Finden Sie jetzt Ihren Anwalt zu diesem Thema in der Nähe!

Probezeitkündigung wegen Erkrankung des Kindes?

  • 4 Minuten Lesezeit
Sandra Voigt anwalt.de-Redaktion

Wird ihr Kind krank, stehen berufstätige Eltern häufig vor einem großen Dilemma. Sofern keine Kinderbetreuung durch z. B. die Oma möglich ist, müssen Mama oder Papa zu Hause beim Nachwuchs bleiben. Wer sich dann noch in der Probezeit befindet, fürchtet aber nicht selten um seinen Job. Doch darf der Arbeitgeber dann ohne Angabe von Gründen einfach kündigen?

Ansprüche der Eltern bei Erkrankung ihres Kindes

Egal, ob das Kind bereits morgens über z. B. Übelkeit klagt, Fieber hat oder erst in der Schule, z. B. nach einem Unfall während des Sportunterrichts, erkrankt: Eltern müssen die Möglichkeit haben, sich um ihren kranken Nachwuchs kümmern zu können.

Vorübergehende Verhinderung von Angestellten?

Nach § 616 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) können sich berufstätige Elternteile bezahlt von der Arbeit freistellen lassen. Allerdings sind einige Voraussetzungen zu beachten. So muss der Berufstätige vorübergehend, schuldlos sowie unvorhersehbar an seiner Tätigkeit gehindert sein. Das ist in der Regel der Fall, wenn das eigene minderjährige Kind plötzlich erkrankt, z. B. an einer Grippe, und für kurze Zeit ständig elterlicher Aufsicht und Betreuung bedarf.

Allerdings ist zu beachten, dass die Arbeitsvertragsparteien untereinander vereinbaren können, dass § 616 BGB nicht gelten soll.

Unbezahlte Freistellung und Kinderkrankengeld

Besteht kein Anspruch auf bezahlte Freistellung z. B. nach § 616 BGB oder aufgrund Individualarbeits- oder Tarifvertrag (mehr), so könnte berufstätigen Eltern gemäß § 45 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) noch ein Anspruch auf unbezahlte Freistellung sowie Kinderkrankengeld für mindestens zehn Tage pro Kind zustehen. Voraussetzung dafür ist jedoch vor allem, dass das erkrankte Kind nicht älter als 12 Jahre und der betreuende Elternteil gesetzlich krankenversichert ist.

Kündigung unmittelbar nach „Krankmeldung“

Ein alleinerziehender Vater befand sich bei seinem Arbeitgeber noch in der Probezeit, als sein vierjähriger Sohn operiert werden musste. Der Kurierfahrer informierte daher seinen Chef per WhatsApp über die bevorstehende OP und seinen Wunsch, für einige Tage Urlaub zu nehmen. Der Arbeitgeber erklärte hierzu sein Einverständnis. Als der Sohn nach dem ärztlichen Eingriff bis zum Ende des Monats krankgeschrieben wurde und der Betreuung sowie Aufsicht seines Vaters bedurfte, leitete der Vater das Attest an den Chef weiter.

Noch am selben Tag wurde dem alleinerziehenden Vater ordentlich zum Ende des laufenden Monats gekündigt. Der hielt die Kündigung für unwirksam – er habe wegen der Krankheit seines Sohnes schließlich zu Hause bleiben dürfen.

Der Arbeitgeber bestritt, dass die Mitteilung über die Erkrankung des Kindes Grund für die Kündigung gewesen sei. Vielmehr habe er bereits davor den Entschluss gefasst, dem Alleinerziehenden innerhalb der Probezeit zu kündigen. Schließlich habe es einige Beschwerden über die gefährliche Fahrweise des Kurierfahrers gegeben. Auch sei der Spritverbrauch während seiner Kurierfahrten zu hoch gewesen und er habe trotz Verbots Privatfahrten mit dem Dienstwagen getätigt. Im Übrigen sei die Auftragslage rückläufig, weshalb er bereits im Monat vor der Übergabe der ärztlichen Bescheinigung mit seinem Steuerberater über eine Kündigung des Kurierfahrers geredet habe. Der Streit der Parteien endete vor Gericht.

Probezeitkündigung war wirksam

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mainz entschied, dass die ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam beendet hat.

Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gilt nicht

Weil das Arbeitsverhältnis noch keine sechs Monate angedauert hatte, war das KSchG nicht einschlägig, sodass die Richter nicht überprüfen mussten, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt war, vgl. § 1 II KSchG – also einfach zusammengefasst, ob es überhaupt einen Kündigungsgrund gab.

Verstoß gegen Maßregelungsverbot?

Doch selbst wenn das KSchG nicht einschlägig ist, muss stets überprüft werden, ob die Kündigung nicht sittenwidrig war. Denn sittenwidrig wäre es, wenn der Arbeitgeber seinem Angestellten kündigt, weil dieser die ihm zustehenden Rechte ordnungsgemäß ausgeübt hat. Darin wäre nämlich ein Verstoß gegen das sog. Maßregelungsverbot nach § 612a BGB zu sehen.

Ein solcher Verstoß liegt nahe, wenn die Kündigung kurz nach der Rechtsausübung erklärt wird. Dann muss der Arbeitgeber nachweisen, dass er nicht gekündigt hat, weil sein Beschäftigter seine Rechte in zulässiger Weise ausgeübt hat.

Vorliegend hat der Kurierfahrer aber bereits kein „Recht ausgeübt“. Denn sein Kind war krank, sodass er bereits deshalb nach § 45 III SGB V nicht zur Erbringung seiner Arbeitsleistung verpflichtet war. Gleiches gilt übrigens, wenn ein Beschäftigter selbst erkrankt – ist er arbeitsunfähig, muss er nicht extra ein Recht ausüben, um zu Hause bleiben zu können.

Anderes gilt nur, wenn der Chef rechtswidrig das Fernbleiben des Angestellten nicht erlaubt. Dann darf dieser eigenmächtig daheimbleiben – also sein Recht auf Freistellung ausüben. Vorliegend hat der Arbeitgeber den Kurierfahrer jedoch ohne zu zögern freigestellt, weshalb dieser kein Recht ausüben musste.

Damit lag kein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot vor.

Chef bereits längere Zeit zur Kündigung entschlossen

Im Übrigen konnte der Arbeitgeber nachweisen, dass er sich bereits vor Übergabe des ärztlichen Attests zur Kündigung durchgerungen hatte. Er hatte dargelegt, dass er seinen Steuerberater wegen der schlechten Auftragslage zur Kündigung des Kurierfahrers kontaktiert hatte, der unter anderem wegen seiner schlechten Fahrweise negativ aufgefallen war. Damit war die Kündigung nur zufällig kurz nach Übermittlung des Attests – und nicht deswegen – ausgesprochen worden.

Fazit: Übt ein Angestellter seine Rechte in zulässiger Weise aus – indem er z. B. an einem Streik teilnimmt –, darf ihm deswegen nicht gekündigt werden. Wer jedoch arbeitsunfähig erkrankt, ist zur Erbringung seiner Arbeitsleistung nicht mehr verpflichtet und muss daher keine Rechte ausüben, um zu Hause bleiben zu können. Eine Probezeitkündigung wegen Erkrankung ist daher durchaus möglich.

(LAG Mainz, Urteil v. 08.11.2016, Az.: 8 Sa 152/16)

(VOI)

Foto(s): Fotolia.com

Artikel teilen: