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Umschulung ( berufliche Rehabilitation): Darf der Versicherungsträger das Mehrstufenschema anwenden

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Wer aus gesundheitlichen Gründen seinen Beruf nicht mehr ausüben kann und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, kann eine Umschulung beantragen (Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben). Voraussetzung ist, dass die Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und durch die beantragte Leistung die Gefährdung voraussichtlich abgewendet werden oder die Erwerbsfähigkeit wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder eine wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann.

In der Praxis entsteht häufig Streit über die Frage, nach welchen Maßstäben die Gefährdung der Erwerbsfähigkeit zu beurteilen ist. Die Rentenversicherungsträger wenden oft zu Unrecht denselben Prüfungsmaßstab an, der für die Entscheidung über die Bewilligung von Erwerbsminderungsrenten anzuwenden ist, d.h. sie verweisen den Antragsteller zunächst auf geringerwertige, leichtere Berufstätigkeiten, die dieser mit seinem Restleistungsvermögen (vermeintlich) noch ausüben kann.

Diese Praxis ist jedoch rechtswidrig. In mehreren Entscheidungen der Landessozialgerichte und auch des Bundessozialgerichts wird dies wiederholt hervorgehoben. Das Landessozialgericht Hamburg hat z.B. in einem Urteil vom 08.09.2004 (L 1 RJ 22/04) folgendes entschieden: Der Begriff der „Erwerbsfähigkeit" ist im Rehabilitationsrecht zwar nicht gesetzlich definiert. Aus dem Zusammenhang von Rehabilitationsmaßnahmen und Renten wegen Erwerbsminderung ergibt sich jedoch, dass von einer Gefährdung bzw. Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des Rehabilitationsrechts bereits dann auszugehen ist, wenn der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit im üblichen Umfang nachzugehen. Das Mehrstufenschema , welches das Bundessozialgericht im Zusammenhang mit der Feststellung von Berufsunfähigkeit entwickelt hat, ist bei der Prüfung von Rehabilitationsmaßnahmen nicht anwendbar. Die Zulassung einer Verweisungspraxis würde zu dem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führen, dass einem Versicherten nicht einmal eine Heilbehandlung nicht gewährt werden dürfte, solange er nur an der Ausübung der bisherigen beruflichen Tätigkeit, aber noch nicht an einer zumutbaren Verweisungstätigkeit gehindert ist. In dem entschiedenen Fall untersagte das LSG dem Versicherungsträger, eine Versicherte, die zuletzt als Küchenhilfe gearbeitet hatte, auf ungelernte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen.

Es empfiehlt sich daher, im konkreten Einzelfall einer solchen rechtswidrigen Praxis entgegenzutreten.

Dieser Beitrag dient zur allgemeinen Information und entspricht dem Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Eine individuelle Beratung wird dadurch nicht ersetzt. Jeder einzelne Fall erfordert fachbezogenen Rat unter Berücksichtigung seiner konkreten Umstände. Ohne detaillierte Beratung kann keine Haftung für die Richtigkeit übernommen werden. Vervielfältigung und Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung des Verfassers.


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