Keine „Anscheinsvollmacht“ für Betriebsratsvorsitzenden

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Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 08.02.2022 (1 AZR 233/21)


Betriebsvereinbarungen sind Verträge zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und behandeln häufig die Themen Arbeitszeitmodelle, mobiles Arbeiten und Spezifikationen des Entgeltes. Insofern ähneln Betriebsvereinbarungen den Tarifverträgen, welche allerdings regelmäßig umfangreicher ausfallen. Das Gesetz sieht vor, dass eine Betriebsvereinbarung durch beiderseitige Unterzeichnung gültig wird und dass der Betriebsratsvorsitzende im Rahmen der von diesem gefassten Beschlüsse den Betriebsrat vertritt (§ 26 Abs. 2 BetrVG).


Das Gesetz kennt jedoch keine spezielle Regelung für den Fall, dass sich der Betriebsratsvorsitzende über getroffene Beschlüsse hinwegsetzt oder ohne eine solche Beschlussfassung handelt. Aus diesem Grunde hatte sich das Bundesarbeitsgericht kürzlich mit einer entsprechenden Konstellation zu befassen.


Was war passiert? Beschluss des Betriebsrats fehlte


Anlass der Klage war eine Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2017, mit welcher ein ebenfalls durch Betriebsvereinbarung angeführtes Entgeltsystem abgelöst wurde. Hierzu hatte es zwar eine informelle Beratung des Betriebsrates gegeben, jedoch keinen förmlichen Beschluss. Nichtsdestotrotz unterzeichnete der Betriebsratsvorsitzende das Dokument. Auch im Nachhinein erfolgte allerdings keine Zustimmung durch Beschluss des Betriebsrates (§ 33 Abs. 1 BetrVG, § 184 Abs. 1 BGB). Der durch die neuere Betriebsvereinbarung benachteiligte Kläger klagte auf Entgeltdifferenz mit dem Argument, die Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2017 sei nicht rechtswirksam zustande gekommen.


Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Anscheinsvollmacht gilt nicht


Mit Urteil vom 8.2.2022 (1 AZR 233/21) gab das Bundesarbeitsgericht dem Kläger Recht. Unstreitig fehlte der erforderliche Beschluss des Betriebsrates für den Abschluss der Betriebsvereinbarung. Ein nachträglicher Beschluss sei gleichfalls nicht erfolgt. Auch die Grundsätze der Anscheinsvollmacht könnten im vorliegenden Fall nicht eingreifen.


Exkurs Anscheinsvollmacht: Mit den Begriff Anscheinsvollmacht wird ein Rechtsverhältnis beschrieben, in dem eine der handelnden Personen über keine wirksame Vollmacht verfügt, der andere gutgläubige Vertragspartner dies jedoch glauben konnte. Dies ist dann der Fall, wenn der vermeintlich Bevollmächtigte tatsächlich eine Stellung innehat, die eine entsprechende Bevollmächtigung nahelegt, hieran auch im konkreten Falle kein Anlass für Zweifel bestehen und auch in der Vergangenheit der vermeintlich Bevollmächtigte bereits so aufgetreten ist.


Anders als im privaten Rechtsverkehr betreffen Rechtswirkungen der getroffenen Verträge nicht lediglich die Vertragsparteien, sondern direkt und unmittelbar die betriebszugehörigen Arbeitnehmer. Damit könnten sich – so das Gericht - die Grundsätze der Anscheinsvollmacht rechtlich zulasten dieser Arbeitnehmer auswirken, so dass sich die Anwendung dieses Rechtsinstitut im Anwendungsbereich des BetrVG verbietet.


Weitere Hinweise zum Thema können Sie in der Langversion unseres Blogbeitrags unter https://kanzlei-kerner.de/blog/unterschrift-des-betriebsratsvorsitzenden-ersetzt-nicht-beschluss-des-betriebsrats/ nachlesen.




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