Krankheitsbedingte Kündigung von Betriebsrat: "Sinnentleertes" Arbeitsverhältnis muss vorliegen

  • 4 Minuten Lesezeit

Krankheitsbedingt ein Mitglied des Betriebsrats zu kündigen, setzt ein - sinnentleertes Arbeitsverhältnis - voraus.  Folglich ist eine krankheitsbedingte Kündigung gegen ein Mitglied des Betriebsrats nur in extremen Ausnahmefällen möglich. Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber die krankheitsbedingte Kündigung gegen ein Betriebsratsmitglied von vornherein ausschließen wollte. Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hatte mit Urteil vom 18.08.2021 - 3 Sa 6/21 darüber zu entscheiden, ob einem Ersatzmitglied des Betriebsrats krankheitsbedingt gekündigt werden kann, Quelle: openJur 2021, 26627

Fristlos kann im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 S. 1 und S. 2 KSchG i. V. m. § 626 BGB nur gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren Arbeitnehmer ohne besonderen Kündigungsschutz dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre, so das Landesarbeitsgericht feststellend.

Zum Sachverhalt heißt es im Besonderen wie folgt: „Der im Jahr 1971 geborene, ledige und keinen Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 03.11.2003 bei der Beklagten zuletzt als Maschinenbediener in einem Vollzeitarbeitsverhältnis zu einem Bruttoarbeitsentgelt von 3.370,13 € beschäftigt. Die Beklagte stellt industrielle Backwaren her. Der Kläger ist Ersatzmitglied in dem bei der Beklagten gebildeten Betriebsrat… Die Beklagte stützt die ausgesprochene fristlose Kündigung auf krankheitsbedingte Fehlzeiten des Klägers in dem Zeitraum von 2016 bis zum Zeitpunkt der Zustellung der Kündigung am 21.05.2020. Dem liegen folgende krankheitsbedingte Fehlzeiten des Klägers zugrunde: 2016: 164 Arbeitstage (entgeltfortzahlungsbelastet 72 Arbeitstage); 2017: 83 Arbeitstage (alle entgeltfortzahlungsbelastet); 2018: 68 Arbeitstage (alle entgeltfortzahlungsbelastet); 2019: 74 Arbeitstage (alle entgeltfortzahlungsbelastet); 2020: 14 Arbeitstage (alle entgeltfortzahlungsbelastet)“, vergleiche Entscheidungsgründe des Landesarbeitsgerichts.

Gericht weist die krankheitsbedingte Kündigung zurück

Begründet wird die Zurückweisung der krankheitsbedingten Kündigung wie folgt: „Unter Berücksichtigung des gegebenen Sach- und Streitstandes sind die genannten Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG i. V. m. § 626 Abs. 1 BGB ist vorliegend nicht gegeben. Weder die krankheitsbedingte Einschränkung der Einsatzbarkeit des Klägers in der Nachtschicht, noch die in der Zeit von 2016 bis zum Ausspruch der Kündigung aufgelaufenen krankheitsbedingten Fehltage des Klägers inklusive der diesbezüglich durch die Beklagte geleisteten Entgeltfortzahlungen und der ggf. bestehenden Betriebsablaufstörungen rechtfertigen den Ausspruch einer fristlosen Kündigung.

Gravierendes Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung muss vorliegen

Das Landesarbeitsgericht wie folgt herausstellend: „Eine krankheitsbedingte Kündigung wegen - wie hier - häufiger Kurzerkrankungen mag zwar im Sinne der Rechtsauffassung der Beklagten nicht generell ungeeignet sein, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darzustellen (vgl. insoweit auch BAG, Urteil vom 18.02.1993 - 2 AZR 526/92 -, AP Nr. 35 zu § 15 KSchG). Jedoch ist es dem Arbeitgeber grundsätzlich zuzumuten, in einem solchen Fall die geltende Kündigungsfrist einzuhalten. Daraus folgt, dass eine außerordentliche Kündigung nur in eng begrenzten Fällen in Betracht kommt, etwa bei einem Ausschluss der ordentlichen Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarungen. Schon an die ordentliche Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Anforderungen an die Wirksamkeit einer auf Krankheit gestützten außerordentlichen Kündigung gehen darüber noch hinaus. Es bedarf eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung (BAG vom 20.03.2014 - 2 AZR 825/12 -, juris, Rn. 20). Daraus folgt unmittelbar, dass einem Betriebsratsmitglied nach § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG bzw. im Nachwirkungszeitraum nach § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG jeweils i. V. m. § 626 Abs. 1 BGB nur dann außerordentlich gekündigt werden kann, wenn dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren Nichtbetriebsratsmitglied dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre (BAG vom 15.03.2001 - 2 AZR 624/99 -, juris, Rn. 17 m.w.N.).“

Gericht: Trotz hoher Krankheitszahlen kein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung

„Die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten ordentlichen Kündigung setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Im Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatsachen vorliegend, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende und einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer solchen Beeinträchtigung führen - zweite Stufe. Ist dies der Fall, ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billiger Weise nicht hingenommen werden müssen - dritte Stufe (BAG vom 23.01.2014 - 2 AZR 582/13 -, juris, Rn. 27).“ - so das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern in seinem Urteil feststellend.

Wann liegt ein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor?

Landesarbeitsgericht: „Ein solches ist gegeben, wenn zu erwarten steht, dass der Arbeitgeber bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - ggf. über Jahre hinweg - erhebliche Entgeltzahlungen zu erbringen hätte, ohne dass dem eine nennenswerte Arbeitsleistung gegenüberstände. Auch können Häufigkeit und Dauer der krankheitsbedingten Fehlzeiten im Einzelfall dazu führen, dass ein Einsatz des Arbeitnehmers nicht mehr sinnvoll und verlässlich geplant werden kann und dieser damit zur Förderung des Betriebszwecks faktisch nicht mehr beiträgt. Die Aufrechterhaltung eines derartig "sinnentleerten" Arbeitsverhältnisses kann dem Arbeitgeber ggf. auch im Falle eines ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmers unzumutbar sein (BAG vom 23.01.2014, a.a.O., Rn. 28). Unter Berücksichtigung der vorgenannten Voraussetzungen ist ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB i. V. m. § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht gegeben.“

Rechtsanwalt Helmut Naujoks ist seit 25 Jahren als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht tätig. Haben Sie Fragen in Bezug auf die Kündigung eines Betriebsrats? Rufen Sie noch heute Rechtsanwalt Helmut Naujoks an, Spezialist als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht. In einer kostenlosen und unverbindlichen telefonischen Ersteinschätzung beantwortet Rechtsanwalt Helmut Naujoks Ihre Fragen zum Kündigungsschutz von Betriebsräten.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Helmut Naujoks

Beiträge zum Thema