Sexueller Mißbrauch durch "Therapeuten für Kinderwunsch"

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Der Bundesgerichtshof hat sich am 14.04.2011 (4 StR 669/10) zum sexuellen Missbrauch eines Therapeuten wie folgt geäußert:

1. Einer Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c Abs. 1 StGB steht allein das Einvernehmen des Opfers mit der vom Täter vorgenommenen sexuellen Handlung nicht entgegen.

2. An einem Missbrauch im Sinne dieser Vorschrift fehlt es ausnahmsweise dann, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Vertrauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung ausnutzt.

Er begründet seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass es dem Gesetzgeber mithin darauf ankam, sexuelle Kontakte in Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen generell und selbst bei einem Einverständnis des Patienten als missbräuchlich auszuschließen.

Der Verfasser ist seit über 10 Jahren im Bereich der Opferhilfe, Nebenklage und als Opferbeistand tätig. Er ist Mitglied der Opferschutzorganisation „Weisser Ring" und hat einen Fachanwaltskurs für Strafrecht erfolgreich absolviert. Nach seinen Erfahrungen aus den LG-Bezirken Augsburg und Gera sollten Opfer einer Straftat frühzeitig anwaltlichen Rat einholen. Eine hohe Anzahl von Anzeigen wird nach Vernehmung der Opfer durch Polizei, Staatsanwaltschaft oder Ermittlungsrichter leider nicht weiter verfolgt. Opfer einer Straftat haben die Möglichkeit über den „Weissen Ring" eine kostenlose Beratung und auch spätere Betreuung durch einen Rechtsanwalt zu erhalten.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

„Das Landgericht Münster hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und bestimmt, dass drei Monate der Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Ferner hat es das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe eingestellt und den Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit zwei Verfahrensrügen, zudem beanstandet er die Anwendung des sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision auf den Freispruch des Angeklagten in den Fällen 9 bis 14 der Anklage sowie die Nicht-Anordnung eines Berufsverbots beschränkt. Zudem hat sie gegen die Kostenentscheidung und eine Entscheidung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz sofortige Beschwerde einlegt. Die Revisionen haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft sind gegenstandslos bzw. unzulässig.

I.

Soweit der Angeklagte verurteilt wurde und hinsichtlich der Freisprüche in den Fällen 9 bis 14 der Anklage hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der 57jährige Angeklagte schloss 1996 eine Ausbildung zum Heilpraktiker ab und erhielt im selben Jahr die Erlaubnis, „die Heilkunde auszuüben, ohne über eine ärztliche Approbation zu verfügen". Den Beruf übte er in der Folgezeit aus. Bis zum Jahr 2002 absolvierte er ferner eine Ausbildung zum Osteopathen. Heute bezeichnet sich der Angeklagte zudem als Schamane.

1. Am 29. Januar 2004 begab sich die Zeugin F. erstmals zum Angeklagten. Grund hierfür war ihr - auch nach Aufsuchen von „Schulmedizinern" und eines Heilpraktikers - unerfüllt gebliebener Kinderwunsch; sie sah eine Behandlung durch den Angeklagten als den „letzten Versuch" an, ihren Wunsch zu erfüllen. Der Angeklagte „behandelte" die Zeugin bis zum 8. Juli 2004 an insgesamt neun Tagen, wobei er bis zum Juni 2004 mit ihrer Zustimmung unter anderem mindestens drei Mal ein „Vaginaltouché" durchführte. Hierbei handelt es sich um eine - wie bei der Osteopathie im Allgemeinen - in Deutschland nicht anerkannte „Behandlung" durch eine "Mobilisierung" des "Vaginalraumes" unter anderem durch das Einführen eines oder mehrerer Finger in die Scheide der Patientin. Bei einer Gelegenheit versuchte der Angeklagte zudem, mit seiner Zunge in den Mund der Zeugin einzudringen. Am 7. Juni sowie am 8. Juli 2004 wollte der Angeklagte ferner den Oralverkehr von der Zeugin an sich vornehmen lassen. Hierzu führte er sein Glied an den Mund der unbekleideten, auf Anweisung des Angeklagten mit geschlossenen Augen auf der Liege des Behandlungsraums liegenden Zeugin heran, wobei er jeweils ihre Lippen berührte. Zu einem Eindringen kam es jedoch nicht, weil die Zeugin, die mit einem Oralverkehr nicht einverstanden war, ihren Kopf zur Seite drehte.

Beide Fälle des versuchten Oralverkehrs (Fälle II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe) bewertete die Kammer als sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses und verhängte hierfür jeweils Freiheitsstrafen von zehn Monaten. Von den weiteren Anklagevorwürfen zum Nachteil dieser Zeugin sprach die Strafkammer - insofern unbeanstandet durch die Staatsanwaltschaft - den Angeklagten frei, weil es sich nicht um sexuelle Handlungen gehandelt habe.

2. Am 26. Oktober 2004 begab sich die Zeugin M. auf Empfehlung ihrer Hausärztin in die Praxis des Angeklagten, um ihre Migräne behandeln zu lassen. Auf Geheiß des Angeklagten entkleidete sich die Zeugin vollständig und wurde vom Angeklagten etwa 40 Minuten lang „behandelt", unter anderem blies er ihr in Nase, Ohren und Mund, schnippte mit den Fingern und schlug ihr mit der Faust auf den Brustkorb. Zudem biss der Angeklagte der Zeugin „völlig unerwartet und für sie sehr schmerzhaft in deren unbekleidete linke Brust, so dass die Zeugin vor Schmerzen aufschrie"...

Während der „Behandlung" der jeweils vollständig entkleideten Zeugin nahm der Angeklagte unter anderem "Vaginaltouchés" vor und veranlasste die Zeugin - ebenfalls mit ihrer Zustimmung - mehrmals dazu, an ihm den Oralverkehr durchzuführen (insofern wurde der Angeklagte - soweit die Taten von der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage erfasst waren - freigesprochen und das Urteil von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen).

Am 22. Juli 2004 (Fall 9 der Anklage = Fall II.4.c der Urteilsgründe) entkleidete sich auch der Angeklagte vollständig und vollzog - ohne Kondom - mit der Zeugin den Geschlechtsverkehr. Die Zeugin war hiermit einverstanden und fühlte sich „geborgen und ganz entspannt".

Nach der zugelassenen Anklage kam es zwischen September 2004 und Januar 2005 in mindestens vier weiteren Fällen zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und der Zeugin (Fälle 10 bis 13); nach den Feststellungen der Strafkammer führten der Angeklagte und die Zeugin den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr in diesem Zeitraum zwei Mal durch (bei zwei der Behandlungen am 16. September, 28. Oktober und/oder 9. Dezember 2004 = Fälle II. 4.d der Urteilsgründe).

Ferner kam es am 3. Februar 2005 erneut zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und der Zeugin (Fall 14 der Anklage = Fall II.4.e der Urteilsgründe). Auch mit diesem war die Zeugin einverstanden; sie empfand indes hierbei „nicht mehr die schönen und positiven Gefühle" wie zuvor.

Wegen dieser Taten sprach die Strafkammer den Angeklagten aufgrund des Einverständnisses der Zeugin vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses frei."


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