SM, Schlägerei, Fußball – Grenzen der Einwilligung im § 228 StGB zwischen Selbstbestimmung und Gemeinwohl

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Das Strafrecht hat es zur Aufgabe, bestimmte Rechtsgüter vor sie beeinträchtigenden besonders sozialschädlichen Verhaltensweisen zu schützen. Indem es diese mit Strafen bedroht, motiviert es den Normadressaten, die pönalisierten Verhaltensweisen nicht an den Tag zu legen.


Dieses Schutzbedürfnis besteht regelmäßig dann nicht, wenn der Träger des betroffenen Individualrechtsguts seine Einwilligung in die Verletzung erklärt; im Ausgangspunkt kann jeder Mensch über seine (Individual-)Rechtsgüter frei disponieren. Er verzichtet mit der Einwilligung in die Verletzung auf den Rechtsschutz.


So entspricht es schon dem zutreffenden Rechtsgefühl, dass, wer sich vorher beim Eigentümer der Sache die Einwilligung dafür einholt, diese zu zerstören, sich mit der Zerstörung regelmäßig nicht wegen Sachbeschädigung (§ 303 StGB) strafbar macht.


Das Recht zieht aber (notwendige) Grenzen, wenn gewichtige Gemeinwohlinteressen entgegenstehen, bestimmte schwere Beeinträchtigungen zu tabuisieren. Bestimmte Eingriffe wie etwa eine Fremdtötung sind dann nicht einwilligungsfähig. Wer einen anderen Menschen tötet, weil der Getötete ihn ernsthaft darum ersucht, wird gleichwohl bestraft; die Strafe fällt zwar geringer aus (der Täter wird „privilegiert“), die Tat bleibt gleichwohl rechtswidrig und strafbar. Ähnliches gilt beispielsweise auch für die weibliche Genitalverstümmelung, die unabhängig etwaiger (elterlicher) Einwilligungen strafbar ist.


Einwilligung in Körperverletzungsdelikte

Nicht immer leicht überblickbare Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen in den Körperverletzungsdelikten. Auch hier ist eine Einwilligung grundsätzlich möglich und lässt die Strafbarkeit entfallen. Es gilt aber eine Ausnahme: Das Strafgesetzbuch regelt nämlich in seinem § 228, dass eine Körperverletzung gleichwohl strafbar ist, wenn die Tat trotz der Einwilligung „gegen die guten Sitten verstößt“. Was genau diesen guten Sitten ent- oder widerspricht, lässt sich allein aus dem Begriff schwerlich ableiten. Zu der Frage gibt es Rechtsprechung, die den Vorwurf, schwammig zu sein und Kasuistik zu betreiben, jedenfalls nicht vollumfänglich ausräumen kann.


Bestimmtheitsgebot: Wenn ein Gesetz zu ungenau ist & was dann getan wird

Problematisch ist die schillernde Begrifflichkeit der guten Sitten insbesondere vor dem Hintergrund des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebotes (Art. 103 Abs. 2 GG). Nach diesem darf eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit vor Tatbegehung gesetzlich bestimmt war. Das schließt die Bestimmtheit des Strafgesetzes mit ein. Danach ist es erforderlich, dass der Bürger jedenfalls im Regelfall anhand des Gesetzes voraussehen kann, ob ein Verhalten strafbar ist. Das gilt auch für die Einschätzung, ob eine Körperverletzung sittenwidrig ist. Damit tut sich das Problem auf, dass sich sittliche Vorstellungen über die Zeit wandeln und auch innerhalb derselben Zeit über die Gesellschaft ganz verschiedentlich ausfallen. Noch vor rund 65 Jahren urteilte das Bundesverfassungsgericht, Homosexualität verstoße gegen das Sittengesetz; inzwischen hat es diese Ansicht selbstverständlich verworfen, seit 2017 steht es auch gleichgeschlechtlichen Paaren offen, einander zu heiraten. Was sittlich und unsittlich ist, werden auch heute Mitglieder eines Klosters anders beurteilen als die Besucher eines Festivals.


Vor dieser Schwierigkeit wird der Begriff der „guten Sitten“, um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen, von der Rechtsprechung auf die Körperverletzung gemünzt und auf seinen Kern reduziert. Es genügt nicht, dass ein bestimmter Teil der Gesellschaft oder das tatbefasste Strafgericht die Körperverletzung für mit sittlichen Wertvorstellungen unvereinbar hält. Die Tat muss vielmehr eindeutig einem konsensualen Mindeststandard an allgemeingültigen Moralvorstellungen zuwiderlaufen, der vernünftigerweise nicht in Frage gestellt werden kann. Diese Bewertung orientiert sich maßgeblich an der Schwere der Körperverletzung einerseits und dem Zweck der Körperverletzung andererseits; beide seien im Folgenden näher betrachtet.


Schwere der Körperverletzung als vorrangiges Kriterium – Die Schlägerei zwischen Hooligans & anderen Kampflustigen

Im Vordergrund der Bewertung steht die Schwere der Körperverletzung. Entscheidend ist nämlich, ob die Tat gegen die guten Sitten verstößt und nicht die Einwilligung („wenn die Tat […] gegen die guten Sitten verstößt, § 228 StGB). Etwaige sittenwidrige Motive bleiben deshalb grundsätzlich außer Betracht. Entscheidend ist das Gewicht des Rechtsguteingriffs. 


Körperverletzungen, die den erforderlichen Schweregrad nicht aufweisen, sind grundsätzlich unabhängig von den Tat- oder Einwilligungsmotiven voll einwilligungsfähig.


Die Sittenwidrigkeit ist allgemein anzunehmen, wenn der Verletzte durch die Körperverletzung in konkrete Todesgefahr gebracht wird (der Eintritt des Todes nur noch vom Zufall abhängt) oder die Gefahr besteht, das Opfer erleide gravierende Verletzungen (etwa Verlust von Sinnen, wichtiger Glieder oder Entstellung, vgl. § 226 StGB).


Relevanz gewinnt dieser Befund zum Beispiel im Rahmen von verabredeten Schlägereien – etwa von Hooligans / Fußballfans oder links- und rechtsextremen Gruppierungen. Der Bundesgerichtshof war mit solch einem Fall befasst:


Eine im Kern aus Fußballhooligans bestehende Gruppe, deren Mitglieder sich für körperliche Gewalt faszinierten und eine rechtsextreme Gesinnung teilten, habe regelmäßig an Kämpfen mit anderen Hooligangruppen teilgenommen. Für solche Kämpfe bestünden ungeschriebene, aber im einschlägigen Personenkreis allgemein bekannte Kampfregeln etwa hinsichtlich der Kampfgruppenstärke, eines Waffenverbots, der Schutzkleidung und der Zulässigkeit von Tritten auch gegen den Kopf nur mit leichtem Schuhwerk. Wer sich zu Boden ergebe, dürfe nicht weiter angegriffen werden.


Sein Augenmerk legte das Gericht auf einen Kampf, in dem – nach der Abrede, es werde „fair gekämpft“ – durch Faustschläge gegen Gesicht, Kopf und Oberkörper sowie Tritte gegen den Oberkörper auf Stehende und zu Boden Gegangene von vorn und hinten angegriffen wurden. Ein Kampfteilnehmer sei bereits nach wenigen Sekunden zu Boden gegangen, habe in einer Blutlache gelegen und habe mehrere Brüche im Bereich des Gesichts erlitten, die eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich machten.


Schon weil die Auseinandersetzung eine Schlägerei im Sinne des § 231 StGB (Strafbarkeit wegen Beteiligung an einer Schlägerei) darstellte, nahm das Gericht hier die Sittenwidrigkeit der Tat an. Zu berücksichtigen sei die solchen Auseinandersetzungen innewohnende Eskalationsgefahr – vorliegend fehle es an ausreichend gefahreingrenzenden Regelungen und Instrumenten zur wirksamen Durchsetzung derselben. Unter diesen Umständen sei die Tat auch sittenwidrig, wenn es zu keinem Toten oder schwer Verletzten käme


Zweck der Körperverletzung als ergänzendes Kriterium – Die ärztliche Heilbehandlung, Fußball & Sado Maso

Ärztliche Heilbehandlung

Blickte man allein auf die Eingriffsschwere, käme man indes zu nicht tragbaren Ergebnissen. In bestimmten Situationen sind auch gravierende Gefahren hinzunehmen. Man bedenke etwa den Arzt, der an einem lebensbedrohlich verletzten Patienten eine medizinisch indizierte Operation zur Lebensrettung vornimmt. So risiko- oder folgenreich die Operation auch sei, würde niemand ernsthaft vom Arzt verlangen, sie mit der Begründung zu unterlassen, die Folgen der Operation selbst könnten zu gravierenden Verletzungen oder gar dem Tod führen. Diesen Appell richtet auch das Recht nicht an den Arzt. Niemandem – auch nicht dem Allgemeinwohl – wäre damit gedient, den Patienten seinem Schicksal zu überlassen.


Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, dass neben der Schwerebeurteilung auch der Zweck der Tat in die Bewertung Eingang erhalten muss. Ist die Körperverletzung nach der Schwere grundsätzlich als sittenwidrig zu beurteilen, steht sie trotzdem einer anderen Bewertung durch sozial akzeptable Zwecke (wie den dargestellten operativen Eingriff zur Lebensrettung) offen. Diese können die Schwere der Körperverletzung kompensieren und diese damit von dem Makel der Sittenwidrigkeit befreien. So wäre auch die Amputation eines Beins (schwere Gesundheitsschädigung) wohl nicht sittenwidrig, wenn sie medizinisch indiziert und zur Lebensrettung des Patienten erforderlich ist.


Fußball & andere Sportwettkämpfe

Zu einer ähnlichen Einordnung kann es führen, wenn die Gefahren schwerer Gesundheitsverletzungen im Sport auftreten. Das gilt insbesondere für Begegnungen „Mann gegen Mann“ in Mannschafts- und Kampfsport, die solche Gefahren bürgen. Hier kann man gut argumentieren, die geschaffene Gefahr werde durch die allgemeine Akzeptanz solcher sportlichen Auseinandersetzungen und dem gesellschaftlichen Wert, der von sportlicher Betätigung ausgeht, kompensiert. Die Auseinandersetzung muss dazu auch „sportlich“ sein – Charakteristika dieser sportlichen Auseinandersetzungen sind eine gewisse Chancengleichheit und realistische Verteidigungsmöglichkeiten der Beteiligten, ohne die der Makel der Sittenwidrigkeit nicht zu beseitigen sein wird. So war die Einwilligung in ein Aufnahmeritual, bei dem sich der „Prüfling“ allein von mehreren Gruppenmitgliedern über mehrere Minuten zusammenschlagen ließ, nach Ansicht des befassten Gerichts wegen Sittenwidrigkeit unbeachtlich. Hier dürfte schon keine sportliche Auseinandersetzung vorliegen. Auch die Aufnahme in die Gruppe ist kein komensierender Vorteil.


Im Zuge solcher Auseinandersetzungen besteht dann aber auch die Pflicht, angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung schweren Folgen zu treffen (zB das Vereinbaren von gefahrverhütenden Regeln, die Überwachung und Durchsetzung derselben durch einen seine Aufgabe ernstnehmenden Schiedsrichter, die Anwesenheit von einsatzbereiten Ärzten; Indiz: verbandsmäßige Organisation). Das dient auch der Abschätzbarkeit des Risikos der Sportkontrahenten. 


Aus diesem Grund wird sich regelmäßig auch nicht strafbar machen, wer zB an Box- oder MMA- (Mixed Material Arts – Vollkontaktkampfsportart) Turnieren teilnimmt. Hier ist in aller Regel ein Kräftegleichgewicht zu beobachten; ferner läuft das Kampfgeschehen unter einem gefahrmindernden Regelwerk ab, dass durch den anwesenden Kampfrichter durchgesetzt wird. Ziel ist zuvörderst die sportliche Auseinandersetzung, deren gesellschaftlicher Wert anerkannt ist, und nicht, den Gegner mit Gewaltexzessen zu malträtieren. Fehlen der gesellschaftliche Wert oder die Sicherheitsvorkehrungen, wie bei der skizzierten Hooligan-Schlägerei, wird die Sittenwidrigkeit wieder aufleben.


Sado Maso

Urteilte noch das Reichsgericht, Körperverletzungen im Rahmen sadomasochistischer Sexualpraktiken erfolgten „zu Unzuchtszwecken“ und seien deshalb stets rechtswidrig, kommt es heute im Ausgangspunkt allein auf die zu erwartenden körperlichen Schäden an (s.o.).


Eine konkrete Todesgefahr nahm der Bundesgerichtshof etwa beim mindestens drei Minuten andauernden Würgen des Opfers mit Hilfe eines starren, sich nicht an die Halskonturen anpassenden, Metallrohrs an. In diesem Fall hatte das Opfer sogar trotz der mehrfach geäußerten Bedenken ihres Sexualpartners, der ihr Lebensgefährte war, auf das Würgen insistiert. Gleichwohl war die damit miterklärte Einwilligung in die Behandlung unbeachtlich; in diesem Maße steht es ihr wegen der Sittenwidrigkeit, die im Ausgangspunkt in der hohen Gefährlichkeit begründet liegt, nicht offen, in Verletzungen einzuwilligen.


Eine Kompensation (wie bei einer indizierten ärztlichen Heilbehandlung, teilw. auch in der Sportausübung, s.o.) wird bei Sexualpraktiken allerdings nicht stattfinden, da die Gefahr für das Leben bzw. die körperliche Unversehrtheit außer Verhältnis zur durch sie ausgelösten sexuellen Befriedigungswirkung stehen wird. Sittenwidrig sind deshalb zB auch – hinreichend gefährliche – Behandlungen durch sog. Bizarrärzte. Hier wird in der Regel schon kein wirklicher Arzt tätig und es liegt keine ernsthafte Erkrankung vor; jedenfalls wird die vorgenommene „Therapie“ nicht medizinisch indiziert, sondern lüstern motiviert sein.


Resümee

Jedem steht es im Ausgangspunkt offen, in Verletzungen seiner Rechtsgüter – wie seine körperliche Unversehrtheit – einzuwilligen. Grenzen ergeben sich bei den Körperverletzungs-delikten, wenn die Tat sittenwidrig ist – also die Beeinträchtigung eine bestimmte Schwere erreicht und nicht durch allgemein anerkannte sittliche Zwecke (zB sportliche Betätigung, Lebensrettung durch medizinisch indizierte Operation) kompensiert wird.

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