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Vorratsdatenspeicherung 2.0 - Bundestag beschließt erneut umstrittenes Gesetz

  • 5 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion

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Befürworter halten sie zur Bekämpfung schwerer Straftaten für notwendig. Gegnern zufolge stellt sie Millionen Bürger unter Generalverdacht. Die Rede ist von der Vorratsdatenspeicherung, die der Bundestag in einer „entschärften“ Version nun bereits zum zweiten Mal beschlossen hat. Das erste sogenannte Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung hatte das Bundesverfassungsgericht 2010 für nichtig erklärt. Gegnern zufolge drohe das auch der zweiten Version der mit VDS abgekürzten Vorratsdatenspeicherung. Erste Verfassungsbeschwerden sind bereits in Arbeit.

Welche Daten werden gespeichert?

Das zweite Vorratsdatenspeicherungsgesetz hat den offiziellen Titel „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“. Dabei sollen nur Informationen wie Verbindungen zwischen verschiedenen Rufnummern, aber keine Inhalte gespeichert werden. Der Inhalt der Kommunikation, Daten über aufgerufene Internetseiten und E-Mails dürfen nicht gespeichert werden, stellt das Gesetz klar. Die Süddeutsche Zeitung berichtet allerdings mit Verweis auf Aussagen von Vodafone, Telekom und Telefónica, dass sich der Inhalt von SMS beim Speichern der mit ihr verknüpften Verkehrsdaten technisch nicht trennen lasse.

Konkret verpflichtet das Gesetz Telekommunikationsanbieter, für zehn Wochen folgende Daten zu speichern:

Festnetzgespräche

Die Rufnummer oder eine andere Kennung des anrufenden und des angerufenen Anschlusses sowie bei Um- oder Weiterschaltungen jedes weiteren beteiligten Anschlusses, Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone und Angaben zu dem genutzten Dienst, wenn im Rahmen des Telefondienstes unterschiedliche Dienste genutzt werden können.

Mobilfunkgespräche

Bei mobilen Telefondiensten fallen unter die Speicherpflicht die internationale Kennung mobiler Teilnehmer für den anrufenden und den angerufenen Anschluss, die internationale Kennung des anrufenden und des angerufenen Endgerätes, Datum und Uhrzeit der ersten Aktivierung des Dienstes unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone, wenn Dienste im Voraus bezahlt wurden. Im Fall von Internet-Telefondiensten müssen auch die IP-Adressen des anrufenden und des angerufenen Anschlusses und zugewiesene Benutzerkennungen gespeichert werden. Entsprechendes gilt bei der Übermittlung einer Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachricht.

Internetnutzung

Internet-Provider haben folgende Daten für zehn Wochen zu speichern. Die dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesene IP-Adresse, eine eindeutige Kennung des Anschlusses, über den die Internetnutzung erfolgt, sowie eine zugewiesene Benutzerkennung. Außerdem Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen IP-Adresse unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone.

Standortdaten

Nicht für zehn, sondern nur für vier Wochen sind sogenannte Standortdaten zu speichern. Das betrifft die Bezeichnungen der Funkzellen, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt wurden. Bei öffentlich zugänglichen Internetzugangsdiensten ist im Fall der mobilen Nutzung die Bezeichnung der bei Beginn der Internetverbindung genutzten Funkzelle zu speichern. Hinzukommend sind die Daten vorzuhalten, aus denen sich die geografische Lage und die Hauptstrahlrichtungen der die jeweilige Funkzelle versorgenden Funkantennen ergeben.

Spätestens binnen einer Woche nach Ablauf der Speicherfristen müssen die Anbieter die genannten Daten löschen.

Strafverfolger dafür, Anwaltschaft dagegen

Das erste, für nichtig erklärte Vorratsdatenspeicherungsgesetz sah noch eine Mindestspeicherfrist von sechs Monaten vor und erfasste unter anderem auch E-Mail-Verkehrsdaten. Nach dessen Aufhebung haben Telekommunikationsanbieter nur noch wesentlich kürzer und nur für ihre geschäftsmäßigen Zwecke benötigte Daten gespeichert. Daher hing es vom Zufall ab, ob im Rahmen von Ermittlungen noch Daten vorhanden waren. In einer im September erfolgten öffentlichen Anhörung zum neuen Vorratsdatenspeicherungsgesetz haben Vertreter von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten die Speicherung daher begrüßt. Dagegen ist die Anwaltschaft der flächendeckenden Speicherung der Verkehrsdaten gegenüber abgeneigt.

Wann darf der Staat auf die Daten zugreifen?

Für das Bundesverfassungsgericht verstößt eine Vorratsdatenspeicherung nicht generell gegen das Grundgesetz. Das hat es in seiner Entscheidung zum ersten Vorratsdatenspeicherungsgesetz erklärt. Die Vorratsdatenspeicherung bewegt sich jedoch auf einem schmalen Grat der Verfassungsmäßigkeit.

Nur zum Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter

So ist die Verwendung gespeicherter Daten nur für überragend wichtige Aufgaben des Rechtsgüterschutzes zulässig (Urteil v. 02.03.2010, Az.: 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08). Zur Strafverfolgung darf sie nur bei begründetem Verdacht einer schwerwiegenden Straftat erfolgen. Bei der Verwendung zur Gefahrenabwehr müssen hinreichend bestimmte Tatsachen vorliegen, aus denen sich eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr ergibt. Entsprechende Regelungen müssen klare Angaben zur Datensicherheit, zur Begrenzung der Datenverwendung, zur Transparenz und zum Rechtsschutz beinhalten. Ein Richtervorbehalt und nachträgliche Kontrollen wie Sanktionen sind grundsätzliche Voraussetzungen, damit die Regeln zur Übermittlung und Nutzung der Daten rechtmäßig sind.

Erhebliche Missbrauchsgefahr der Massenspeicherung

Nur wenn das gewährleistet ist, lässt sich der besonders schwere Eingriff in das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung laut Bundesverfassungsgericht rechtfertigen. Schließlich vermittelt eine massenhafte Vorratsdatenspeicherung auch ein wenig greifbares, als bedrohlich empfundenes Gefühl des Beobachtetseins für Betroffene. Zudem berge die umfangreiche Speicherung auch eine enorme Missbrauchsgefahr, wenn diese Speicherdaten in falsche Hände geraten oder falschen Zwecken dienen. Dieser Gefahr will das neue Vorratsdatenspeicherungsgesetz abschreckend mit einem neuen Straftatbestand der „Datenhehlerei“ im Strafgesetzbuch (StGB) begegnen.

35000 Verfassungsbeschwerden bei früherem Gesetz

Ob die jetzigen Regelungen diesen Anforderungen genügen, wird das Bundesverfassungsgericht sehr wahrscheinlich prüfen. Schon das erste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung hatte mit nahezu 35.000 Verfassungsbeschwerden eine Welle der Ablehnung hervorgerufen. Das neue Gesetz enthält jedenfalls einen umfangreichen Katalog an für „schwerwiegend“ erklärten Straftaten. Darunter finden sich auch umstrittene Straftatbestände wie der der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“, welcher in § 89a StGB bereits die Ausreise aus der Bundesrepublik zu Vorbereitungszwecken in einen anderen Staat unter Strafe stellt.

Welche Ausnahmen müssen gelten?

Weitere Vorgaben kamen auch vom Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser hält eine ausnahmslose, anlasslose und zusammenhanglose Datenspeicherung für unzulässig. Von der Speicherung ausgenommen werden müssen, wie auch das Bundesverfassungsgericht erklärt, insbesondere Daten von Berufsgeheimnisträgern. Das ist jedoch, wie der Gesetzentwurf bereits erklärt, technisch nicht möglich. Jeder der ca. 1000 Telekommunikationsanbieter müsste dazu wissen, wer alles zu dieser Gruppe zählt. Nur für Verbindungen zu Anschlüssen von Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen existiert eine entsprechende Liste. Hinzukommend erschwert die Vergabe dynamischer IP-Adressen die Feststellung. Somit sieht das nun verabschiedete Vorratsdatenspeicherungsgesetz für einen Teil von Berufsgeheimnisträgern, darunter Rechtsanwälte, Ärzte und Journalisten, lediglich vor, die Verwendung über sie gespeicherte Daten, nicht aber von vornherein deren Speicherung, auszuschließen.

(GUE)

 

Foto(s): ©Fotolia.com

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