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Ausbildungsunterhalt für krankes Kind?

  • 4 Minuten Lesezeit
Sandra Voigt anwalt.de-Redaktion

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Eltern müssen ihren Kindern die Möglichkeit geben, in der Zukunft selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen zu können. Aus diesem Grund haben sie ihrem Nachwuchs – egal, ob er bereits volljährig ist oder nicht – grundsätzlich eine Ausbildung bzw. ein Studium zu finanzieren. Im Gegenzug dazu müssen die Sprösslinge allerdings ihre Ausbildung zielstrebig und planvoll durchziehen. Trödeln sie dagegen herum, wechseln ständig das Studienfach, den Ausbildungsbetrieb bzw. -gang oder werden sie wegen schlechter Leistungen exmatrikuliert bzw. aus dem Ausbildungsbetrieb geschmissen, kann der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt unter Umständen jedoch entfallen. Doch gilt dies auch, wenn das Kind aufgrund einer Krankheit keine Ausbildung zielstrebig verfolgen kann?

Schlechter Ausbildungsverlauf wegen ADHS

Ein volljähriger Sohn verlangte von seinem Vater für einen bestimmten Zeitraum in der Vergangenheit Ausbildungsunterhalt. Der jedoch lehnte jegliche Zahlungen ab – schließlich habe sein Kind zu keiner Zeit eine Ausbildung zielstrebig und fleißig verfolgt. Seit seinem Hauptschulabschluss 2010 habe er in den folgenden drei Jahren „insgesamt sechs verschiedene Ausbildungsgänge bzw. Vorbereitungslehrgänge versucht“ – allesamt erfolglos. Sein Sohn erwiderte, seit seinem dritten Lebensjahr unter anderem an einer ausgeprägten Form von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) zu leiden. Er könne sich z. B. schwer konzentrieren und keine ausdauernden Leistungen erbringen. Auch habe er nur einen Intelligenzquotienten von 77 – er sei daher lernbehindert. Seiner Pflicht, eine Ausbildung konsequent durchzuziehen, habe er deswegen nicht nachkommen können.

Nun wies der Vater darauf hin, dass sein Sohn sehr wohl für seinen eigenen Lebensunterhalt sorgen könne. So habe er etwa im Rahmen eines Praktikums im Betrieb seines Onkels durchaus Tätigkeiten – wie allgemeine Bürotätigkeiten – problemlos erledigen können. Im Übrigen habe sein Sohn bereits in der 8. Schulklasse bewusst die Medikation eigenmächtig abgesetzt – er sei also selbst schuld, dass sich sein Gesundheitszustand so rapide verschlechtert hat. Der Sohn wandte ein, dass er bis vor Kurzem – also bevor er sich in psychiatrische Behandlung begeben hat – gar nicht erkennen konnte, dass er auf ärztliche Hilfe angewiesen ist. Die Behandlung habe er nur deshalb begonnen, weil ihm seine Mutter mit dem Rauswurf aus der Wohnung gedroht habe, wenn er keinen Arzt aufsucht. Der Streit der beiden endete vor Gericht.

Vater muss Ausbildungsunterhalt zahlen

Das Kammergericht (KG) Berlin sprach dem Sohn den geforderten Ausbildungsunterhalt nach § 1610 II Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu.

Keine zielstrebige Ausbildung – kein Unterhalt

Grundsätzlich gilt: Der Ausbildungsunterhalt ist zweckgebunden – das bedeutet, der in Anspruch genommene Elternteil muss nur zahlen, wenn das Kind einer Schul- bzw. Berufsausbildung nachgeht. Ist dies jedoch nicht der Fall oder wird die Ausbildung in der Hinsicht vernachlässigt, dass sie weder konsequent noch mit dem erforderlichen Fleiß verfolgt wird, kann der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt entfallen.

Somit dürfte der Sohn im vorliegenden Fall eigentlich keinen Unterhalt von seinem Vater bekommen. Schließlich hat er mehrere Ausbildungsgänge und Vorbereitungslehrgänge abgebrochen bzw. aufgrund schlechter Leistungen verlassen müssen. Da es sich stets um andere Ausbildungen – wie z. B. Lagerist oder Maler und Lackierer – handelte, war für das Gericht nicht einmal ersichtlich, welchen Beruf der Sohn überhaupt erlernen wollte.

Unterhaltsanspruch auch bei Erkrankung?

Der Unterhaltsanspruch entfällt jedoch nicht, wenn das Kind seiner Pflicht zu einer zielgerichteten Ausbildung wegen einer Erkrankung nicht nachkommen konnte. Allerdings ist der Nachwuchs dann dazu verpflichtet, sich entsprechend behandeln zu lassen, um die Ausbildung ohne eine lange Verzögerung wiederaufnehmen und letztendlich erfolgreich beenden zu können. Anderenfalls verliert der Sprössling wiederum seinen Unterhaltsanspruch – und zwar ab dem Zeitpunkt, ab dem theoretisch eine Behandlung erfolgreich hätte abgeschlossen werden können.

Vorliegend litt der Sohn unter anderem an einer ausgeprägten Form von ADHS, was beispielsweise zu Aufmerksamkeitsdefiziten, Lernproblemen und mangelhaften Ausdauerleistungen führte. Deren Folgen zeigten sich in dem schlechten Hauptschulabschlusszeugnis und dem „ansonsten desaströsen Ausbildungsverlauf“ des Sohnes. Dennoch hat er sich in dieser Zeit nicht von einem Arzt behandeln lassen und sogar die Tabletten bereits in der 8. Schulklasse eigenmächtig abgesetzt. Damit müsste er den Unterhaltsanspruch eigentlich verlieren.

Dem Sohn fehlte die Therapieeinsicht

Doch auch hier gibt es wieder eine Ausnahme: Fehlte dem Kind nämlich krankheitsbedingt die Einsicht, dass es behandelt werden muss, darf sich dies nicht auf den Unterhaltsanspruch auswirken.

Die Ärztin des Sohnes erklärte, dass es bei ADHS-Patienten – vor allem in der Pubertät – häufig vorkomme, dass die Tabletten abgesetzt und Therapien abgebrochen werden. Auch sei ihnen nicht bewusst, dass sie eigentlich ärztliche Hilfe benötigen. Diesbezüglich gab der Sohn zu, nicht gemerkt zu haben, dass es ihm nach dem Absetzen der Medikamente gesundheitlich immer schlechter ging. Er habe nur deshalb einen Termin bei seiner Ärztin vereinbart, weil ihm seine Mutter damit gedroht habe, ihn aus der Wohnung zu werfen, wenn er sich nicht behandeln lasse. Bis zu diesem Zeitpunkt fehlte ihm somit die Einsicht, dass er ärztliche Hilfe benötigt – er konnte daher für den beantragten Zeitraum Ausbildungsunterhalt verlangen.

Das Praktikum bei seinem Onkel bewies übrigens nicht, dass der Sohn für seinen Lebensunterhalt selbst sorgen kann. Denn er wurde hier in seinem familiären und damit einem „geschützten“ Umfeld tätig, das nicht mit dem „regulären Arbeitsmarkt“ zu vergleichen ist.

Fazit: Nur volljährige Kinder, die fleißig und zielstrebig eine Ausbildung machen bzw. studieren, können Ausbildungsunterhalt verlangen. Anderes gilt jedoch, wenn das Kind aufgrund einer Krankheit hierzu nicht in der Lage ist.

(KG Berlin, Beschluss v. 10.06.2015, Az.: 13 UF 12/15)

(VOI)

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