Privat Telefonieren am Arbeitsplatz: Telefonieren im Operationssaal

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Niemand wünscht sich sicherlich, dass der Chefarzt während der OP privaten Telefonaten nachgeht. Das LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.02.2011 - 3 Sa 474/09, hatten einen solchen Fall des Missbrauchs zu entscheiden. Bemerkenswert ist, dass das Gericht zwar von einer schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung ausgeht. Dennoch ist die Kündigung des Arbeitgebers als unbegründet zurückgewiesen worden, weil das Gericht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Interessenabwägung zugunsten des Klägers auszulegen ist. Quelle: Beck-online.de

Was ist passiert?

LAG Rheinland-Pfalz: „Der am ... 1960 geborene Kläger ist verheiratet. Er hat zwei Kinder im Alter von (derzeit) 8 und 13 Jahren. Die Beklagte betreibt das St. N.-Stiftshospital in A-Stadt. Am 01.07.2005 hat der Kläger aufgrund des Arbeitsvertrages vom ... 2005 (Dienstvertrag; folgend: DV = Bl. 32 ff. d. A.) seine Tätigkeit als Chefarzt der Abteilung Allgemein- und Viszeralchirurgie des St. N.-Stiftshospitals aufgenommen. Gemäß § 4 Abs. 1 DV obliegt dem Kläger die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung…Bei Operationen nahm der Kläger den schnurlosen Handapparat seines Diensttelefons („Arzttelefon“) und sein privates Mobiltelefon („Privathandy“; folgend: Privathandy) mit in den Operationssaal…Der Kläger habe in einer nahezu unvorstellbaren Weise bei Operationen die Patienten teilweise mit offenen OP-Feldern für Gespräche auf seinem Privathandy auf dem OP-Tisch liegen lassen und die Operation unterbrochen; davon habe die Beklagte erstmalig am 24.09.2008 erfahren.“ Quelle: Beck-online.de

Wie also kann es sein, dass trotzdem die Kündigung als nichtig zurückgewiesen worden ist?

Arbeitsrecht für Arbeitergeber: Die Praxis zeigt, dass stets aufs Neue der Prüfungspunkt im Rahmen einer fristlosen Kündigung – die sogenannte Interessenabwägung – nicht gesehen bzw. nicht geprüft wird. Das ist ein entscheidender Fehler. Legt der Arbeitgeber beispielsweise dem Arbeitgeber eine Anhörung vor, in der der Arbeitgeber die Frage der Interessenabwägung nicht berücksichtigt hat, dürfte die Kündigung von vornherein unwirksam sein.

Zurück zum LAG Rheinland-Pfalz, das wie folgt feststellt: „Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung vom 26.09.2008 nicht außerordentlich-fristlos aufgelöst worden. Dies ergibt sich aus § 626 Abs. 1 BGB. Ob für eine Kündigung ein ausreichender Grund vorliegt, ist nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Rahmen einer zweistufigen Prüfung nach objektiven und nicht nach subjektiven Maßstäben zu beurteilen. Demgemäß hängt die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung allein davon ab, ob der bei ihrem Ausspruch tatsächlich vorliegende Sachverhalt bei objektiver Würdigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Mit Rücksicht darauf ist die rechtliche Prüfung vorliegend nicht darauf beschränkt, ob der Kläger durch Privattelefonate, die er im Operationssaal mittels Privathandy geführt hat, das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet hat. Zu prüfen ist vielmehr insbesondere auch, ob das Arbeitsverhältnis durch das (während einer Operation erfolgte) Führen nicht operationsbezogener Telefonate überhaupt - unabhängig davon, ob diese mittels Privathandy oder mittels Arzttelefon geführt wurden - mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB belastet wurde. Ein mit dem Arzttelefon geführtes Gespräch ist nicht allein schon deswegen ein operationsbezogenes oder durch einen Notfall bzw. Eilfall bedingtes Telefonat.“ Quelle: Beck-online.de

Erste Prüfungsstufe einer fristlosen Kündigung laut LAG Rheinland-Pfalz:

„Das Verhalten, dass die Beklagte dem Kläger insoweit vorwirft und das nach näherer Maßgabe der folgenden Ausführungen als bewiesen anzusehen ist, ist an sich geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung - auch eine außerordentliche Kündigung - zu rechtfertigen. Eine Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers ist gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer eine Vertragspflicht erheblich - in der Regel schuldhaft - verletzt hat, das Arbeitsverhältnis dadurch auch künftig konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen, weitere Störungen zuverlässig ausschließenden Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint.“ Quelle: Beck-online.de

Dem Kläger ist vorzuwerfen, dass er mit seinem Telefonierverhalten eine Pflichtverletzung begangen hat, so das LAG Rheinland-Pfalz

Trotzdem legt das LAG Rheinland-Pfalz die Interessenabwägung zugunsten der Klägers aus und begründet das wie folgt:… „Die Telefonate störten ... den Arbeitsablauf und zwar erheblich“ ist nachvollziehbar und glaubhaft." Quelle: Beck-online.de

Zweite Prüfungsstufe: Interessenabwägung 

LAG Rheinland-Pfalz: „Die im Rahmen der Interessenabwägung vorzunehmende (Zumutbarkeits-)Prüfung hat sich gemäß § 626 Abs. 1 BGB darauf zu beziehen, ob dem Kündigenden - hier also der Beklagten - die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des (Dienst- bzw.)Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dieser Maßstab macht die Prüfung notwendig, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers am 26.09.2008 überhaupt noch ordentlich kündbar gewesen ist….Im Ergebnis der Interessenabwägung überwiegt das Fortsetzungsinteresse des Klägers gerade noch das Beendigungsinteresse der Beklagten. Dabei sind die einzelnen Umstände und Gesichtspunkte wie folgt zu bewerten:…Für das Fortsetzungsinteresse des Klägers und gegen das Beendigungsinteresse der Beklagten spricht allerdings die soziale Schutzbedürftigkeit des Klägers, die mit Rücksicht auf das Alter des am ... 1960 geborenen Klägers und die Unterhaltsverpflichtungen des Klägers als gesteigert anzusehen ist. Die schwerwiegenden finanziellen und sonstigen Folgen des sofortigen Verlustes des Arbeitsplatzes (- insbesondere: Wegfall der für sich und seine Familie notwendigen Einkünfte; unstreitig ist der Kläger verheiratet und hat zwei Kinder -) und die Schwierigkeiten bei der Suche einer neuen adäquaten Arbeitsstelle im Zusammenhang mit dem Ansehensverlust eines fristlos gekündigten Arztes stellen Umstände dar, die im Rahmen der Interessenabwägung unter Berücksichtigung des kündigungsschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugunsten des Klägers zu berücksichtigen sind.“ Quelle: Beck-online.de

Auch wenn man es – subjektiv – kaum glauben mag: Auch die ordentliche Kündigung wurde als unwirksam zurückgewiesen, weil der Arbeitgeber zuvor keine Abmahnung ausgesprochen hatte.

Rechtsanwalt Helmut Naujoks ist seit 25 Jahren ausschließlich als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht tätig. Haben Sie Fragen in Bezug auf die Kündigung von Mitarbeitern/innen? Rufen Sie noch heute Rechtsanwalt Helmut Naujoks an, Spezialist als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht. In einer kostenlosen und unverbindlichen telefonischen Ersteinschätzung beantwortet Rechtsanwalt Helmut Naujoks Ihre Fragen zum Kündigungsschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie zu den Rechten und Pflichten des Betriebsrats gemäß Betriebsverfassungsgesetz.


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