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Wahlfehler und ihre Auswirkungen – Urteile des BVerfG

  • 4 Minuten Lesezeit
Esther Wellhöfer anwalt.de-Redaktion

Die Wahlen zur Volksvertretung stellen in einer parlamentarischen Demokratie, wie wir sie in der Bundesrepublik Deutschland haben, eines der wesentlichsten Merkmale dar. Entscheidend ist dabei, dass die Wahlen auch nach demokratischen Prinzipien durchgeführt werden, sonst kommt es zu "Scheinwahlen", wie es häufig in Blockstaaten oder totalitären Ländern der Fall ist. Die wichtigste Wahl in Deutschland ist die Bundestagswahl, denn der Bundestag repräsentiert direkt das Volk und ist verantwortlich für die Gesetzgebung.


Gesetzliche Grundlagen für die Bundestagswahl

Festgelegt sind die wichtigsten Staatsprinzipien für den deutschen Staat in Art. 20 Grundgesetz (GG):

Art 20 Grundgesetz
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Damit die Wahlen zum Bundestag auch tatsächlich den Willen des Volkes repräsentieren, schreibt Art. 38 GG hierfür folgendes vor:

Art 38 Grundgesetz
(1) 1Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. 2Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.
(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

Einzelheiten zum konkreten Ablauf der Wahlen regelt gemäß dem vorgenannten Art. 38 Abs. 3 GG das sogenannte Bundeswahlgesetz (BWG). In der Praxis treten immer wieder in Einzelfällen Fragen auf, ob die jeweils konkret durchgeführten Wahlen auch ordnungsgemäß abgelaufen sind und das Parlament somit auch rechtmäßig zusammengesetzt ist.


Wahlprüfungsbeschwerde beim BVerfG

In einem ersten Schritt können Bürger direkt beim Bundestag ein Wahlprüfungsverfahren einleiten. Bleibt dies erfolglos, ist das Bundesverfassungsgericht letztlich für die Überprüfung eventueller Wahlfehler zuständig. In Karlsruhe kann jeder wahlberechtigte Bürger (ob Wähler oder Gewählter) eine sogenannte Wahlprüfungsbeschwerde einreichen, wenn er glaubt, dass Grundprinzipien der Wahl verletzt worden sind. Das Bundesverfassungsgericht prüft dann, ob tatsächlich ein solcher Wahlfehler vorliegt und inwieweit er sich auf das Wahlergebnis ausgewirkt hat (sog. "mandatsrelevante" Wahlfehler).


Entscheidungen des BVerfG in Wahlprüfungsverfahren

Gerade in der noch jungen Bundesrepublik nach 1949 war die Zahl der Wahlprüfungsbeschwerden hoch, weil einige grundsätzliche Fragen, die nicht gesetzlich geregelt waren, erst gerichtlich geklärt werden mussten und man noch wenig Erfahrung mit demokratischen Wahlen hatte. So mussten die Verfassungsrichter z.B. entscheiden über die Unmittelbarkeit der Wahl (BVerfG, Beschluss v. 11.11.1953, Az.: 1 BvL 67/52, über die Verfassungsmäßigkeit der sog. starren Liste (BVerfG, Beschluss v. 03.07.1957, Az.: 2 BvR 9/56), über die Verfassungsmäßigkeit der Briefwahl und dem Hinzuziehen einer Vertrauensperson dabei (BVerfG, Beschluss v. 15.02.2967, Az.: 2 BvC 2/66) oder auch über die Verfassungsmäßigkeit der sog. personalisierten Verhältniswahl (BVerfG, Beschluss v. 26.08.1961, Az.: 2 BvR 322/61).

Aber auch in jüngerer Zeit wurden Wahlen, ihr Ablauf und ihr Ergebnis vom Bundesverfassungsgericht geprüft. Die Verfassungsrichter mussten beispielsweise überprüfen: Stimmensplitting bei Bundestagswahlen (BVerfG, Beschluss v. 23.11.1988, Az.: 2 BvC 3/88), Verfassungsmäßigkeit von Überhangmandaten (BVerfG, Urteil v. 10.04.1997, Az.: 2 BvF 1/95), über die negative Gewichtung von Stimmen bei der Bundestagswahl (BVerfG, Urteil v. 03.07.2008, Az.: BvC 1/07, 2 BvC 7/07)


Grundsatzurteil zur Bestandskraft einer fehlerhaften Wahl

Mit dem letztgenannten Urteil vom 03.07.2008 haben die Karlsruher Richter eine Grundsatzentscheidung getroffen, inwieweit sich Wahlfehler auf den Bestand des Parlaments auswirken, d.h. wann ein Wahlfehler so schwer wiegt, dass die Wahlen für ungültig erklärt und neu durchgeführt werden müssen. Im entschiedenen Fall hatten die Richter festgestellt, dass einzelne Vorschriften des Bundeswahlgesetzes (damals: § 7 Abs. 3 S.2 i.V.m. § 6 Abs. 4,5 BWG) verfassungswidrig seien: Der Zuwachs an Zweitstimmen führte nach den Vorschriften zu einem Verlust an Sitzen in der Landesliste bzw. zu einem Zuwachs an Landessitzen beim Velust von Zweitstimmen. Dieser Wahlfehler wirkte sich auch auf die Verteilung der Bundestagsmandate aus, war also mandatsrelevant.

Dennoch erklärten die Verfassungsrichter die Bundestagswahl für gültig. Argument: Der Bestandsschutz des Bundestag sei gegenüber dem konkreten Wahlfehler vorrangig, so dass keine Neuwahlen gerechtfertigt seien. Mit den Worten des BVerfG:

"Auch wenn der Wahlfehler hier Mandatsrelevanz hat, führt er nicht zur Ungültigerklärung der Wahl und damit zur Auflösung des 16. Deutschen Bundestages.

a) In den Fällen, in denen ein Wahlfehler sich auf die Mandatsverteilung im Bundestag ausgewirkt haben kann, unterliegt die Wahlprüfungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts dem Gebot des geringstmöglichen Eingriffs. Die Entscheidung darf nur so weit gehen, wie es der festgestellte Wahlfehler verlangt (vgl. Morlok, in: Dreier, Grundgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2006, Art. 41 Rn. 20; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 41 Rn. 112 ff.). Daraus folgt unter anderem, dass vorrangig ein Wahlfehler zu berichtigen ist, statt die Wahl zu wiederholen. Ist eine Wahl nur teilweise für ungültig erklärt worden und eine Wahlwiederholung insoweit unumgänglich, so darf diese nur dort stattfinden, wo sich der Wahlfehler ausgewirkt hat, also in dem betroffenen Stimmbezirk, Wahlkreis oder Land.

Grundsätzlich ist das Erfordernis des Bestandsschutzes einer gewählten Volksvertretung (vgl. BVerfGE 89, 243 <253>), das seine rechtliche Grundlage im Demokratiegebot findet, mit den Auswirkungen des festgestellten Wahlfehlers abzuwägen. Wahlbeeinflussungen einfacher Art und ohne jedes Gewicht führen nicht zur Ungültigkeit einer Wahl. Der Eingriff in die Zusammensetzung einer gewählten Volksvertretung durch eine wahlprüfungsrechtliche Entscheidung muss vor dem Interesse an der Erhaltung der gewählten Volksvertretung gerechtfertigt werden. Je tiefer und weiter die Wirkungen eines solchen Eingriffs reichen, desto schwerer muss der Wahlfehler wiegen, auf den dieser Eingriff gestützt wird (vgl.BVerfGE 103, 111 <135> ). Die Ungültigerklärung einer gesamten Wahl setzt einen erheblichen Wahlfehler von solchem Gewicht voraus, dass ein Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung unerträglich erschiene (BVerfGE 103, 111 <134>)."

(WEL)


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