Commerzbank AG - Arbeitsgericht Berlin bestätigt volle Anpassungspflicht der Betriebsrenten

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Anpassung der Betriebsrenten der Commerzbank AG - "freiwillige" +2,00% genügen nicht - voller Ausgleich des VPI geschuldet


Die Commerzbank AG hatte die Betriebsrenten zum Anpassungsstichtag 2022 nicht entsprechend der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes für Deutschland (kurz: VPI) angepasst. „Freiwillig“ war die Rente um +2,00 % angepasst worden, im Übrigen lehnte die Bank den Ausgleich des Kaufkraftverlustes nach dem VPI unter Hinweis auf die wirtschaftliche Lage ab.


Der VPI war im Anpassungszeitraum um sage und schreibe +11,7% gestiegen.  Der Kläger, ein ehemaliger Arbeitnehmer und Betriebsrentner der Commerzbank AG, verlangte über die „freiwillig“ gewährten +2,00 % hinaus eine weitere Anpassung um 9,70 %, um den vollen Kaufkraftverlust auszugleichen.


Das Arbeitsgericht Berlin gab der Klage statt. Mit Urteil vom 09.08.2023 (Az. 20 Ca 1008/23 ) hat das Arbeitsgericht die Commerzbank AG zur Zahlung der begehrten erhöhten Rente verurteilt.


Hintergrund ist die gesetzliche Regelung in § 16 BetrAVG.


Danach hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden; dabei sind insbesondere die Belange der Versorgungsempfänger und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen.

(2) Die Verpflichtung nach Absatz 1 gilt als erfüllt, wenn die Anpassung nicht geringer ist als der Anstieg

  • des Verbraucherpreisindexes für Deutschland oder
  • der Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens
  • im Prüfungszeitraum.


Sachverhalt

Der Kläger hatte die Commerzbank AG auf Zahlung rückständiger Betriebsrente verklagt. Die Beklagte hatte sich geweigert, die Betriebsrente gemäß § 16 BetrAVG in voller Höhe anzupassen. Das Arbeitsgericht Berlin hat der Klage des Betriebsrentners auf Erhöhung der Rente zum Ausgleich des Kaufpreisverlusts stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung der rückständigen Betriebsrente verurteilt. Das Gericht hat festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 15.03.2023 eine monatliche Betriebsrente in Höhe von 894,72 Euro zu zahlen. Darüber hinaus schuldet die Beklagte rückständige Betriebsrente für die Zeit vom 01.07.2022 bis einschließlich 01.02.2023 in Höhe von 613,76 Euro brutto nebst Verzugszinsen. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.


Die Parteien streiten über die Anpassung der Betriebsrente des Klägers. Der Kläger war vom 1. April 1969 bis zuletzt zum 30. September 2010 bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte erhöhte die Betriebsrente des Klägers zuletzt zum 1. Juli 2019 um 4,97 %. Zum 1. Juli 2022 erhöhte die Beklagte die Betriebsrente des Klägers freiwillig um 2 % auf EUR 818,00. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Anpassung seiner Betriebsrente nach § 16 BetrAVG. Er ist der Ansicht, die Beklagte müsse seine Betriebsrente zum Ausgleich der Inflation um weitere 9,7 % erhöhen.


Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei nicht verpflichtet, die Betriebsrente des Klägers anzupassen. Sie beruft sich auf ihre wirtschaftliche Lage.


Entscheidungsgründe


Das Arbeitsgericht Berlin führt in den Entscheidungsgründen aus:


"Die Klage ist zulässig und begründet.


...


Die Klage ist auch begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Anpassung seiner Betriebsrente zu.


Zur Begründung beruft sich der Kläger auf § 16 BetrAVG. Danach hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Die Verpflichtung gilt als erfüllt, wenn die Anpassung nicht geringer ist als der Anstieg des Verbraucherpreisindexes für Deutschland oder der Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens im Prüfungszeitraum.


Bei der Anpassungsprüfung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG hat der Arbeitgeber die Belange der Versorgungsempfänger und seine eigene wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen. Lässt die wirtschaftliche Lage eine Anpassung der Betriebsrenten nicht zu, ist der Arbeitgeber zur Anpassung nicht verpflichtet.


Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers ist eine in die Zukunft gerichtete Größe. Sie beschreibt seine künftige Belastbarkeit und setzt eine Prognose voraus. Beurteilungsgrundlage für diese zum Anpassungsstichtag zu erstellende Prognose ist grundsätzlich die bisherige wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens vor dem Anpassungsstichtag, soweit sich daraus Rückschlüsse auf die künftige Entwicklung ziehen lassen. Für eine verlässliche1 Prognose muss die bisherige Entwicklung über einen längeren repräsentativen Zeitraum von in der Regel mindestens drei Jahren ausgewertet werden. Dabei handelt es sich grundsätzlich um einen Mindestzeitraum, der nicht immer und unter allen Umständen ausreichend ist. Ausnahmsweise kann es geboten sein, einen längeren Zeitraum zugrunde zu legen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die spätere Entwicklung der wirtschaftlichen Lage zu berechtigten Zweifeln an der Vertretbarkeit der Prognose des Arbeitgebers führt (BAG 15. November 2022 - 3 AZR 505/21 - NZA 2023, 176 ff., Rn. 22 f.; BAG 13. Oktober 2020 - 3 AZR 246120 - Rn. 53).


Da eine Prognose anzustellen ist, kommt es nicht auf die Durchschnittswerte der letzten drei Jahre vor dem Anpassungsstichtag an. Entscheidend ist vielmehr, ob sich im Referenzzeitraum eine positive Entwicklung abzeichnet, die eine für die Betriebsrentenanpassung ausreichende wirtschaftliche Lage in den drei Jahren nach dem Anpassungsstichtag erwarten lässt (BAG 15. November 2022 - 3 AZR 505121 - NZA 2023, 176 ff., Rn. 22 f.; BAG 22. Januar 2019 - 3 AZR 616/17 - Rn. 38). Die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens wird durch seine Ertragskraft insgesamt geprägt. Der Versorgungsschuldner ist nicht schon dann zur Anpassung der Betriebsrenten verpflichtet, wenn einzelne Erträge den Umfang der Anpassungslast übersteigen; andererseits darf er eine Anpassung der Betriebsrenten nicht allein mit der Begründung verweigern, einzelne Bereiche seien defizitär. Zudem kommt es im Rahmen der Anpassungsprüfung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG auf die tatsächliche wirtschaftliche Lage des Versorgungsschuldners und nicht auf eine fiktive Lage an, die bei anderen unternehmerischen Entscheidungen bestanden hätte (BAG 15. September 2015. 3 AZR 839/13 - BAGE 152, 285 f., Rn. 36; BAG 14. Juli 2015- 3 AZR 252114 - Rn. 25; BAG 17. Juni 2014- 3 AZR 298/13 - BAGE 148, 244, Rn. 48).


Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers rechtfertigt die Ablehnung einer Betriebsrentenanpassung, soweit diese das Unternehmen übermäßig belasten und seine Wettbewerbsfähigkeit gefährden würde. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet, wenn keine angemessene Eigenkapitalverzinsung erwirtschaftet wird oder das Unternehmen nicht mehr über ausreichend Eigenkapital verfügt. Bei einer unzureichenden Eigenkapitalverzinsung reicht die Ertragskraft des Unternehmens nicht aus, um die Anpassungen finanzieren zu können. Bei unzureichender Eigenkapitalausstattung muss verloren gegangene Vermögenssubstanz erst wieder aufgebaut werden, bevor dem Unternehmen eine Anpassung der Betriebsrenten zugemutet werden kann. Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers rechtfertigt demnach die Ablehnung einer Betriebsrentenanpassung nur insoweit, als er annehmen darf, dass er mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein wird, den Teuerungsausgleich aus den Erträgen des Unternehmens und den verfügbaren Wertzuwächsen des Unternehmensvermögens in der Zeit bis zum nächsten Anpassungsstichtag aufzubringen. Dabei kommt es auf die voraussichtliche Entwicklung der Eigenkapitalverzinsung und der Eigenkapitalausstattung des Unternehmens an (BAG 13. Oktober 2020 - 3 AZR 246120 - Rn. 55; BAG 21. Februar 2017 - 3 AZR 455115 - BAGE 158, 165 Rn. 32).


Bei der Berechnung der Eigenkapitalverzinsung ist einerseits auf das erzielte Betriebsergebnis und andererseits auf die Höhe des Eigenkapitals abzustellen. Beide Berechnungsfaktoren sind auf der Grundlage des nach den Regeln der handelsrechtlichen Rechnungslegung aufgestellten Jahresabschlusses zu ermitteln. Gegebenenfalls sind jedoch betriebswirtschaftlich notwendige Korrekturen am erzielten Betriebsergebnis vorzunehmen. Dies gilt nicht nur für Scheingewinne, sondern beispielsweise auch für betriebswirtschaftlich überhöhte Abschreibungen. Außerordentliche Erträge sind zwar keine Scheingewinne. Ihr Ausnahmecharakter kann aber bei der Beurteilung der künftigen Ertragsentwicklung nicht außer Acht gelassen werden. Außerordentliche Erträge und außerordentliche Verluste sind in der Regel aus den der Prognose zugrunde liegenden Vorjahresabschlüssen herauszurechnen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die außerordentlichen Erträge oder Verluste auch der Höhe nach eine hinreichende Kontinuität aufweisen (BAG 13. Oktober 2020 - 3 AZR 246/20 - Rn. 58).


Der Arbeitgeber trägt grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass seine Anpassungsentscheidung billigem Ermessen entspricht und sich in den Grenzen des § 16 BetrAVG hält. Die Darlegungs- und Beweislast erstreckt sich auf alle Umstände, die für die Anpassungsentscheidung von Bedeutung sind (BAG 13. Oktober 2020 - 3 AZR 246/20- Rn. 61). Für das Anpassungskriterium „wirtschaftliche Lage" folgt daraus auch, dass die Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich bei der Partei liegt, die über die maßgeblichen Umstände Auskunft geben kann und über die entsprechenden Beweismittel verfügt. Dieser Grundsatz gilt insbesondere dann, wenn es auf die besondere Interessenlage einer Partei und ihre Vermögenslage ankommt (BAG 15. April 2014 - 3 AZR 51/12 - Rn. 32).


Nach diesen Grundsätzen entsprach die Entscheidung der Beklagten, die Betriebsrente des Klägers zum 1. Juli 2022 nicht in dem begehrten Umfang anzupassen, nicht billigem Ermessen iSv. § 16 Abs. 1 BetrAVG.....“


Gegen diese Entscheidung hat die Commerzbank Berufung eingelegt. Der Verfasser, selbst Fachanwalt für Arbeitsrecht mit dem Schwerpunkt Betriebsrentenrecht, geht von einer Bestätigung der dogmatisch richtig argumentierten erstinstanzlichen Entscheidung aus."


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Foto(s): @canva.com

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