Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren bei Verdacht auf Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr

  • 5 Minuten Lesezeit

Um dieses Video anzuzeigen, lassen Sie bitte die Verwendung von Cookies zu.

Die Geschwindigkeitsüberschreitung stellt eine der häufigsten Verkehrsordnungswidrigkeiten auf deutschen Straßen dar. Nicht selten passiert es, dass man einen Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsverstoß im Straßenverkehr aus seinem Briefkasten angelt. Dies mag zum Teil überraschend sein, wenn man zum fraglichen Zeitpunkt gar keinen Blitzer wahrgenommen hat. Das kann unter anderem daran liegen, dass die Geschwindigkeit nicht durch einen Blitzer, sondern durch Nachfahren gemessen wurde. Hier bekommen die betroffenen Fahrzeugführer meist nichts mit, da kein Blitzer auslöst. Doch ist ein solches Vorgehen zulässig? 


Was versteht man unter Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren?

Bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren verfolgt die Polizei ein verdächtiges Fahrzeug und fährt diesem hinterher. In dem Auto der Polizei ist dabei oft ein System installiert, welches das vorausfahrende Fahrzeug filmt. Ein entsprechendes System ist jedoch keine Pflicht. Zu dem vorausfahrenden Fahrzeug muss ein gewisser Abstand eingehalten werden. Im Anschluss wird die Videoaufnahme dann ausgewertet und festgestellt, ob es zu einer Geschwindigkeitsüberschreitung gekommen ist. Der Tachowert der Polizei fungiert dabei als Referenzwert


Handelt es sich bei der Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren um ein standardisiertes Messverfahren?

Nein. Beispiele für standardisierte Messverfahren sind Messungen mittels Radargeräts oder Lasermessgerät

Bei standardisierten Messverfahren muss sich das Gericht nur dann von der Zuverlässigkeit der Messung überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind. Bei den nicht standardisierten Messverfahren, wie zum Beispiel der Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren, muss das Gericht sich hingegen in jedem Einzelfall mit der Zuverlässigkeit der Messung und Einhaltung der Vorgaben auseinandersetzen.


Wann sind Geschwindigkeitsmessungen durch Nachfahren zulässig?

Das Kammergericht Berlin hat im Jahr 2014 entschieden, dass Verfolgungsfahrten nur bei wesentlichen Geschwindigkeitsüberschreitungen zulässig sind. Dies wird in der Regel bei einer Tempoüberschreitung von über 20 km/h angenommen. Des Weiteren muss die exakte Einhaltung des Abstands gewährleistet sein. Schließlich muss die Länge der Nachfahrstrecke dokumentiert werden. Hierbei gilt, dass die Messung umso genauer dokumentiert werden muss, je kürzer die Messstrecke ist. 


Wann ist eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ordnungsgemäß?

Die Polizeibeamten müssen bei der Feststellung der Geschwindigkeit durch Nachfahren bestimmte Messstrecken und Abstände einhalten, damit die ermittelte Geschwindigkeit Beweiskraft besitzt. Die Längen der Messstrecken und Abstände zum vorausfahrenden Fahrzeug sind dabei geschwindigkeitsabhängig. Je höher die gefahrene Geschwindigkeit ist, desto länger muss die Messstrecke sein. Bei Geschwindigkeiten von 50 bis 70 km/h, hat die Messstrecke 300 bis 400 Meter zu betragen, bei Geschwindigkeiten von 70 bis 90 km/h sollte sie 400 bis 600 Meter betragen. Bei Geschwindigkeiten von 90 km/h und mehr darf die Messstrecke nicht kürzer als 500 Meter sein . Fährt das vorausfahrende Fahrzeug 120 km/h oder mehr, muss die Messstrecke mindestens 1000 Meter betragen. Der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug sollte dabei möglichst gering sein. Bei Geschwindigkeiten von 40 bis 50 km/h darf der Abstand maximal 30 Meter betragen, bei Geschwindigkeiten von 60 bis 90 km/h maximal 50 Meter und bei Geschwindigkeiten von 90 bis 120 km/h maximal 100 Meter. 


Gelten bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren bei Dunkelheit Besonderheiten?

Ja, hier stellt die obergerichtliche Rechtsprechung höhere Anforderungen an die zu treffenden Feststellungen.  Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem Beschluss klargestellt, dass bei Dunkelheit oder bei schlechten Sichtverhältnissen zusätzliche Angaben über die Beobachtungsmöglichkeiten der Polizeibeamten erforderlich sind. Insbesondere die Sicht- und Beleuchtungssituation vor Ort muss dargestellt werden. So ist es zum Beispiel für die sichere Feststellung des Verfolgungsabstands von Bedeutung, ob der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug durch Lichtquellen aufgehellt war. Relevant ist außerdem, ob die Polizeibeamten lediglich die Rücklichter des vorausfahrenden Fahrzeugs erkennen konnten oder auch dessen Umrisse. 


Kann eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren auch mit dem Privatfahrzeug eines Polizisten erfolgen?

Ja. Es ist anerkannt, dass die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit einem Fahrzeug, welches mit einem ungeeichten Tacho ausgestattet ist, grundsätzlich eine ausreichende Beweisgrundlage für die Annahme einer Geschwindigkeitsüberschreitung sein kann. Entscheidend sind hier aber gute Sichtverhältnisse, ein konstant bleibender Abstand sowie eine längere Nachfahrstrecke. Das Vorliegen dieser die Zuverlässigkeit begründenden Umstände muss ausdrücklich dargestellt werden. 


Gibt es bei der Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren Toleranzabzüge? 

Ja. Zum Ausgleich von Messungenauigkeiten und sonstigen Fehlerquellen verlangt die Rechtsprechung einen Toleranzabzug von der ermittelten Geschwindigkeit. Die Höhe des Toleranzabzugs hängt von der gefahrenen Geschwindigkeit ab. Bei Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren liegt der Toleranzabzug bei einem Maximaltempo von 100 km/h üblicherweise zwischen 5 und 10 km/h. Wenn die Geschwindigkeit höher als 100 km/h war, werden 5 bis 10% abgezogen. 


Wann kommt es bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren zu erhöhten Toleranzabzügen?

Zu erhöhten Toleranzabzügen kommt es immer dann, wenn besondere Fehlerquellen bei der Geschwindigkeitsermittlung vorlagen. Insbesondere dann, wenn das Verfolgungsfahrzeug mit einem ungeeichten Tachometer ausgerüstet ist, – zum Beispiel ein Privatfahrzeug eines Polizeibeamten – wird der Toleranzabzug erhöht. Da bei einem ungeeichten Tacho der richtige Abstand nur noch schwer eingehalten werden kann, wird dann in der Regel ein Sicherheitsabschlag von 20 % vorgenommen. Sollten zudem schlechte Sichtverhältnisse geherrscht haben, kann sich der Sicherheitsabschlag noch erhöhen. Weitere Fehlerquelle ist zum Beispiel ein schwankender Abstand zwischen vorausfahrendem Fahrzeug und Polizeifahrzeug. 

In diesen Fällen kann sich ein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid lohnen. 


Gerade aus diesem Grund empfiehlt es sich, sich bei Erhalt eines Bußgeldbescheides an einen erfahrenen Fachanwalt für Verkehrsrecht zu wenden. Dieser kennt und erkennt genau solche Fehlerquellen, kennt die einschlägige Rechtsprechung und kann auf dieser Grundlage Sie zum einen fundiert über die Erfolgsaussichten eines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid beraten und zum anderen einen etwaigen Einspruch stichhaltig begründen.


Kann die Geschwindigkeit auch mittels GPS-Navigationsgerät in einem Privatfahrzeug gemessen werden?

Ja. Dass dies grundsätzlich möglich ist, wurde durch das Bayerische Oberlandesgericht in einem Beschluss aus dem Jahr 2020 bestätigt. Jedoch gelten auch hier erhöhte Anforderungen. Erforderlich sind dann ähnlich wie bei einem ungeeichten Tacho gute Sichtverhältnisse, ein konstant bleibender Abstand und eine längere Messstrecke. Des Weiteren sind Feststellungen zu dem verwendeten Typ des Navigationsgeräts und dessen Funktionsweise erforderlich, um bewerten zu können, wie zuverlässig der von dem Navigationsgerät angezeigte Geschwindigkeitswert ist. Die Geschwindigkeitsmessung mit einem Navigationsgerät, welches zur Geschwindigkeitsmessung auf das GPS-Signal zurückgreift, sei von der Genauigkeit her mit einem ungeeichten Tacho zu vergleichen. 


Wie verhalte ich mich, wenn ich unmittelbar nach der Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren von den Polizeibeamten angehalten werde?

Wenn Sie die Polizei mit dem Vorwurf anhält, eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen zu haben, sollten sie zunächst schweigen. Auf keinen Fall sollten sie das Begehen einer Geschwindigkeitsüberschreitung gestehen. Dies könnte zur Folge haben, dass vorhandene Fehlerquellen unerheblich werden und die Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen abgesenkt werden. 


Wenn Sie mit dem Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung konfrontiert sein sollten, welche durch Nachfahren gemessen wurde, empfiehlt es sich daher, sich an einen erfahrenen und spezialisierten Anwalt für Verkehrsrecht zu wenden. Dieser kann einschätzen, ob sich in Ihrem Fall ein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid lohnt. 


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Jens Wilke

Beiträge zum Thema