Muss ein Arbeitnehmer rechtswidrige Weisungen des Arbeitgebers befolgen? – Update 11/17

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Das Bundesarbeitsgericht (BAG Urt. v. 17.11.2016 – 2 AZR 730/15) hat entschieden, dass Arbeitnehmer Weisungen des Arbeitgebers so lange als wirksam betrachten und ihnen Folge leisten müssen, wie nicht rechtskräftig die Unwirksamkeit der Arbeitsanweisung festgestellt wurde. Die Weigerung kann sogar zu einer fristlosen Kündigung nach den Grundsätzen beharrlicher Arbeitsverweigerung führen. Dies gilt auch für die Weisung des Arbeitgebers, an einem datenerfassten System teilzunehmen, das personenbezogene Daten des Arbeitnehmers erfasst.

Das ist nicht unumstritten. Nach Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts Hamm (LAG Hamm, Urteil vom 17.03.2016 – 17 Sa 1660/15) und des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (LAG Düsseldorf, Urteil vom 06.04.2016 – 12 Sa 1153/15) muss der Arbeitnehmer nicht zwingend rechtswidrige Weisungen des Arbeitgebers befolgen, denn er soll nicht das Risiko tragen, einer aus seiner Sicht rechtswidrigen Weisung nicht zu folgen und dadurch seine Rechte aus dem Arbeitsverhältnis zu beeinträchtigen. Bis zu einer gerichtlichen Klärung soll deshalb durch den Arbeitgeber weder Abmahnungen noch eine Kündigung rechtmäßig sein.

Dieser Sicht folgend, wäre es wohl nicht zu einer Kündigung eines Kraftfahrers gekommen, der sich weigerte, der Weisung seines Arbeitgebers entsprechend, das elektronische Berichtssystem über Fahrdaten anzuwenden und sich damit gegen die Verwendung seiner Daten wandte. Er hatte zwar in diese elektronische Erfassung personenbezogener Daten persönlich nicht eingewilligt, die Einwilligung wurde aber durch eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat „ersetzt“. Diese stellt tatsächlich einen rechtfertigenden Grund zur Erfassung bzw. Verarbeitung personenbezogener Daten im Betrieb des Arbeitgebers dar. Das Bundesarbeitsgericht hat im entscheidenden Fall aber bereits das Interesse des Arbeitgebers für ausreichend gehalten, durch Nutzung des elektronischen Berichtssystems zur Erfassung von Fahrdaten, die Arbeitnehmer zu einer vorausschauenden und sparsamen Fahrweise anzuhalten, um umfangreich personenbezogene Daten zu erheben.

Praktisch gesehen hat das Bundesarbeitsgericht mit seiner Rechtsauffassung jedoch recht. Eine nicht offensichtlich rechtswidrige Weisung, die ein Arbeitnehmer über drei Instanzen folgenlos verweigern darf, kann die betrieblichen Abläufe so beeinträchtigen, dass ein ordnungsgemäßes Arbeiten und die Durchführung betrieblicher Maßnahmen kaum noch möglich scheinen.

Für diese Problematik stellt die Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (a.a.O.) aus meiner Sicht einen angemessenen Ausgleich dar. Danach besteht bis zu einer gerichtlichen Entscheidung erster Instanz die Verpflichtung, einer (vermeintlich) rechtswidrigen Weisung des Arbeitgebers folgen zu müssen. Kommt das Arbeitsgericht in der ersten Instanz aber zum Ergebnis, dass die Weisung rechtswidrig war, darf dem Arbeitnehmer nicht zugemutet werden, dieser nach wie vor Folge zu leisten.

Update 9/17

Der zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichtes vertritt in einer aktuellen Entscheidung die Auffassung, dass ein Arbeitnehmer sich an eine rechtswidrige Weisung des Arbeitgebers nicht halten muss. Da der fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hierzu eine andere Auffassung vertritt (siehe oben), hat der zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts angefragt, ob der fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts an seiner anderslautenden Auffassung festhält. D. h., dass es zu diesem Thema bald eine abschließende Entscheidung gibt. Meint das Bundesarbeitsgericht, dass ein Arbeitnehmer sich an eine unbillige Weisung nicht halten muss, kann der Arbeitgeber wegen der Weigerung, der Weisung zu folgen, auch keine wirksame Kündigung aussprechen. Es stellt sich dann aber die Frage, ob dem Arbeitnehmer eine Art Irrtumsprivileg zusteht für den Fall, dass rechtskräftig festgestellt wird, dass die Weisung nicht rechtswidrig war. Die Entscheidung muss in ihren Einzelheiten daher abgewartet werden.

Update 11/17

Zwischenzeitlich hat der zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) entschieden, dass ein Arbeitnehmer eine rechtswidrige Weise seines Arbeitgebers bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung nicht befolgen muss (BAG Urteil v. 14.6.2017 – 10/AZR 330/16). Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts, der bis dahin der gegenteiligen Auffassung war, hat daraufhin mitgeteilt, an der ursprünglichen Auffassung nicht festzuhalten (BAG vom 14.9.2017, AZ: 5 AS 7/17).

Es bleibt aber unklar, welche Folgen es für den Arbeitnehmer hat, wenn er eine Weisung des Arbeitgebers, die er für rechtswidrig hält, nicht befolgt, er deswegen eine Abmahnung oder eine Kündigung erhält und gerichtlich geklärt wird, dass die Weisung tatsächlich rechtmäßig war. Im Kündigungsrechtsstreit wird in einem solchen Fall durch das Arbeitsgericht geprüft, ob die Weisung, gegen die der Arbeitnehmer verstoßen hat, rechtmäßig war. In nur wenigen, eindeutigen Fällen kann ein Arbeitnehmer aber überhaupt wissen, ob eine arbeitgeberseitige Weisung rechtmäßig war, da hierfür ein umfangreicher gesetzlicher und arbeitsvertraglicher Maßstab anzulegen ist. Im Zweifelsfalle bleibt der Rat, dass ein Arbeitnehmer sich weniger am Bundesarbeitsgericht sondern vielmehr an der Praxis orientiert und einer Weisung seines Arbeitgebers soweit wie tatsächlich möglich folgt und gegebenenfalls gerichtlich deren Rechtmäßigkeit prüfen lässt. Arbeitsgerichtliche Verfahren werden beschleunigt durchgeführt, sodass in den allermeisten Fällen nicht hinnehmbare Nachteile nicht entstehen dürften.

Christoph Strieder, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in Solingen und Leverkusen


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