Ruf- und Bereitschaftsdienst. Was ist das? Wozu ist man verpflichtet und welche Vergütung kann man verlangen?

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Was ist was?


In vielen Bereichen stößt man auf die Begriffe Ruf- oder Bereitschaftsdienst. Z. B.bei Rettungssanitätern, Klempnern, Elektrikern, Schlossern oder aber auch Ärzten. Die Unterscheidung dieser Begriffe ist im Sinne der zu vergütenden Dienstzeit von enormer Bedeutung.

Bereitschaftsdienst oder Rufdienst?

Der Bereitschaftsdienst unterscheidet sich zur normalen Vollarbeit dadurch, dass er in der Regel außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeiten erbracht wird. Der  Arbeitnehmer hat sich aber an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten, um von dort aus seine volle Arbeitstätigkeit auf Anweisung hin unverzüglich aufnehmen zu können.

Bereitschaftsdienst

Solange keine Anweisung erfolgt, muss sich der Arbeitnehmer nur bereit halten, ohne dass von ihm die volle wache Aufmerksamkeit verlangt wird. Für die Vergütung ist der Unterschied zwischen der Vollarbeit und dem Bereitschaftsdienst allerdings nur wenig relevant, denn auch der Bereitschaftsdienst ist vergütungspflichtige Arbeitszeit gem. § 3 ArbZG. Das „Weniger“ rechtfertigt lediglich eine geringere vertragliche Entlohnungsregelung. Wird eine solche Regelung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber aber nicht getroffen, ist der Bereitschaftsdienst voll zu vergüten.

Was ist aber Rufbereitschaft oder Rufdienst?

Die Unterscheidung zwischen Bereitschaftsdienst und Rufdienst kann nur weniger scharf getroffen werden. Der wohl eklatanteste Unterschied ist, dass der Aufenthaltsort nicht vom Arbeitgeber bestimmt werden kann, sondern der Arbeitnehmer in der Zeit, in der seine Leistung vom Arbeitgeber nicht in Anspruch genommen wird seine Freizeit frei gestalten kann (so das BAG 25.3.2021, NZA 2021, 1048 (1050); 31.1.2002, NZA 2002, 871) . Dieser Unterschied ist ausschlaggebend. Denn durch die Möglichkeit der freien Freizeitgestaltung zu persönlichen, sportlichen, kulturellen Zwecken o.ä. werden in den Zeiten, in denen der Arbeitnehmer nicht zur Leistung aufgefordert wird keine Arbeitsleistungen erbracht – also diese Zeit auch nicht vergütet. Vielmehr stellt diese Zeit als Gegenpol zur Arbeitszeit gemäß. § 3 ArbZG eine sogrmsmmter Ruhezeit gemäß. § 5 ArbZG dar. Diese beiden Begrifflichkeiten schließen sich gegenseitig aus.

Ist der Aufenthaltsort ausschlaggebend?

Nun kann aber, auch wenn der Aufenthaltsort nicht durch den Arbeitgeber bestimmt wird, trotzdem Bereitschaftsdienst und eben keine Rufbereitschaft vorliegen. Das ist dann der Fall, wenn im Einzelfall unter Betrachtung aller Umstände die Zeit für die vermeintliche Freizeitgestaltung erheblich beeinträchtigt ist (dazu hat sich zuletzt auch der EuGH bezogen in EuGH 11.11.2021, BeckRS 2021, 33902 – Dublin City Council; 9.9.2021, BeckRS 2021, 26150 – Dopravní podnik hl. m. Prahy a.s.; 15.7.2021, BeckRS 2021, 18433 – Ministrstvo za obrambo; 9.3.2021, BeckRS 2021, 3588 – Radiotelevizija Slovenija; 9.3.2021, BeckRS 2021, 3578 – Stadt Offenbach aM). 

Wie schnell muss man vor Ort sein?

Dabei spielt die Reaktionszeit eine Rolle, in welcher der Arbeitnehmer im Falle des Abrufs im Betrieb oder einem sonstigen Ort arbeitsbereit sein muss. Das alleinige Abstellen auf die Reaktionszeit reicht aber im Regelfall nicht aus. Auch die Häufigkeit und Dauer der Einsätze können relevante Umstände sein. Wird der Arbeitnehmer während der Rufbereitschaft besonders häufig verlangt, macht das die Freizeitplanung unmöglich und rechtfertigt nicht mehr die Qualifikation als Ruhezeit. Wird der Arbeitnehmer dagegen im Durchschnitt nur sechsmal im Jahr während seiner Rufbereitschaft verlangt, kann trotz einer sehr kurzen Reaktionszeit z.B. unter 10 Minuten trotzdem eine Rufbereitschaft vorliegen.


Auch das Mitführen von Einsatzmaterial wie Kleidung oder einem entsprechenden Einsatzfahrzeug kann in die Bewertung mit einfließen. Nicht relevant sind hingegen äußere Umstände, die nicht im Arbeitsverhältnis begründet sind wie z. B. geografische Besonderheiten oder eine große Entfernung zum Wohnort, wenn der Arbeitsort der übliche Arbeitsplatz ist.

Was muss wie bezahlt werden?

Für die Frage der Vergütung der Zeit, in der keine Arbeitsleistung erfolgt, spielt also die Qualifikation als Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft im Gleichlauf zur Arbeitszeit oder Ruhezeit eine entscheidende Rolle.

Darüber hinaus wird es noch interessanter bei der Frage, wie bei einer Rufbereitschaft die Wegezeit zu qualifizieren ist. Ist diese Arbeitszeit und wird vergütet, oder ist erst ab dem Zeitpunkt der Erbringung der eigentlichen Arbeitsleistung am Arbeitsplatz der Beginn der Arbeitszeit?

Grundsätzlich stellen Wegezeiten vom Wohnort zur Arbeitsstelle keine Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinn dar. Selbstverständlich gibt es Ausnahmen. Zum Beispiel sind Fahrten eines Außendienstmitarbeiters zu Kunden vergütungspflichtige Arbeitszeit, weil diese ohnehin zu den vertraglichen Hauptpflichten gehören. Dabei ist unerheblich, ob diese Fahrten von der Wohnung des Arbeitnehmers aus angetreten werden oder vom Betrieb des Arbeitgebers (vgl. BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17). Bei der Rufbereitschaft gilt nichts anderes. Ist die Fahrt ohnehin eine der Hauptleistungspflicht immanente Leistung wie zum Beispiel bei Schlüsselnotdiensten, dann ist die Wegezeit auch entsprechend vergütungspflichtige Zeit. Handelt es sich bei dem Weg lediglich um den Arbeitsweg zum Betrieb (z.B. der Arzt zum Krankenhaus) ist die Wegezeit keine Leistung, die der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber erbringt und damit auch keine vergütungspflichtige Arbeitszeit.

Um das Beispiel des Arztes aufzugreifen kann aber dennoch aus den meisten tarifvertraglichen Bestimmungen sowohl für die Wegezeit, als auch für die nicht durch den Arbeitgeber in Anspruch genommene Zeit der Rufbereitschaft, eine Vergütungsvereinbarung entnommen werden.

Das Teilzeit- und Befristungsgesetz hat nicht nur Vorteile

Anknüpfend an Rufbereitschaftsdienste und die Abgrenzung von Arbeitszeiten und Ruhezeiten ergibt sich ein Folgeproblem: 

Durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz  ist ein Gesetz geschaffen worden, das unter anderem die Teilzeitarbeit fördern soll. Durch dieses Gesetz sind Voraussetzungen geregelt worden, bei deren Vorliegen der Arbeitnehmer eine Verringerung der Arbeitszeit vom Arbeitgeber verlangen darf.

Fast alle Kollegen sind in Teilzeit. Wer macht nun die Rufdienste?

Wird nun – um bei dem Beispiel der Ärzte zu bleiben – vermehrt durch Arbeitnehmer von solchen Teilzeitmodellen Gebrauch gemacht, stellt sich die Frage, wie die fehlende Arbeitskraft ersetzt werden kann bzw. wie viel Arbeit auf die in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmer umgelagert werden kann.

Dazu gehört auch die Umlage von Rufbereitschaften. Wie viel Arbeitszeit vom Arbeitgeber grundsätzlich verlangt werden darf hängt vom Weisungsrecht des Arbeitgebers ab. Nach § 611a BGB wird durch den Arbeitsvertrag der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das daraus resultierende Weisungsrecht gibt dem Arbeitgeber ein einseitiges Recht zur Leistungsbestimmung. Das Weisungsrecht kann sowohl Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Begrenzt wird dieses Weisungsrecht allerdings durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzlichen Vorschriften.

Gesetzliche relevante Vorschriften, die das Weisungsrecht in Bezug auf die Umlagerung von Rufbereitschaftsdiensten tangieren können finden sich im oben bereits angesprochenen Arbeitszeitgesetz. Denn das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) trifft unter anderem Regelungen zu Arbeitszeiten, Ruhepausen und Ruhezeiten. Werden Vollzeitbeschäftigte übermäßig mit Rufbereitschaftsdiensten überbürdet, könnte dies zu einem Verstoß gegen die Ruhezeiten führen.

Nach dem oben bereits erläuterten Grundsätzen kann das aber nur der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer während seiner Ruhezeit auch tatsächlich zur Leistung aufgefordert wird, denn nur diese Inanspruchnahme unterbricht die aus § 5 ArbZG zu entnehmende Ruhezeit mit der Folge, dass die Ruhezeit von neuem beginnt. Die erforderliche Länge der Ruhezeit ergibt sich grundsätzlich aus dem Gesetz und beträgt gem. § 5 Abs. 1  ArbZG  elf Stunden. Es ist aber zulässig durch den Arbeitsvertrag, einen Tarifvertrag, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen abweichende Regelungen zur Länge der Ruhezeiten zu treffen.

§ 5 Abs. 3 ArbZG regelt eine Ausnahme u.a. für Arbeitnehmer, die in Krankenhäusern tätig sind. Werden diese während ihrer Rufbereitschaft zur Arbeit herangezogen, kann die nachfolgende Ruhezeit auf bis zu ununterbrochenen 5,5 Stunden verkürzt werden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Arbeitnehmer trotz der Unterbrechung ihrer Ruhezeit durch Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft planmäßig im Anschluss wieder ihre Tätigkeiten aufnehmen können. 

Selbstverständlich hat dennoch ein Ausgleich der verkürzten Ruhezeit zu erfolgen. Das Weisungsrecht wird also von den Regelungen des ArbZG nicht tangiert, solange die Ruhezeiten eingehalten werden können.

Rechtsanwalt Stephan Kersten

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Foto(s): LINDEMANN Rechtsanwälte

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