Angemessenheit einer Stornierungspauschale im Reiserecht

  • 4 Minuten Lesezeit

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 18.01.2022 (X ZR 125/20) erneut deutlich gemacht, dass der Reiseveranstalter die Angemessenheit einer einer Stornierungspauschale darzulegen und zu entscheiden hat.

Hintergrund des Verfahrens war die seitens der Klägerin begehrte (teilweise) Erstattung der Vergütung für eine Pauschalreise. Der Ehemann der Versicherungsnehmerin hatte die Ansprüche aus einem von ihm abgeschlossenen Pauschalreisevertrag (Reisepreis 3.494 €) an die Reiserücktrittsversicherung abgetreten. Sechs Tage vor dem Reisebeginn war er von der Reise zurückgetreten.

Der Reiseveranstalter erstattete den Reisepreis abzüglich einer pauschalen Entschädigung in Höhe von 2.621 Euro. Die Klägerin erstattete aufgrund der bei ihr
abgeschlossenen Reiserücktrittsversicherung den einbehaltenen Betrag abzüglich eines Selbstbehalts von 300 Euro.

Die Klägerin hält die pauschale Entschädigung für unangemessen und verlangt von der Beklagten Erstattung des von ihr an die Versicherungsnehmerin gezahlten Betrags von 2.321 Euro.

Zunächst hatte das Amtsgericht die Klage wegen fehlender Aktivlegitimation abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hatte das Berufungsgericht die Beklagte dann antragsgemäß verurteilt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Der Bundesgerichtshof bestätigte die Ansprüche gegen die Beklagte.

Die Erstattungsansprüche der Versicherungsnehmerin seien in Höhe des von der Klägerin geleisteten Betrags gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf die Versicherung übergegan-
gen. Und im Weiteren sei der Abzug der pauschalen Entschädigung in Höhe von 75 % des Reisepreises ohne Rechtsgrund erfolgt.

Zwar könne der Reiseveranstalter bei Rücktritt des Reisenden vor Reisebeginn gemäß § 651i Abs. 2 Satz 2 und 3 BGB aF eine angemessene Entschädigung verlangen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Angemessenheit dieser Entschädigung treffe jedoch den Reiseveranstalter. Dieser Darlegungslast habe die Beklagte trotz richterlichen Hinweises nicht genügt. Die Beklagte könne auch nicht den Einwand der Entreicherung geltend machen. § 818 Abs. 3 BGB sei durch die speziellere Vorschrift des § 651i BGB aF verdrängt.

Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils in einem anderen Fall entschieden hat, findet § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf eine Reiserücktrittskostenversicherung
Anwendung (BGH, Urteil vom 21. April 2021 - IV ZR 169/20, NJW 2021, 2118, Rn. 10 ff.). Die Klägerin sei damit aktivlegitimiert.

Auch steht der Klägerin ein Erstattungsanspruch zu. Nach § 651i Abs. 2 Satz 1 BGB aF verliert der Reiseveranstalter bei Rücktritt des Reisenden vor Reisebeginn den Anspruch auf den Reisepreis. Ob dem Reisenden, der die Vergütung bereits gezahlt hat, hieraus lediglich ein Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 BGB oder ein Rückzah-
lungsanspruch aus § 346 Abs. 1 BGB erwächst, kann - wie der BGH zutreffend feststellt - dahingestellt bleiben. Beide Vorschriften führen zu demselben Ergebnis, dass die Beklagte die von ihr verlangte pauschale Entschädigung nicht in Abzug bringen kann.

Nach § 651i Abs. 2 Satz 2 und 3 BGB aF kann der Reiseveranstalter bei Rücktritt des Reisenden vor Reisebeginn eine angemessene Entschädigung verlangen. Die Höhe der Entschädigung bestimmt sich nach dem Reisepreis unter Abzug des Wertes der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwerben kann. Zu Recht war das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der für die Angemessenheit der geforderten Entschädigung maßgeblichen Umstände dem Reiseveranstalter obliegt.

So ist der Anspruch auf Entschädigung gemäß § 651i Abs. 2 Satz 2 und 3 BGB aF ein Gegenrecht, das der Reiseveranstalter dem Anspruch des Reisenden auf Erstattung des bereits gezahlten Reisepreises entgegenhalten kann. Dementsprechend obliegt es dem Reiseveranstalter, die Voraussetzungen dieses Gegenanspruchs darzulegen und zu beweisen.

Sofern der Reiseveranstalter die Entschädigung auf der Grundlage der konkret entstandenen Aufwendung berechnet, hat er demgemäß darzulegen und erforderlichenfalls unter Beweis zu stellen, welche Aufwendungen er erspart hat und welche Reiseleistungen er anderweit verwenden konnte (BT-Drucks. 8/2343, S. 12).

Sofern der Reiseveranstalter seinen Entschädigungsanspruch auf eine vertragliche Pauschalierung gemäß § 651i Abs. 3 BGB aF stützt, muss er darlegen und erforderlichenfalls unter Beweis stellen, welche Möglichkeiten zur Ersparnis von Aufwendungen oder zur anderweiten Verwendung von Leistungen
gewöhnlicherweise bestehen.

Nach § 651i Abs. 3 BGB aF kann vertraglich für jede Reiseart unter Berücksichtigung der gewöhnlich ersparten Aufwendungen und des durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen gewöhnlich möglichen Erwerbs ein Prozentsatz des Reisepreises als Entschädigung festgesetzt werden. Das BGB gebietet eine differenzierte Vorgehensweise und nennt hierfür Kriterien. Nach der Rechtsprechung des Senats müssen gegebenenfalls die unterschiedlichen Reisearten weitergehend so differenziert werden und die bei einer bestimmten Reiseart als gewöhnlich erspart berücksichtigten Aufwendungen und der bei ihr als gewöhnlich möglich berücksichtigte anderweitige Erwerb in einer Weise bemessen werden, dass es zumindest in aller Regel ausgeschlossen ist, dass die Entschädigung überschritten wird, die nach § 651i Abs. 2 BGB aF zu zahlen wäre. Eine Klausel, die diesen Anforderungen nicht genügt, ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 - X ZR 85/12, BGHZ 203, 335 = RRa 2015, 138 Rn. 39 ff.).

Ein Reiseveranstalter, der in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen pauschalierte Entschädigungssätze vorsieht, muss in einem Rechtsstreit über die Zulässigkeit dieser Klausel deshalb darlegen und beweisen, welche Aufwendungen gewöhnlich erspart werden und welche anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten der Reiseleistungen gewöhnlich bestehen (BGH, Urteil vom 3. November 2015 - X ZR 122/13, NJW 2016, 1508 Rn. 13; Urteil vom 9. Dezember 2014 - X ZR 13/14, RRa 2015, 144 Rn. 31).
 
Die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung eines pauschalen Prozentsatzes auch für die konkrete Reise dürfen hierbei nicht zu gering angesetzt werden, weil dem Reisenden der Einwand, im konkreten Fall sei die Ersparnis oder der anderweitige Erwerb höher als gewöhnlich, grundsätzlich verwehrt ist (BGH, RRa 2015, 138 Rn. 41).

Die Beklagte war ihrer Darlegungslast im Streitfall trotz eines richterlichen Hinweises nicht ausreichend nachgekommen.

Mit dieser Entscheidung bieten sich auch im Falle einer Stornierung für den Reisenden Möglichkeiten, der teilweise zu hohen Stornierungspauschale entgegenzutreten.

Gerne beraten wir Sie und vertreten Ihre Interessen in allen Fragestellungen rund um Ihre Reise.

Ihr Jörg Schwede


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Jörg Schwede

Beiträge zum Thema