht des erkennenden Gerichts insoweit eingeschränkt ist, dass, soweit keine durchgreifenden Anhaltspunkte für ein Abweichen erkennbar sind, keine Ausführungen zur grundsätzlichen Angemessenheit der Verhängung eines Fahrverbots erforderlich sind. Desgleichen bedarf es auch keiner näheren Feststellungen dazu, ob - unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg auch allein durch eine Erhöhung der Geldbuße erreicht werden kann.

Der Tatrichter muss sich dieser Möglichkeit aber bewusst gewesen sein und dies in den Entscheidungsgründen erkennen lassen (BGHSt 38,125 http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=BGHSt%2038,125; SenE vom 04.01.2000, Ss 602/99 B). Den Urteilsgründen des Gerichts muss sich daher entnehmen lassen, dass es sich der - generellen - Möglichkeit, von einem Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße absehen zu können, bewusst gewesen ist (SenE vom 42.04.2013, 111-1 RBs 108/13, 81 Ss-OWi 35/13). Daran fehlt es hier. Die verhängten Regelsanktionen werden als zwangsläufige Folge der Vorbelastung dargestellt.

Zwar bedarf es eines ausdrücklichen Ansprechens der Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot auch ausnahmsweise dann nicht, wenn aus den Urteilsgründen im Übrigen eindeutig hervorgeht, dass der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg durch eine Erhöhung der Geldbuße unzweifelhaft nicht mehr erreicht werden kann (zu vgl. OLG Hamm NZV 2000). Das vorliegende Urteil ist jedoch auch in dieser Hinsicht nicht aussagekräftig. Zu der angesprochenen Vorbelastung wird lediglich mitgeteilt, dass bereits durch rechtskräftigen Bußgeldbescheid vom 18.08.2011 eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 31 km/h mit einem Bußgeld von 120,- € geahndet wurde. Damit kann die Verzichtbarkeit des Fahrverbots insbesondere mit Blick auf den Umstand, dass vorliegend eine dem, unteren Grenzwert des Regelfalls im Sinne des § 4 Abs. 2 BKatV entsprechende Geschwindigkeitsüberschreitung von 26 km/h zu ahnden ist, nicht sicher ausgeschlossen werden.

Die Ausführungen des Amtsgerichts zur Begründung des angeordneten Fahrverbots sind ferner auch insoweit materiellrechtlich lückenhaft, als Feststellungen zur Berufstätigkeit des Betroffenen fehlen.

Zur Beurteilung der Frage, ob ein „Härtefall" vorliegt, der der Verhängung eines Regelfahrverbots nach der BKatV entgegensteht, hat das Tatgericht im Allgemeinen Ausführungen zu der Berufstätigkeit des Betroffenen zu treffen (SenE vom 9. 12. 1997 - Ss 709/97 B http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=Ss%20709/97; SenE vom 8. 8. 2000 - SS 306/00).

Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Bußgeldkatalog ein Regelfahrverbot vorsieht, sofern Anknüpfungstatsachen für die Annahme einer möglicherweise vorliegenden „erheblichen Härte" von dem Betroffenen vorgebracht oder sonst erkennbar werden (BayObLG DAR 1999, DAR Jahr 1999 Seite 559f.; SenE v. 4. 1. 2000 - Ss 602/99 B -). Denn insoweit können sich Anhaltspunkte aus der Berufstätigkeit des Betroffenen ergeben.

Liegen daher Anhaltspunkte dafür vor, dass die Verhängung des Fahrverbots wegen der damit verbundenen Auswirkungen auf Berufstätigkeit und wirtschaftliche Existenzgrundlage des Betroffenen nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Maßstäben unverhältnismäßig wäre, so hat das Gericht sich um Aufklärung und eine gesicherte Tatsachengrundlage für seine Entscheidung zu bemühen. Der Tatrichter darf einerseits nicht entscheidungserhebliches Vorbringen des Betroffenen als ungeprüfte Behauptung dahinstehen lassen; andererseits darf er sich nicht mit der unkritischen Übernahme der Einlassung des Betroffenen begnügen, er sei beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen und müsse mit dem Verlust des Arbeitsplatzes rechnen (OLG Düsseldorf MDR 1999, MDR Jahr 1999 Seite 1064 = VRS 97, VRS Band 97 Seite 214 = DAR 1999, DAR Jahr 1999 Seite 415 L.; vgl. a. Deutscher NZV 2000, NZV Jahr 2000 Seite 105 [NZV Jahr 2000 Seite 108]).

Eine Verpflichtung, nähere Feststellungen dazu zu treffen, welcher Berufstätigkeit der Betroffene nachgeht, besteht insbesondere dann, wenn der Betroffene sich mit konkretem -Tatsachenvortrag auf das Vorliegen eines „Härtefalles" beruft und das Gericht sich zur Gewährung des rechtlichen Gehörs damit in den Entscheidungsgründen befassen muss (BVerfG, NJW 1996, NJW Jahr 1996 Seite 2785 [NJW Jahr 1996 Seite 2786]; SenE v. 22..8.ci1997 - Ss 483/97 Z - http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=Ss%20483/97 = VRS 94, VRS Band 94 Seite 123 [VRS Ban9 94 Seite 125]; SenE v. 4. 2. 1999 Ss 45/99 Z - http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=Ss%2045/99 = NZV 1999, NZV Jahr 1999 S4ite-264»:=yFe96', VRS: Band 96 Seite 451). Soweit danach eine Auseinandersetzung mit der Fragestellung zu erfolgen hat, muss dies auch in einer für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbaren Weise geschehen.

Das Amtsgericht hat vorliegend ausgeführt, der Verteidiger habe eingewendet, der Betroffene sei in besonderem Maße auf sein Fahrzeug angewiesen. Feststellungen dazu, ob konkrete Umstände hierfür von dem Betroffenen dargeboten worden sind, fehlen. Im Hinblick darauf hätte das Gericht zumindest Feststellungen zu der Berufstätigkeit des Betroffenen treffen müssen, um die Auswirkung der Verhängung eines Fahrverbots seiner Entscheidung zugrunde legen zu können.

Aufgrund der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße führt die Rechtsfehlerhaftigkeit der Entscheidung über das Fahrverbot zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs insgesamt (vgl. nur OLG Düsseldorf DAR 1999, DAR Jahr 1999 Seite 514 = VRS 97, VRS Band 97 Seite 256 = JMinBI NW 1999, 280 = NZV 2000, NZV Jahr 2000 Seite 51 [NZV Jahr 2000 Seite 52]).

Wegen der bezüglich des Fahrverbots sowie hinsichtlich der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse fehlenden Urteilsfeststellungen und mit Rücksicht darauf, dass es für die Frage des Absehens von einem Fahrverbot unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße mitentscheidend auch auf den persönlichen Eindruck von der Person des Betroffenen ankommen kann (OLG Hamm DAR 2000, DAR Jahr 2000 Seite 129. [ AR Jahr 2000 Seite 130] = VRS 98, VRS Band 98 Seite 305 [VRS Band 98 Sei e 307f.] = NZV 2000, NZV Jahr 2000 Seite 264 [NZV Jahr 2000 Seite 266], kommt auch eine eigene Sachentscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht in Betracht. Die Sache ist vielmehr - insoweit - an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Dem stimmt der Senat mit der Maßgabe zu, dass die Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch wegen fehlender Feststellungen zur Berufstätigkeit des Betroffenen erfolgt.

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrem (ausformulierten) Antrag die Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts beantragt hat, vermutet der Senat ein bloßes Fassungsversehen, zumal in der Antragsbegründung zu dieser Antragstellung nichts ausgeführt ist. Jedenfalls erfolgt die Zurückverweisung an die Abteilung, die entschieden hat.

(OLG Köln, Beschluss vom 05.07.2013 - III 1 RBs 152/13)



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