Unwirksame Zinsanpassungsklausel – Zinsnachzahlungen für den Sparer – OLG Dresden vom 22.04.2020

  • 5 Minuten Lesezeit

Die Kündigung von langfristigen Sparverträgen und die Frage der korrekten Zinsberechnung bei unwirksamer Zinsanpassungsklausel ist schon seit vielen Jahren fester Bestandteil der öffentlichen Berichterstattung. Der Streit um Zinsnachzahlungen aus langjährigen variablen Prämiensparverträgen ist durch mehrere Musterklagen der Verbraucherzentralen jeweils gegen die Sparkasse Leipzig, die Erzgebirgssparkasse und die Sparkasse Zwickau nunmehr wieder brandaktuell.

1. Zum Hintergrund

Nach der Rechtsprechung des BGH steht es den Parteien im Rahmen der Privatautonomie grundsätzlich frei, sich bei dem Abschluss eines Sparvertrages auf einen variablen Zinssatz zu verständigen und auch den Anfangszinssatz frei zu bestimmen. Es handelt sich dabei um eine gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der AGB-Kontrolle entzogene Preishauptabrede. (vgl. Senatsurt. v. 10. 6. 2008 – XI ZR 211/07, WM 2008, 1493, Tz. 16f.). 

Die inhaltliche Ausgestaltung der Zinsanpassungsklausel unterliegt jedoch als einseitiges Leistungsbestimmungsrecht der Bank nach der Rechtsprechung des BGH sehr wohl der AGB-Kontrolle. Unwirksam ist die Zinsänderungsklausel, soweit sie den Interessen beider Parteien nicht angemessen Rechnung trägt, was insbesondere bedeutet, dass das vertragliche Äquivalenzverhältnis erhalten bleiben muss, eine Symmetrie zwischen Zinserhöhung und -senkung besteht und die Klausel zudem ausreichend transparent ist, d. h., das erforderliche Mindestmaß an Kalkulierbarkeit möglicher Zinsänderungen aufweist (vgl. Senat, BGHZ 158, 149, 153ff. und Urt. v. 10. 6. 2008 – XI ZR 211/07, WM 2008, 1493, Tz. 10ff.; jeweils zu vergleichbaren Klauseln).

Die durch die Unwirksamkeit der Klausel entstandene Lücke im Vertrag ist durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Dabei kommt ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht der Bank nicht in Betracht. Vielmehr ist darauf abzustellen, welche Regelung die Vertragsparteien unter Abwägung der beiderseitigen Interessen und nach Treu und Glauben getroffen hätten, wenn sie die Unwirksamkeit gekannt hätten. Als wichtigster Parameter bei dieser Ergänzung ist der Referenzzins zu bestimmen, dessen Veränderung Auslöser für die Zinsänderung ist. Es muss sich hierbei um einen in öffentlich zugänglichen Medien abgebildeten Referenzzins handeln, der von unabhängigen Stellen nach einem genau festgelegten Verfahren ermittelt wird und die Bank nicht ein-seitig begünstigt (vgl. Rösler/Lang, ZIP 2006, 214, 215; siehe auch § 675g Abs. 3 Satz 2 BGB). 

Höchstrichterlich anerkannt ist das Abstellen auf die in den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Zinssätze für vergleichbare Produkte (vgl. BGHZ 97, 212, 223; auch BGHZ 161, 196, 203f.). Dabei sind ferner die Anpassungsschwelle und der Anpassungszeitraum zu bestimmen und das Äquivalenzprinzip, nach dem die Bank durch Zinsänderungen keine einseitige Veränderung des Vertragsgefüges zu ihren Gunsten vornehmen darf, zu beachten.  

2. Das Musterverfahren gegen die Sparkasse Leipzig 

Mit der beim Oberlandesgericht Dresden durch die Verbraucherzentrale eingereichte Musterfeststellungsklage gegen die Sparkasse Leipzig wird u. a. die hier verkürzt dargestellten Feststellungen begehrt, dass die beklagte Sparkasse

  1. bei Abschluss der Sparverträge "S-Prämiensparen flexibel" keine wirksamen Zinsanpassungsregelungen für den variablen Zinssatz formularmäßig vertraglich vereinbarte,
  2. verpflichtet ist, die Zinsanpassung auf der Grundlage des gleitenden Durchschnittswertes der letzten 10 Jahre, den Referenzzinssatz für Umlaufrenditen inländischer Inhaberschuldverschreibungen/Hypothekenpfandbriefe mit einer mittleren Restlaufzeit von 10 Jahren (Kürzel: WX 4260 gemäß Statistik der Deutschen Bundesbank) vorzunehmen,
  3. verpflichtet ist, aufgrund des so ermittelten Referenzzinssatzes, die Zinsanpassung in den Sparverträgen monatlich vorzunehmen, wobei das relative Verhältnis zwischen dem anfänglich vereinbarten variablen Zinssatz zum gleitenden Durchschnitt des. ermittelten Referenzzinssatzes im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gewahrt bleibt.

Bei den streitigen Verträgen handelt es sich um das Modell „Prämiensparen flexibel“ und vergleichbare Verträge, die insbesondere von Volksbanken und Sparkassen in großem Umfang in den 90er und 2000er Jahren vertrieben wurden. vertrieben wurden. Bei diesen Konstrukten war eine gestaffelte Extraprämie vorgesehen und die höchste Bonusstufe konnte erstmals nach einer langen Sparzeit von beispielsweise 15 Jahren beansprucht werden. Aufgrund der Niedrigzinspolitik haben die Sparkassen den variablen Grundzins mehrfach nach unten korrigiert, so dass die anfänglich mit ca. 3 % Zins berechnete Spareinlage bei vielen Verträgen auf 0,001 % sank. Das für Zinsanpassungsklauseln geltende Transparenzgebot soll den einzelnen Sparer gerade vor derart willkürlichen Änderungen des Zinssatzes schützen.

In der heutigen mündlichen Verhandlung vor der OLG Dresden hat das Gericht nach Auskunft der Verbraucherzentrale weitgehend zu Gunsten der Verbraucher entschieden. Überraschend wurde offenbar bereits im Rahmen des ersten Verhandlungstages ein Urteil gefällt. Das Gericht hat entschieden, dass die Klauseln in den Verträgen unwirksam und die Ansprüche der Verbraucher nicht verjährt seien.

Nach Auffassung des OLG Dresden sind den Sparern für die gesamte Vertragslaufzeit die ordnungsgemäß berechneten Zinsen zu zahlen. 

Wie der Zins genau zu berechnen ist, zur Auswahl stehen verschiedene langfristige Referenzzinssätze, wurde noch nicht entschieden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen worden. Mit einer Entscheidung des BGH ist Mitte 2020 zu rechnen.

3. Was Sie tun können

Die Urteile in den geschilderten Musterklagen werden zweifelsohne auch auf andere Sparkassen und Volksbanken durchschlagen, da die Verträge vielfach vergleichbar sind.

Wenn Sie Kunde der Erzgebirgssparkasse oder der Sparkasse Zwickau sind, besteht für Sie innerhalb eines begrenzten Zeitfensters noch die Möglichkeit sich durch eine Anmeldung zur Musterfeststellungsklage in dem von der Verbraucherzentrale geführten Verfahren zu beteiligen. Ist dies nicht der Fall, können wir aber nicht dazu raten, lediglich den Ausgang der Musterklagen abzuwarten, da Ihre Ansprüche zwischenzeitlich verjähren oder etwa dem Einwand der Verwirkung unterliegen könnten.

Die Frage der Verjährung ist in den vorliegenden Fallkonstellationen noch nicht höchstrichterlich geklärt und diesbezüglich noch vieles umstritten. Unseres Erachtens ist die Auffassung, dass die nach der Vereinbarung zum Jahresende dem Kapital zuzuschlagenden Zinsen, da diese die Hauptforderung jeweils erhöhen, ebenso wie diese verjähren, gut vertretbar (vgl. BGH NJW 2002, 2707, 2708; OLG Frankfurt a. M. NJW 1998, 998). Jedenfalls wird das Sparguthaben auf dem jeweiligen Vertrag erst mit dessen Beendigung fällig, so dass frühestens nach diesem Zeitpunkt der Verjährungslauf beginnen kann. Ist Ihr Vertrag bereits beendet, ist daher Eile geboten.

Erfahrungsgemäß versuchen die Sparkassen unabhängig von einer eingetretenen Verjährung den Einwand der Verwirkung für sich fruchtbar zu machen. Ein Recht ist verwirkt, wenn es treuewidrig verspätet geltend gemacht wird. Verwirkung als Ausprägung des Verstoßes gegen Treu und Glauben liegt dann vor, wenn zu dem Zeitablauf besondere auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die bei objektiver Betrachtungsweise das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (vgl. BGHZ 105, 290, 298). Bei noch laufenden Sparverträgen kann jedoch die reine Untätigkeit des einzelnen Sparers nicht als vertrauensbildender Umstand angesehen werden weshalb praktisch kaum Fälle denkbar sind, in denen Verwirkung angenommen werden könnte.

Für eine Beratung wenden Sie sich an Dr. Rädecke, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und Fachanwalt für Steuerrecht, Partner der Kanzlei ActiveLaw.



Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. iur Jan Rädecke LL.M.

Beiträge zum Thema