Umkleidezeiten bei Arbeitnehmern als Arbeitszeit

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Die Umkleide- und Wegezeiten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die zum Tragen von Berufskleidung verpflichtet sind, sind Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Das hat das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 17.11.2015 – 1 ABR 76/13 festgestellt. 

Das Landesarbeitsgericht Köln hat sich dieser Meinung in seinem Beschluss vom 06.10.2017 – 4 TaBV 82/16 angeschlossen. 

Worum ging es?

In dem Rechtsstreit vor dem LAG Köln stritten der Betriebsrat und der Arbeitgeber über Mitbestimmungsrechte bei der Arbeitszeit. Der Arbeitgeber stellt an zwei Standorten Kartonverpackungen für Lebensmittel her und vertreibt diese. An beiden Standorten besteht ein Betriebsrat, im Unternehmen ist ein Gesamtbetriebsrat gebildet. Die in der Produktion tätigen Mitarbeiter müssen Arbeitskleidung tragen, der Arbeitgeber stellt sie kostenlos zur Verfügung. Zur Berufsbekleidung gibt es eine „Gesamtbetriebsvereinbarung, in der unter anderem geregelt ist:

„Das Umziehen muss in den Umkleideräumen erfolgen. Die Arbeitskleidung darf keinesfalls nach Hause oder auf dem Arbeitsweg getragen werden. Sicherheitsschuhe gehören zur Firmenkleidung und unterliegen daher denselben Bestimmungen.“

In einer anderen Betriebsvereinbarung heißt es:

„... 2. Jeder Mitarbeiter ist verpflichtet, die Arbeit, ggfs. in Arbeitskleidung, zur festgesetzten Uhrzeit am Arbeitsplatz aufzunehmen und die Arbeitszeit einzuhalten. Maßgebend für die Arbeitszeit ist die Betriebsuhr, nach der auch die Laut- oder Leuchtzeichen zur Aufnahme und Beendigung der Arbeit gegeben 

3. Das Waschen und Umkleiden hat außerhalb der Arbeitszeit zu erfolgen. Wasch- und Badezeiten für Mitarbeiter, die durch ihre Tätigkeit einer besonders starken Verschmutzung ausgesetzt sind, werden besonders geregelt.

(…)

In einer Gesamtbetriebsvereinbarung zur Arbeitszeit ist geregelt:

„...9. Zeiterfassung

Der Mitarbeiter bucht stets nach Betreten und vor Verlassen des Betriebs in Arbeitskleidung am ihm zugewiesenen Zeiterfassungsgerät. Sonstige Korrekturen der gebuchten Zeit sind vom Mitarbeiter per Beleg an den Vorgesetzten zu melden. Dieser zeichnet ab und gibt den Beleg an die Zeitbeauftragten zur Korrektur der Zeitbuchung (…)“.

Der einschlägige Manteltarifvertrag regelt in § 2 MTV PPP unter anderem, dass Waschen und Umkleiden vor Beendigung der Arbeitszeit nicht gestattet ist. 

Der Betriebsrat möchte mit seinen Anträgen geklärt wissen, ob er bei der Festlegung von Beginn und Ende der Umkleidezeiten und Wegezeiten von den Umkleideräumen zum Arbeitsplatz bei Schichtbeginn und der Wegezeiten vom Arbeitsplatz zu den Umkleideräumen sowie der Umkleidezeiten bei Schichtende derjenigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die nach der GBV 06/06 – Berufsbekleidung – vom 13. November 2006 verpflichtet sind, Arbeitskleidung zu tragen, ein Mitbestimmungsrecht hat. 

Das Arbeitsgericht weist die Anträge des Betriebsrates zurück. Das dem Betriebsrat dem Grunde nach zustehende Mitbestimmungsrecht bei Umkleide- und Wegezeiten sei im vorliegenden Fall gemäß § 87Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG ausgeschlossen sei. 

Aus § 2 Ziffer 10 MTV PPV ergebe sich hinreichend deutlich, dass die Tarifvertragsparteien die betriebliche Arbeitszeit abweichend vom gesetzlichen Arbeitszeitbegriff des § 2 Abs. 1 ArbZG festgelegt hätten. Die Regelung nehme ausdrücklich die Zeiten des Waschens und Umkleidens von der gemäß § 2 Ziffer 7 durch Betriebsvereinbarung festzulegenden Arbeitszeit aus. Gegen den ihm am 29.11.2016 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts hat der Betriebsrat Beschwerde eingelegt.

Wie entscheidet das Landesarbeitsgericht Köln?

Dem Betriebsrat, so das Landesarbeitsgericht Köln, steht das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht zu.

Die Umkleide- und Wegezeiten der Arbeitnehmer in der Produktion sowie in den produktionsnahen Bereichen der Arbeitgeberin, die zum Tragen von Berufskleidung verpflichtet seien, seien Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG.

Schreibe der Arbeitgeber wie hier das Tragen einer bestimmten Kleidung vor und untersage er es, die Arbeitskleidung auf dem Weg zur Arbeitsstätte zu tragen, so könne diese Zeit nicht der privaten Freizeit des Arbeitnehmers zugeordnet werden und stelle deshalb Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG dar. 

Denn der Arbeitnehmer könne über diese Zeiten nicht frei verfügen; er sei vielmehr gehalten, einem Bedürfnis des Arbeitgebers – dem nach dem verpflichteten Tragen der Arbeitskleidung – nachzukommen. Die Arbeitszeit beginne dann mit dem Umkleiden; da der Arbeitnehmer eine vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidestelle zwingend benutzen müsse, zählten auch die innerbetrieblichen Wege zur betrieblichen Arbeitszeit. 

§ 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG stehe dem Mitbestimmungsrecht im vorliegenden Fall nicht entgegen.

Mitbestimmungsrechte könnten durch den Tarifvorbehalt des Eingangshalbsatz des § 87 Abs. 1 BetrVG eingeschränkt oder ausgeschlossen sein. Dies setze voraus, dass die Tarifvertragsparteien selbst über die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit eine zwingende und abschließende inhaltliche Regelung getroffen und damit dem Schutzzweck des verdrängten Mitbestimmungsrechts Genüge getan hätten. Sie dürften das Mitbestimmungsrecht nicht ausschließen oder einschränken, ohne die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit selbst zu regeln (BAG, Beschluss vom 12.11.2013 – 1 ABR 59/12 –, Rn. 39; BAG, Beschluss vom 09.11 2010 – 1 ABR 75/09–, Rn. 17, juris).

Die Tarifvertragsparteien hätten im MTV PPV keine ausdrückliche Regelung über Beginn und Ende der Arbeitszeit getroffen, im Gegenteil. Sie hätten die Regelung von Beginn und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit gemäß § 2 Ziffer 7 MTV PPV gerade ausdrücklich den Betriebsparteien überlassen. 54 (3) Auf Nachfrage der Kammer haben die Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 06.10.2017 mitgeteilt, dass andere „betriebsübliche Bekanntmachungen“ von Regelungen über Beginn und Ende der regelmäßigen Arbeitszeit ihres Wissens nach im Betrieb nicht bestehen.

Was folgt daraus für die Praxis?

Der Betriebsrat hat, soweit eine vorrangige tarifliche Regelung nicht besteht, über Beginn und Ende der Arbeitszeit mitzubestimmen. An der Entscheidung erkennt man sehr gut, dass es keine pauschale Beantwortung der Frage geben kann, ob Umkleidezeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu werten sind. Diese Frage wird in einer der nächsten Beiträge behandelt werden. Vorliegend ist aber von entscheidender Bedeutung, dass das Gericht meint, das Anlegen der Berufskleidung könne keine private Zeit darstellen, da das Tragen außerhalb des Betriebs nicht gestattet sei. In diesem Fall müsse es sich also um Arbeitszeit handeln. Dem ist voll zuzustimmen. 

Dr. Bert Howald

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht 

Anwaltskanzlei Gaßmann & Seidel, Stuttgart



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