Restschuldbefreiung: BGH und EuGH entscheiden über Speicherung bei der Schufa Holding AG

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Seit vielen Jahren gibt es einen weitreichenden Streit über die Frage, ob Auskunfteien wie die Schufa Holding AG, die Creditreform Boniversum und andere das Merkmal über eine erfolgte Restschuldbefreiung nach einem Insolvenzverfahren speichern dürfen und wenn ja, wie lange eine Speicherung zulässig ist.

Bis zur Einführung der Datenschutzgrundverordnung im Jahr 2018 schien diese Frage – zumindest von Seiten der Rechtsprechung – ausdiskutiert. Die Gerichte erkannten regelmäßig auf Linie des OLG Frankfurt am Main und sahen die Speicherung und Berücksichtigung des Merkmals im Scorewert für insgesamt drei Jahre nach Erteilung der Restschuldbefreiung als zulässig an.

Neue Chancen durch die DSGVO

Unmittelbar mit Einführung der DSGVO kam erneut Bewegung in die weiterhin offene Rechtsfrage. Die Kanzlei AdvoAdvice vertrat dabei von Anfang an Betroffene, welche sich gegen die weitere Speicherung der Restschuldbefreiung bei der Schufa Holding AG zur Wehr setzten und eine Löschung der Restschuldbefreiung erreichen wollten.

Die Interessenwahrnehmung war trotz der bis dato einheitlichen Rechtsprechung sinnvoll, da durch die Einführung der DSGVO das Regelungsgeflecht zur Speicherung und insbesondere zur Speicherlänge überarbeitet wurde. Während vor Mai 2018 noch eine „feste Speicherfrist“ von drei Jahren galt, ist diese Frist sodann durch eine flexiblere Lösung abgeschafft worden. Eine Löschung kann jetzt unter anderem dann verlangt werden, wenn die Verarbeitung nicht rechtmäßig, nach dem Verarbeitungszweck nicht mehr notwendig oder wegen einer besonderen persönlichen Situation zu entfernen ist (Art. 17 Abs. 1 DSGVO).

LG Frankfurt – Besondere Situation

Von diesen flexibleren Möglichkeiten machte zunächst das LG Frankfurt am Main mit seinem Urteil vom 20.12.2018 (Az. 2-05 O 151/18) Gebrauch und verurteilte die Schufa Holding AG zur Löschung der Restschuldbefreiung des dortigen Klägers.

Das von vielen Anwälten fehlerhaft interpretierte Urteil stellte dabei auf die besondere Situation des Klägers ab, da dieser aufgrund mehrfacher stationärer psychischer Behandlung erst nach vielen Jahren wieder in der Lage war, sich um seine wirtschaftlichen Belange zu kümmern. Diese Situation lässt sich weder verallgemeinern noch pauschal auf ähnliche Sachverhalte übertragen.

In der folgenden Zeit entschieden die Gerichte sodann regelmäßig auf Linie der alten Rechtsprechung vor Einführung der DSGVO. Dabei wurde immer wieder auf die veraltete Rechtsprechung des OLG Frankfurt zur Rechtslage vor Einführung der DSGV abgestellt, wonach eine Speicherung des Merkmals für drei Jahre pauschal als rechtmäßig angesehen wurde.

Weitreichende Urteil des OLG Schleswig sowie des VG Wiesbaden

Die nächsten aufsehenerregenden Urteile wurden sodann im Juni und Juli 2021 vom Verwaltungsgericht Wiesbaden (Urteil vom 07.06.2021 – Az. 6 K 307/20.WI) sowie vom Oberlandesgericht Schleswig (Urteil vom 02.07.2021 – Az. 17 U 15/21) gefällt.

Höchstinteressant ist, dass beide Gerichte unabhängig und ohne Kenntnis des jeweiligen Urteils des anderen Gerichts zu der Auffassung gelangten, dass die Speicherung der Restschuldbefreiung durch die Schufa Holding AG und anderen Auskunfteien nur für sechs Monate zulässig sei.

Die Argumentation der Gerichte unterscheidet sich dabei nur in Nuancen. Unabhängig davon argumentieren beide Gerichte maßgeblich damit, dass das Merkmal der Restschuldbefreiung im Portal der www.insolvenzbekanntmachungen.de als staatliches Portal nur für sechs Monate veröffentlicht werden dürfe und diese Speicherfrist mangels anderer Regelung auch auf private Einrichtungen übertragbar sei und für diese ebenfalls gelte.

Beide Gerichte stellten ferner klar, dass der Verhaltenskodex der Auskunfteien, welcher weiterhin eine Speicherung von drei Jahren vorsieht, zu keiner anderen Bewertung führen würde. In beiden Urteilen wird darauf abgestellt, dass die weitere Speicherung der Restschuldbefreiung nach dem Ablauf von sechs Monaten trotz des Verhaltenskodexes rechtswidrig sei.

Rechtsfrage nun vor dem Bundesgerichtshof und vor dem Europäischen Gerichtshof

Die Experten der Kanzlei AdvoAdvice zeigten sich nach dem erstrittenen Urteil vor dem OLG Schleswig hoffnungsvoll, dass dieser Einschätzung nun weitere Gerichte und ggf. auch der für die Schufa Holding AG zuständige Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit folgen und Löschungen nun vermehrt durchgesetzt werden können. Dabei betreuen die zuständigen Rechtsanwälte Dr. Sven Tintemann und Dr.  Raphael Rohrmoser aktuell ca. 40 offene Verfahren bezüglich der Löschung der Restschuldbefreiung.

OLG Schleswig lässt Revision zum Bundesgerichtshof zu

Das o.g. Urteil des OLG Schleswig ist weiterhin nicht rechtskräftig. Die Schufa Holding AG hat gegen die Entscheidung Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt.

Das OLG Schleswig hatte die Revision ausdrücklich zugelassen. Gleichzeitig wurde die Sicherheitsleistung durch das OLG Schleswig auf einen niedrigen Betrag festgesetzt, sodass der Eintrag der Restschuldbefreiung zum dortigen Kläger kurze Zeit später zur Löschung gebracht wurde. Wann mit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu rechnen ist, ist noch unklar.

Bereits im Prozess vor dem Landgericht und auch vor dem Oberlandesgericht machte der Kläger geltend, dass er aus privaten Gründen dringend auf die Anmietung einer neuen Wohnung angewiesen sei.

Der Betroffene berichtete gegenüber der Kanzlei AdvoAdvice, dass er sich vor der Löschung des Eintrages bei ungefähr 25 Wohnungen beworben habe. Bei der Hälfte der Bewerbungen wurde er nach seiner Auskunft zur Besichtigung eingeladen. Bis zur Löschung des Eintrages erhielt der Betroffene jedoch immer wieder absagen. Kurz bevor die Löschung der Restschuldbefreiung durch die Schufa Holding AG umgesetzt wurde, hat sich der Kläger auf eine weitere Wohnung beworben und wurde zur Besichtigung eingeladen. Noch vor dem Termin erfolgte die Löschung des Eintrages. Die Wohnung konnte durch den Kläger anschließend problemlos angemietet werden.

Die zuständigen Auskunfteien betonen insbesondere in gerichtlichen Verfahren immer wieder, dass diese nicht über konkrete Vertragsabschlüsse entscheiden und dass Verträge auch bei vorhandenen Negativeinträgen geschlossen werden können. Auch wenn dies in gewisser Weise richtig ist, stellt die Bonitätsauskunft von Auskunfteien ein maßgeblich entscheidendes Kriterium für Vermieter, Banken und andere Vertragspartner dar. Dies zeigt sich an vorstehendem Beispiel exemplarisch.

OLG Oldenburg lässt Revision zum Bundesgerichthof zu

Entgegen der Rechtsauffassung des OLG Schleswig entschied das OLG Oldenburg mit Urteil vom 23.11.2021 (Az. 13 U 63/21), dass die dreijährige Speicherung doch zulässig sein soll. Der dortige Kläger ist mit dem Rechtsstreit ebenfalls vor den Bundesgerichtshof gezogen, um das Urteil auf seine Richtigkeit überprüfen zu lassen. Auch hier wurde vom OLG Oldenburg die Revision zum Bundesgericht zugelassen.

VG Wiesbaden setzt Verfahren aus und legt Rechtsfragen dem Europäischen Gerichtshof vor

Auch das Verwaltungsgericht Wiesbaden scheute sich nicht, die Frage, ob eine Speicherung der Restschuldbefreiung für drei Jahre zulässig ist und weitere Fragen (wichtig für die konkrete Fallkonstellation vor Verwaltungsgerichten mit Beteiligung der Datenschutzbehörden) dem Europäischen Gerichtshof zur Klärung vorzulegen.

Gegen das Urteil vom 07.06.2021 wurden Rechtsmittel eingelegt.

Die zuständige 6. Kammer sah sich jedoch mit mehreren Klagen zu der gleichen Rechtsfrage konfrontiert.

Insofern legte das Verwaltungsgericht nach hiesiger Kenntnis bislang zwei Verfahren (Az. 6 K 226/21.WI und 6 K 441/21.WI) dem EuGH zur Klärung vor.

Das zweite Verfahren wird ebenfalls durch die Rechtsanwälte der Kanzlei AdvoAdvice betreut.

Auch in diesen Verfahren ist noch nicht bekannt, wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist.

Was können Betroffene aktuell tun?

Betroffene können vorerst weiter einen Anspruch auf Löschung der Restschuldbefreiung und ggf. weiterer Negativeinträge geltend machen.

Aufgrund der unklaren Rechtslage ist mit einer schnellen, außergerichtlichen Löschung jedoch oft nicht zu rechnen. Die Nutzung einer Rechtschutzversicherung ist für einen Gerichtsprozess daher sehr empfehlenswert.

Abhängig vom Einzelfall kann es Sinn machen, eine Datenschutzbeschwerde beim Hessischen Beauftragten für Datenschutz einzureichen und ggf. im Anschluss an diese Beschwerde auf Löschung des Merkmals der Restschuldbefreiung zu klagen. Insbesondere vor Zivilgerichten kann eine solche Löschung eventuell weiter durchgesetzt werden.

Gerne können Sie die jahrelange Erfahrung und Expertise der Kanzlei AdvoAdvice zur Ihrer Unterstützung nutzen. Sie erreichen uns zu normalen Bürozeiten unter 030  921 000 40 oder unter info@advoadvice.de.

Foto(s): AdvoAdvice

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