Beweislast im Prüfungsrecht – Hat der Zwilling die Klausur geschrieben?

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Vor unangenehmen Prüfungen wünschen sich viele einen Doppelgänger oder einen Zwilling, welcher für einen die Prüfung antritt. Für die Umsetzung fehlt es regelmäßig am optischen Double. Anders bei einem Vorwurf des Täuschungsversuchs, mit dem sich das Bundesverwaltungsgericht im Beschluss vom 13.12.2023 – 6 B 13.23 beschäftigen musste. Der Fall erläutert musterhaft die Grundsätze der sog. Beweislastverteilung und zeigt zugleich, wie wichtig es ist, dass die Beteiligten einen Verwaltungsprozess aktiv mitgestalten müssen, um ihre Rechte zu wahren.

Fall

Der Kläger aus NRW - ein Jurastudent und zugleich Zwilling – trat zum schriftlichen Wiederholungsversuch des ersten juristischen Staatsexamens an. Das Prüfungsamt warf ihm vor, sein Zwillingsbruder habe die sechs Klausuren für ihn angefertigt und erklärte die Prüfung für nicht bestanden. Auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens und Schriftproben sollte ermittelt werden, welcher Zwilling die Klausur tatsächlich angefertigt hat. Das Ergebnis des Gutachtens: Keinem von beiden konnte das Schriftbild der Klausur zugeordnet werden. Daher könne die Klausur nur von einem unbekannten Dritten geschrieben worden sein. Andere Beweismittel wurden von dem Beklagten nicht im Weg des sog. „unbedingten Beweisantrags“ bei Gericht beantragt.

Lösung

Das Prüfungsamt hatte mit der Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster (Urteil vom 13.03.2023 - 14 A 1718/22), Dieses sah, im Gegensatz zum Verwaltungsgericht Köln, den Täuschungsversuch des Klägers als nicht erwiesen an. Denn auf Grundlage des Sachverständigengutachtens, dass nur ein Dritter die Klausur geschrieben haben könnte, könne kein plausibler Geschehensablauf nachvollzogen werden. Denn Es war zu berücksichtigen, dass an jedem der sechs Klausurtage eine Identitätsprüfung des Klägers anhand von Ladung und Ausweisdokument erfolgte. So trug das Prüfungsamt keine anderen Tatsachen vor, die gegen eine persönliche Anfertigung der Aufsichtsarbeiten durch den Kläger sprechen.

Zur Beweislast

Der hier zugrundeliegenden Beweislastverteilung liegt ein sog. „non liquet“ vor: Das Prüfungsamt ist für die Voraussetzungen der Täuschung materiell beweisbelastet. Daher hatte sie die Voraussetzungen vorzutragen. Wenn die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht aufgeklärt werden können, geht dies zu ihren Lasten, da sie sich auf diese beruft. In der Folge verliert die Behörde den Prozess. Der Fall zeigt die Relevanz der sog. „Darlegungs- und Beweislast bzw. materiellen Beweislast im Prüfungs- und Hochschulrecht, denn mit ihr „stehen und fallen“ unberechtigte Vorwürfe gegenüber Prüflingen. Diese Grundsätze gelten im Übrigen auch im sonstigen Verwaltungsrecht.

Zur Amtsaufklärungspflicht des Gerichts im Prüfungsrecht

Das Bundesverwaltungsgericht stellte zudem klar, dass ein Tatsachengericht nach § 86 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die grundsätzliche Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung hat. Dagegen wird verstoßen, wenn das Gericht versäumt, hinreichend konkreten Einwänden eines Beteiligten nachzugehen und den Sachverhalt weiter aufzuklären, sofern dies für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 6 B 13/23 –, juris Rn. 8). Einen Aufklärungsmangel hat die Beklagte nicht hinreichend dargelegt, denn es wurden keine Einwendungen gegen die erwogene Beweiswürdigung erhoben. Das Prüfungsamt versäumte es, entsprechende Beweisanträge zu stellen (bspw. die Einvernahme der Klausuraufsichten), eine bloße Beweisanregung kann dies nicht ersetzen.

Folgen und Empfehlungen für die Praxis

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt einmal mehr die Erfahrung in der Prozesspraxis, dass es keinesfalls immer reicht, sich als Prozessbeteiligter darauf zu verlassen, das Gericht werde schon von sich aus alles ermitteln, worauf es im Fall ankommt. Das gilt insbesondere für Kläger, aber auch – wie der vorliegende Fall zeigt – für die beklagte Behörde. Zwar gibt es im Verwaltungsrecht den sog. Amtsermittlungsgrundsatz, wonach das Gericht alles wichtige von sich aus ermitteln muss. Dennoch sollten sich die Beteiligten nicht allein darauf verlassen und zur Wahrung ihrer Positionen am Verwaltungsprozess aktiv mitwirken und im Einzelfall insbesondere

  • den Sachverhalt genau vortragen
  • Beweismittel vorlegen
  • Schriftsatznachlass beantragen
  • Vertagung beantragen
  • insbesondere: unbedingte Beweisanträge stellen (reine Beweisanregungen reichen nicht!)
  • Es sollte von den Beteiligten dann auch darauf geachtet werden, dass die entsprechenden Prozesserklärungen ordnungsgemäß protokolliert werden (ansonsten ggfs: Protokollberichtigung beantragen). Denn was nicht im Protokoll steht, ist auch nicht passiert. 

Wird der Prozess „nachlässig“ geführt, kann dies in aller Regel auch über Rechtsmittel in der nächsten Instanz nachträglich nicht mehr gerettet werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Oktober 2023 – 4 BN 8/23 –, juris Rn. 27).


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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