Verfassungsbeschwerde gegen eine Impfpflicht
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Die Möglichkeit einer Impfpflicht gegen das Corona-Virus wird derzeit heiß diskutiert. Nachdem Österreich einen entsprechenden Beschluss gefasst hat, mehren sich die Stimmen, dies auch in der Bundesrepublik einzuführen.
Da mich bereits einige Anfragen erreicht haben, welche Schritte dagegen möglich wären, möchte ich die häufigsten Fragen dazu hier beantworten.
Kann eine solche Regelung überhaupt angefochten werden?
Ja. So gut wie jede staatliche Maßnahme kann gerichtlich überprüft werden.
Wie man eine Impfpflicht genau anfechten könnte, kommt auf die jeweilige Regelung an, für die sich der Staat entscheidet:
Gegen ein Bundesgesetz gäbe es nur die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht.
Gegen ein Landesgesetz kann ebenfalls Verfassungsbeschwerde eingelegt werden, aber sowohl zum Bundesverfassungsgericht als auch (wenn es ein solches gibt) zum Landesverfassungsgericht.
Wird die Pflicht als solche (wie die meisten Corona-Maßnahmen derzeit) in einer Landesverordnung auf Grundlage des Bundes-Infektionsschutzgesetzes festgelegt, kann eine verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle direkt zum Oberverwaltungsgericht/Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Sollte die Impfpflicht dagegen individuell behördlich festgelegt werden (z.B. als Bescheid für alle Beschäftigten in einem bestimmten Beruf), muss dies auf dem Verwaltungsrechtsweg durchgeklagt werden.
In Bayern ist zudem die Popularklage gegen jede Art von Rechtsnorm des Landes (Gesetz oder Verordnung) möglich und häufig auch sinnvoll.
Wer kann gegen die Impfpflicht klagen?
Grundsätzlich nur derjenige, der davon betroffen ist. Bei einer wirklich allgemeinen Impfpflicht, die also jeden Bürger trifft, ist das tatsächlich auch jeder. Sofern nur einzelne Personengruppen betroffen sind, muss man Teil dieser Gruppe sein.
Außerdem muss man bereits direkt betroffen sein. Das ist bspw. dann der Fall, wenn der Vollzug der Impfung an Ihnen persönlich unmittelbar bevorsteht. Aber auch, wenn man sich bei Nichtbefolgung strafbar machen würde oder ein Bußgeld droht, ist die Klage möglich.
Bei der bayerischen Popularklage wiederum braucht es keine persönliche Betroffenheit.
Wann ist die Klage möglich?
Erst, wenn dieses in Kraft getreten ist. Da eine Betroffenheit vor dem Wirksamwerden des Gesetzes ausscheidet, muss grundsätzlich erst dessen Inkrafttreten abgewartet werden. Die Abstimmung im Parlament ist dafür nicht ausreichend, erst recht nicht die bloße politische Diskussion.
Eine vorherige Anfechtung ist nur möglich, wenn die „künftigen Rechtswirkungen bereits gegenwärtig klar abzusehen und für den Beschwerdeführer gewiss“ sind. Aber auch muss man die Verkündung, also die formelle Bekanntgabe des schon beschlossenen Gesetzes, abwarten.
Mehr dazu: Kann man ein Gesetz vor dessen Inkrafttreten anfechten? (anwalt-verfassungsbeschwerde.de)
Auf welches Grundrecht kommt es an?
Das in erster Linie betroffene Grundrecht ist das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Eine Impfung ist dabei immer ein Eingriff in die Unversehrtheit des Körpers. Schon der winzige Einstich mit der Nadel verletzt den Körper. Auch die Tatsache, dass der Impfstoff im menschlichen Organismus wirkt und eine Reaktion auslöst, beeinträchtigt die körperliche Unversehrtheit.
Dass die Impfung insgesamt eine positive Wirkung hat und gerade der Erhaltung der Gesundheit dient, ändert daran erst einmal nichts. Es findet keine Saldierung statt.
Anschließend muss man sich die Frage stellen, ob diese Verletzung des Körpers gerechtfertigt ist.
Wie kann eine Impfpflicht gerechtfertigt werden?
Nach den allgemeinen Grundsätzen für Grundrechtseingriffe muss jede Einschränkung von Grundrechten geeignet, notwendig und angemessen sein, um ein legitimes Ziel zu erreichen. Nur dann ist sie gerechtfertigt und verfassungskonform.
Um das zu prüfen, muss eine Abwägung zwischen dem Selbstbestimmungsinteresse des Einzelnen und dem Interesse des Staates an der Eindämmung von Corona-Erkrankungen stattfinden.
Was sagt die Rechtsprechung bisher zu dieser Frage?
Da im deutschen Recht Impfpflichten die Ausnahme waren und sind, gibt es kaum Gerichtsurteile dazu. Bisher sind lediglich drei Entscheidungen von Bundesgerichten zu Impfpflichten ersichtlich:
Bundesgerichtshof, Gutachten vom 25.01.1952, Az. VRG 5/51: Die Impfung gegen Pocken stellt einen verhältnismäßig geringen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Demgegenüber stand die Gefahr der damals noch in einigen Regionen verbreiteten Pockenepidemien, sodass das Virus auch in die Bundesrepublik hätte eingeschleppt werden können. Ernsthafte Impfnebenwirkungen wurden dagegen als selten angesehen. Der Impfzwang sei deswegen zumutbar.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.07.1959, Az. I C 170/56: Hier wollte der Kläger die Impfung seiner Tochter erzwingen. Weil eine Impfpflicht bestand, war er der Meinung, dass daraus umgekehrt auch ein Recht auf Impfung folgt. Das BVerwG hatte daher zunächst zu prüfen, ob die Impfpflicht verfassungskonform ist. Dies wurde mit den Argumenten des Bundesgerichtshofs bejaht. Die Absicht der Pandemiebekämpfung sei nachvollziehbar, eine Impfpflicht dafür sei jedenfalls nicht unangemessen.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11.05.2020, Az. 1 BvR 469/20, 1 BvR 470/20: In diesem Fall ging es um einen Eilantrag gegen die neu eingeführte Masen-Impfpflicht für Kinder in Betreuungseinrichtungen. Das BVerfG lehnte eine Eilentscheidung ab. Denn die Frage, ob diese Impfpflicht verfassungskonform ist, sei noch offen und müsse dann im eigentlichen Hauptverfahren geklärt werden. Bis dahin entstehe kein schwer wiegender Nachteil, wenn sich die Eltern um eine andere Form der Kinderbetreuung kümmern müssen.
In keinem dieser Urteile wurde also der Fall entschieden, dass sich jemand gegen eine gesetzliche Impfpflicht gewandt hat und diese vom Gericht inhaltlich überprüft wurde. Vor allem das Bundesverfassungsgericht hat lediglich eine Folgenabwägung getroffen und zur eigentlichen Urteilsfrage nur ausgeführt: „Die Verfassungsbeschwerde ist zumindest nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Dies bedarf einer eingehenden Prüfung, die im Rahmen eines Eilverfahrens nicht möglich ist.“
Wie werden die Gerichte über die Corona-Impfpflicht urteilen?
Das kann momentan noch niemand sagen.
Es wird auch davon abhängen, wie eine Impfpflicht im Einzelnen ausgestaltet wäre. Nur so kann man eine Abwägung zwischen Impfzwang und Pandemiebekämpfung vornehmen.
Insoweit gibt es zahlreiche Argumente, die einander gegenüber gestellt werden müssen. Welcher Seite man nun den Vorzug gibt, ist in vielerlei Weise von subjektiven Einschätzungen abhängig. Entscheidend wird hier die Einschätzung des dann zuständigen Gerichts sein.
Angesichts der bisherigen Behandlung der Corona-Maßnahmen dürfte es auch bei der Impfpflicht sinnvoller sein, eine Entscheidung der Landesgerichte anzustreben, da diese meist grundrechtsfreundlicher geurteilt haben als das Bundesverfassungsgericht.
Werden Sie die Verfassungsbeschwerde gegen eine Impfpflicht übernehmen?
Höchstwahrscheinlich nicht.
Das war zunächst angedacht, angesichts der enormen Zahl an Anfragen ist meine Kanzlei damit aber langsam überfordert. Wir bearbeiten normalerweise sehr wenige, sehr spezielle Mandate im Bereich von Verfassungsbeschwerden gegen Urteile.
Ein "Massengeschäft", wie es hier notwendig sein wird, ist bürokratisch für uns einfach schwer abzuwickeln. Es dürfte aber genug Kanzleien geben, die die Ressourcen dafür mitbringen und das Mandat gerne übernehmen.
Mehr Fragen dazu:
Normalerweise beantworte ich alle Zuschriften über anwalt.de persönlich und individuell und versuche, hier auch weiterzuhelfen. Zu diesem Artikel habe ich aber im Minutentakt Nachrichten bekommen.
Daher muss ich Sie leider auf die folgende FAQ verweisen, in der ich weitere Fragen, die jetzt in größerer Zahl an mich herangetragen wurden, nach und nach einarbeite:
https://anwalt-verfassungsbeschwerde.de/verfassungsbeschwerde-impfpflicht/
Aber auch das wird leider nicht von heute auf morgen gehen. Es tut mir leid, dass ich Sie auf diese Weise vertrösten muss, aber ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür.
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