Veröffentlicht von:

Unfallversicherung: fokale Dystonie als Berufskrankheit bei Musikern

  • 5 Minuten Lesezeit

Bei Musikern ist sie gefürchtet: Wer von ihr betroffen ist, muss wahrscheinlich seine professionelle Karriere beenden: Es handelt sich bei dieser Erkrankung um eine Bewegungsstörung, die in der Regel nur bei den typischen Bewegungsabläufen beim Spielen eines Instruments auftritt. Im Alltag merkt man davon in der Regel nichts. Kommt aber das Instrument ins Spiel, geht nichts mehr. Entscheidende Bewegungen, die man vorher im Schlaf beherrschte, lassen sich willentlich nicht mehr steuern. Bei Pianisten sind es z. B. die Finger, die nicht mehr so mitspielen, wie man es jahrelang trainiert hatte. Sie blockieren an bestimmten Stellen. Griffe und Fingersätze lassen sich nicht mehr ausführen. Ähnlich auch bei Streichern. Bei Bläsern ist es die Mundringmuskulatur, die sich plötzlich der Kontrolle entzieht und keinen geraden Ton mehr ermöglicht. Die Ursachen dieser Erkrankung sind noch nicht eindeutig geklärt. Möglicherweise werden die Nerven infolge eines Übertrainings fehlgesteuert.

Anspruch auf Unfallrente

Seit 2017 ist diese Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt. Eine nachgewiesene Dystonie ist ein Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung. Rechtliche Schwierigkeiten können auftreten, wenn es um den Anspruch auf Unfallrente geht. Dieser Anspruch hängt von der Höhe der sog. MdE ab, also der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Sie wird in Prozent bewertet. Für eine Unfallrente ist eine MdE von mindesten 20 v. H. erforderlich (56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Rente ist ein Ausgleich dafür, dass der Geschädigte gegenüber einem unverletzten Versicherten zusätzliche Anstrengungen erbringen muss, um den gleichen Erfolg im Erwerbsleben zu erlangen. Für die Feststellung der MdE-Höhe kommt es nicht allein auf die Beeinträchtigung des bisherigen Musikerberufs an. Denn das Gesetz versteht unter Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit des Versicherten, sich unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen gesamten Kenntnissen und Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens, auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen. D. h., eine verminderte Erwerbsfähigkeit besteht nicht allein in dem Verlust des bisherigen Berufs. Entscheidend ist der Umfang der verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, die sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergeben (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Daher kann der Anspruch auf Verletztenrente zu einer Herausforderung werden. Denn häufig kann man vorhandene Kenntnisse und Fähigkeiten durchaus angemessen weiter verwerten, z. B. in Form von Musikunterricht oder durch einen Wechsel in das Musikmanagement. Manche Musiker haben zusätzlich auch ein Instrumentenbauerhandwerk gelernt und können dort weiterarbeiten, sodass eine Erwerbsfähigkeit grundsätzlich weiter vorhanden ist.

Besondere berufliche Härte

In solchen Fällen kann ggf. mit einer besonderen Härte bzw. besonderen beruflichen Betroffenheit argumentiert werden. Liegt eine besondere Härte vor, kann die MdE angehoben werden. Das Gesetz schreibt nämlich vor, dass bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit Nachteile berücksichtigt werden, die die Versicherten dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden (§ 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII). Für die Beurteilung dieser Frage, hat das Bundessozialgericht diverse Kriterien herausgearbeitet:

  • das Alter des Verletzten
  • die Dauer der Ausbildung
  • die Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit
  • die beruflichen Fertigkeiten
  • der Umstand, dass die bisher verrichtete Tätigkeit eine günstige Stellung im Erwerbsleben gewährleistete

Umfassender Sachvortrag

Um diese Kriterien mit Leben zu füllen, müssen sämtliche Umstände des konkreten Einzelfalles betrachtet werden. Das Bundessozialgericht hat z. B. das Vorliegen einer besonderen Härte im Falle eines Klavierdozenten an einer Musikhochschule verneint, der neben der Dozententätigkeit auch als Konzertsolist aufgetreten war. Er hatte sich den kleinen Finger der linken Hand verletzt und konnte infolge dessen bestimmte Tastengriffe nicht mehr ausführen. Dadurch wiederum konnte er eine Reihe von Klavierwerke konnte er nicht mehr in Konzerten aufführen. Das BSG verneinte dennoch eine besondere Härte, weil dem Pianisten weiterhin die Dozententätigkeit verblieb und seine Erwerbsfähigkeit nicht wesentlich eingeschränkt war (Urteil vom 18.12.1974 – 2 RU 155/74).

Der Einzelfall ist daher in alle Richtungen auszuwerten. Bei Profimusikern kann man z. B. von einer überdurchschnittlich langen Ausbildung ausgehen, deren Früchte mit der Berufsunfähigkeit u. U. verloren gehen. Denn die Ausbildung beginnt zumeist nicht erst mit dem Studium an einer Musikhochschule, sondern bereits in der Kindheit. Die frühe intensive Beschäftigung mit dem Instrument ist in aller Regel Grundvoraussetzung, um überhaupt die Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule zu bestehen (wobei dort mitunter sogar zwei Instrumente verlangt werden). Mit der allgemeinen Hochschulreife allein kommt man hier nicht weit. Zudem kann der Beruf eines Profimusikers, z. B. in einem Spitzenorchester, auch eine hohe soziale Stellung bedeuten, sodass als Folge der Berufsunfähigkeit auch ein sozialer und künstlerischen Abstieg eintritt. Auch der Bekanntheitsgrad des Musikers selbst oder seines Orchesters/Ensembles und der Verlust des öffentlichen Ansehens kann ein wichtiger Gesichtspunkt sein. Möglicherweise hat der Verlust des mit Leidenschaft ausgeübten Berufs auch psychische Folgen, die in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden können.

All diese Aspekte müssen in der Auseinandersetzung mit der Berufsgenossenschaft zusammengetragen, geltend gemacht und ggf. unter Beweis gestellt werden. Zur Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen wird die Berufsgenossenschaft zunächst ein fachmedizinisches Gutachten einholen und zunächst die Schwere der Erkrankung und die von ihr ausgehende Beeinträchtigung der Berufsausübung prüfen. Die Geltendmachung einer besonderen Härte ist dann Sache des Versicherten. Dieser muss im Rahmen seines Antrags sämtliche Folgen, die sich im Erwerbsleben aus der Erkrankung ergeben, darlegen. Je umfassender der Vortrag, desto günstiger die Aussichten, dass die BG oder zumindest das Sozialgericht eine besondere Härte feststellt.

Dieser Beitrag dient zur allgemeinen Information und entspricht dem Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Eine individuelle Beratung wird dadurch nicht ersetzt. Jeder einzelne Fall erfordert fachbezogenen Rat unter Berücksichtigung seiner konkreten Umstände. Ohne detaillierte Beratung kann keine Haftung für die Richtigkeit übernommen werden. Vervielfältigung und Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung des Verfassers.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Peter Koch

Beiträge zum Thema