Regenwasser, das unterirdisch vom Nachbargrundstück kommt, kann untersagt werden

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BGH, Urteil vom 12.6.2015 – V ZR 168/14


Ein Übertritt von Niederschlagswasser im Sinne des § 37 Abs. 1 RhPfNachbRG setzt keinen oberirdischen Zufluss voraus. Dem Eigentümer eines Grundstücks steht auch dann ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 37 Abs. 1 RhPfNachbRG zu, wenn infolge baulicher Anlagen auf dem Nachbargrundstück (unterirdisch) vermehrt Sickerwasser auf sein Grundstück gelangt.

Zum Sachverhalt:

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Der Beklagte, der eine Kfz-Werkstatt betreibt, hat auf seinem Grundstück einen Kfz-Abstellplatz mit Halle errichtet. Das Gelände ist teilweise durch Verbundsteinpflaster versiegelt. Ein Anschluss an die öffentliche Kanalisation fehlt. Eine umstrittene Versickerungsanlage und eine „Aufkantung“, die das Grundstück des Beklagten von dem des Klägers abgrenzt, sind vorhanden. Der Kläger behauptet, das benachbarte Grundstück sei so gestaltet, dass Sickerwasser auf sein Grundstück gelange; dies erhöhe den Grundwasserspiegel und beeinträchtige die gärtnerische und landwirtschaftliche Nutzung erheblich.
Das Landgericht Kaiserslautern (Urteil vom 26.10.2012 – 3 O 62/08) verurteilte den Beklagten, Maßnahmen zu ergreifen, um das Einsickern von Sickerwasser zu verhindern, welches den Grundwasserstand erhöht und die Nutzbarkeit des klägerischen Grundstücks beeinträchtigt. Die Berufung des Beklagten wies das Oberlandesgericht Zweibrücken (Urteil vom 12.6.2014 – 6 U 64/12) zurück. Die Revision des Beklagten wurde mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Urteil des Landgerichts klarstellend neu gefasst wird: Der Beklagte wird verurteilt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass durch die bauliche Gestaltung seines Grundstücks vermehrt Sickerwasser auf das Grundstück des Klägers gelangt, den Grundwasserstand erhöht und die Nutzbarkeit des Grundstücks beeinträchtigt.


Aus den Gründen:

I. Das Berufungsgericht stellt aufgrund der erstinstanzlichen Beweisaufnahme fest, dass das Grundstück des Klägers durch Zufluss von Niederschlagswasser vom benachbarten Grundstück beeinträchtigt wird. Der Beklagte sei aufgrund der baulichen Gestaltung seines Grundstücks als Störer verantwortlich. Der Kläger sei nicht verpflichtet, diese Beeinträchtigung zu dulden. Es stehe nicht entgegen, dass das Wasser durch Versickerung und nicht oberirdisch in den Garten des Klägers gelangt. Der Begriff des „Übertritts“ von Niederschlagswasser umfasse alle Formen einer dem Nachbarn zuzurechnenden Zuführung. Das Gesetz wolle solche Verhaltensweisen nicht gestatten. Eine unwesentliche Beeinträchtigung des klägerischen Gartens liege nicht vor. Auch könne nicht von einer Ortsüblichkeit gemäß § 906 Abs. 2 BGB ausgegangen werden.
II. Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Prüfung stand.
1. Die von dem Berufungsgericht aufrechterhaltene Verurteilung des Beklagten ist nicht auf eine unmögliche Handlung gerichtet, obwohl die im Urteil des Landgerichts aufgeführten Flurstücke nicht die an das Grundstück des Klägers angrenzenden Grundstücke sind. Es liegt eine offensichtliche Unrichtigkeit vor, die berichtigt werden kann. Aufgrund des Lageplans ergibt sich zweifelsfrei, dass sich die Verurteilung auf das Grundstück mit der Flurstücksnummer 76/1 beziehen soll. Der Tenor des Urteils des Landgerichts ist daher zu berichtigen.
2. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass dem Kläger ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 37 Abs. 1 RhPfNachbRG zusteht.
a) Der Eigentümer eines Grundstücks kann sich grundsätzlich gegen Einwirkungen von einem Nachbargrundstück zur Wehr setzen, die sein Eigentum beeinträchtigen. Der Anspruch ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung des Nachbarrechts, das einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen der Nachbarn vorsieht. Diese Regelungen finden sich sowohl im Bundesrecht (§§ 906 ff. BGB) als auch in ergänzenden Vorschriften des Landesrechts. Nur im gegebenen Rahmen kann der Eigentümer Beeinträchtigungen abwehren.
b) Inwieweit der Kläger den Zufluss vermehrten Sickerwassers auf sein Grundstück verhindern kann, richtet sich nach § 37 Abs. 1 RhPfNachbRG. Hiernach müssen bauliche Anlagen so gestaltet sein, dass Niederschlagswasser nicht auf das Nachbargrundstück tropft oder abgeleitet wird. Weder § 906 BGB noch die wasserrechtlichen Vorschriften des § 82 RhPfWassG sind anwendbar.
aa) Als Grobimmission zählt der Wasserzufluss nicht zu den Immissionen im Sinne des § 906 Abs. 1 BGB. Nur wenn eine unwägbare Substanz in abfließendes Regenwasser gerät, kann § 906 BGB Anwendung finden. Daher ist § 906 BGB bei der Beurteilung, ob ein Eigentümer einen von einem Nachbargrundstück herrührenden Wasserzufluss dulden muss, grundsätzlich nicht heranzuziehen.
bb) Die wasserrechtlichen Vorschriften finden nur auf wild abfließendes Wasser Anwendung. Auf Baulichkeitswasser, das von einem Gebäude oder einer baulichen Anlage abfließt, ist § 37 RhPfNachbRG anzuwenden. Der Vorrang des Nachbarrechts gegenüber dem Wasserrecht gilt auch, wenn Niederschlagswasser von einer baulichen Anlage zunächst auf das eigene Grundstück und dann auf das Nachbargrundstück abfließt.
c) Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht an, dass der Beklagte gegen § 37 Abs. 1 RhPfNachbRG verstößt.
aa) Ein „Übertreten“ von Niederschlagswasser auf das Nachbargrundstück liegt auch bei unterirdischem Zufluss vor. Eine Differenzierung zwischen oberirdischem und unterirdischem Zufluss überzeugt nicht. § 37 Abs. 1 RhPfNachbRG findet auch Anwendung, wenn bauliche Anlagen auf einem Grundstück die Ursache für vermehrtes Sickerwasser auf das Nachbargrundstück sind.
(1) Der Wortlaut der Vorschrift steht dieser Auslegung nicht entgegen. Der Begriff des „Übertretens“ beschreibt jede Form der Ortsveränderung des Wassers von einem Grundstück auf ein anderes, unabhängig davon, ob oberirdisch oder unterirdisch.
(2) Der Zweck der Vorschrift spricht für diese Auslegung. Bauliche Anlagen, die vermehrtes Sickerwasser auf das Nachbargrundstück leiten, greifen in den natürlichen Wasserablauf ein. § 37 Abs. 1 RhPfNachbRG soll den Nachbarn vor solchen Beeinträchtigungen schützen.
(b) Bauliche Anlagen können dazu führen, dass Niederschlagswasser gesammelt an einer bestimmten Stelle auftrifft und konzentriert versickert, was zu einem vermehrten unterirdischen Zufluss führt. Der Eigentümer ist in beiden Fällen gleichermaßen schutzwürdig.
(c) Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 2 RhPfWassG rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Der Vorrang der Versickerung ändert nichts an der Pflicht gemäß § 37 Abs. 1 RhPfNachbRG, das Übertreten von Sickerwasser zu verhindern.
(d) Der Einwand der Revision, der Grundstückseigentümer sei mit der Zuleitung des Sickerwassers zum Grundwasser seiner Verantwortung entzogen, ist unerheblich. Die Pflicht gemäß § 37 Abs. 1 RhPfNachbRG knüpft an die Gestaltung der baulichen Anlagen an.
dd) § 37 Abs. 1 RhPfNachbRG bedarf einer Einschränkung, da nicht jeder vermehrte Zufluss relevant ist. Der Zufluss muss zu einer Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks führen. Dies ist hier der Fall.
e) Auch wenn der Kläger durch eine Betonierung seines Hofs zur Erhöhung des Grundwasserspiegels beigetragen haben sollte, ändert dies nichts an der Pflicht des Beklagten, Maßnahmen zu ergreifen, um vermehrtes Eindringen von Sickerwasser zu verhindern.
f) Die Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen ist gegeben, da bereits Beeinträchtigungen stattgefunden haben.
3. Die Verurteilung des Beklagten zu einem positiven Tun ändert nichts an der Unterlassungsverpflichtung. Der Kläger will künftige Störungen verhindern. Lässt sich die Beeinträchtigung nur durch aktives Eingreifen verhindern, schuldet der Verpflichtete das erforderliche positive Tun.
Die Revision des Beklagten ist zurückzuweisen. Der Tenor des Urteils des Landgerichts wird zur Klarstellung konkretisiert und im Übrigen unter Beachtung des klägerischen Begehrens neu gefasst.

Foto(s): Udo Kuhlmann


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