Insolvenz-Betriebsübergang Air Berlin

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Wohin fliegen 8.000 Mitarbeiter?

Anlässlich der Insolvenz der Fluggastgesellschaft Air Berlin vom 15.08.2017 stellen sich für die Mitarbeiter verschiedene arbeitsrechtliche Fragen.

Ende Oktober soll der Flugbetrieb eingestellt werden, ca. 8.000 Mitarbeiter werden entlassen und müssen sich auf Jobsuche begeben. Die Lufthansa hat wesentliche Betriebsteile erworben, übernimmt jedoch nicht verbindlich die Mitarbeiter, nicht einmal die auf die Betriebsteile entsprechende Anzahl. Diese sind gehalten, sich bei der Lufthansa zu bewerben, wobei die Lufthansa nur die „Olympia-Mannschaft“ auswählt.

Nicht einmal geklärt ist die Frage, ob eine Transfergesellschaft mit welchem Volumen gegründet wird.

Viele Mitarbeiter der Air Berlin, vor allem aus der Verwaltungszentrale, sind daher gehalten, sich neue Arbeitgeber zu suchen.

Wie stellt sich die rechtliche Seite für die Mitarbeiter von Air Berlin in der Insolvenz dar?

  1. Die Arbeitsverhältnisse können vom Insolvenzverwalter mit einer maximalen, weil verkürzten Kündigungsfrist von drei Monaten gemäß § 113 Insolvenzordnung gekündigt werden aufgrund der Stilllegung des Flugbetriebes Air Berlin.

  2. Durch die Übernahme von zumindest 80 Maschinen übernimmt die Lufthansa wesentliche Betriebsteile der Air Berlin sowie Personal und Betriebsmittel. Mit diesem Erwerb vollzieht sich eigentlich ein Betriebsübergang im Sinne des § 613 a BGB, infolgedessen zwingend die mit Air Berlin bestehenden Arbeitsverhältnisse insgesamt mit den bestehenden vertraglichen Konditionen auf die Lufthansa übergehen.

  3. Sinn und Zweck des § 613 a BGB, d. h. des Übergangs des Arbeitsverhältnisses auf den neuen Betriebserwerber, ist die Wahrung des sozialen Besitzstandes der Arbeitnehmer im Interesse der Gewährleistung eines lückenlosen Bestandsschutzes, um die Funktionsfähigkeit und Kontinuität des Betriebes zu sichern durch Fortbestand der eingearbeiteten Belegschaft sowie der Haftung des Arbeitgebers für Arbeitnehmeransprüche. Diese Rechtsfolge tritt ein für alle im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse.

  4. Maßgeblich für den Betriebsübergang ist, dass eine wirtschaftliche Einheit vorhanden ist, die trotz ihres Inhaberwechsels von Air Berlin zu Lufthansa ihre Identität bewahrt. Nach meiner Einschätzung hat die Lufthansa die Leitungsmacht über den Betrieb der Air Berlin erhalten und sieht sich in der Lage, den Flugbetrieb eigenverantwortlich weiter zu verfolgen.

  5. Zu berücksichtigen ist auch der Übergang der Kundschaft (Fluggäste), der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten (Flugbetrieb), wobei eine Unterbrechung dieser Tätigkeit nicht vorliegt.

  6. Der Betriebsübergang dürfte mit Übernahme der Maschinen Ende Oktober 2017 vollzogen sein.

  7. Eine Besonderheit, die hier vorliegt, besteht darin, dass der Betriebsübergang nach der Insolvenzeröffnung erfolgt. Demzufolge haftet der Betriebserwerber Lufthansa nicht für solche Ansprüche, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sein. Dies dürfte vorliegend jedoch auch unmaßgeblich sein, da bis zum 15. August 2017 die Ansprüche der Arbeitnehmer im Wesentlichen erfüllt sein dürften.

  8. Ausgehend von einem Betriebsübergang im Sinne des § 613 a BGB sind Kündigungen des Arbeitsverhältnisses, die wegen des Betriebsübergangs erfolgen, im Sinne des § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam.

  9. Hierbei bleibt das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen unberührt.

  10. Betriebsbedingte Kündigungen sind an die Voraussetzungen des § 1 Kündigungsschutzgesetz zu prüfen, d. h. ob der jeweilige Arbeitsplatz bei der Lufthansa in Wegfall geraten ist. Davon ausgehend, dass die Arbeitsverhältnisse gemäß § 613 a BGB auf die Lufthansa übergegangen sind, müsste in jedem Einzelfall geprüft werden, inwieweit ein Bedarf an einer Weiterbeschäftigung jedes einzelnen Arbeitnehmers aufgrund der neuen Konstellation nicht mehr vorhanden ist.

  11. Es darf davon ausgegangen werden, dass ein Interessenausgleich und Sozialplan erstellt werden. Unabhängig besteht jedoch die Möglichkeit, die soziale Rechtfertigung einer Kündigung gerichtlich zu überprüfen.

Kündigungserleichterungen existieren bei einer Betriebsveräußerung in der Insolvenz gemäß § 128 Abs. 1 Insolvenzordnung dahingehend, dass die Stellung des Betriebserwerbers (Lufthansa) dahingehend erleichtert wird, dass eine Kündigung einschränkungslos mit dem Sanierungskonzept des Erwerbers begründet werden kann.

Derzeit offen schein zu sein, ob überhaupt eine Transfergesellschaft gegründet wird bzw. die finanziellen Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden können.

Transfergesellschaften haben zwischenzeitlich weitreichende Bedeutung als Gestaltungselement bei Unternehmenskrisen erlangt. Mit Hilfe der Transfergesellschaft soll bei Insolvenz und insbesondere betriebsbedingten Entlassungen eine Alternative zur Arbeitslosigkeit geschaffen werden, indem den zu Kündigenden Arbeitnehmern die Möglichkeit eingeräumt wird, im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses für einen befristeten Zeitraum in der Transfergesellschaft tätig zu sein und diese Zeit zu einer Qualifizierung und Bewerbung für eine neue Tätigkeit im ersten Arbeitsmarkt zu nutzen.

Hierfür existieren Beschäftigungsgesellschaften, die über eine entsprechende Infrastruktur verfügen. In der Regel werden sie als Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften betitelt (BQG).

Zwischen der Transfergesellschaft und dem betroffenen Arbeitnehmer wird ein normales Arbeitsverhältnis begründet. Dieses bedingt einen dreiseitigen Vertrag, d. h. einen Aufhebungsvertrag mit dem ehemaligen Arbeitgeber (Air Berlin) und einen neuen Vertrag mit der Transfergesellschaft.

Transfergesellschaften werden maximal für die Dauer von zwei Jahren gegründet. Das Arbeitsverhältnis ist in den Grenzen des Teilzeitbefristungsgesetzes befristet. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, an von der Bundesagentur für Arbeit finanzierten Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen.

Aus meiner Erfahrung werden in der Regel wenig Qualifizierungsangebote unterbreitet, die Beschäftigung in der Transfergesellschaft stellt meist eine andere Form der Arbeitslosigkeit dar. Der Vorteil ist jedoch, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld in dieser Phase nicht gemindert wird, sondern im Anschluss an die Transfergesellschaft die volle Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld begründet ist. Bezahlt wird in dieser Phase das Transferkurzarbeitergeld. Ergänzt werden die Leistungen der Bundesagentur durch Zuschüsse zur Qualifizierungsmaßnahme, ggfls. wird das Kurzarbeitergeld arbeitgeberseitig aufgestockt. Derartige Leistungen werden in einem Sozialplan festgeschrieben.

Der Nachteil besteht darin, dass unter Abkürzung der Kündigungsfrist ein Übergang in die Transfergesellschaft erfolgen muss und die während der Kündigungsfrist noch zu zahlenden Löhne und Gehälter damit untergehen.

Es sind viele Fragen zu beantworten und Abwägungen zu treffen. Auf jeden Fall lohnt sich eine fachanwaltliche Beratung.

Friedemann Koch

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin


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