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Wenn das Kind nicht in die Kita will …

  • 5 Minuten Lesezeit
Sandra Voigt anwalt.de-Redaktion

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Die traditionelle Rollenverteilung spielt heutzutage bei vielen Paaren keine Rolle mehr. Stattdessen gehen Mann und Frau gleichermaßen einer beruflichen Tätigkeit nach. Das ändert sich grundsätzlich erst nach der Geburt eines Kindes. Oftmals bleiben die Mütter bzw. Väter für etwa ein bis zwei Jahre zu Hause, bevor sie aus der Elternzeit zurück an ihren Arbeitsplatz kehren. Das Kind wird dann halb- oder ganztags in eine Kindertagesstätte (Kita) gebracht. Manchen Kindern fällt die Eingewöhnung sehr leicht – anderen sehr schwer. Zeigen sie sogar starke Abwehrreaktionen, stellt sich die Frage, ob die Eltern den Betreuungsvertrag mit der Einrichtung fristlos kündigen dürfen. Aktuell musste sich auch der Bundesgerichtshof (BGH) mit diesem Problem auseinandersetzen.

Kind wehrt sich gegen Kita-Besuch

Die Eltern eines einjährigen Jungen schlossen mit einer Kindertagesstätte einen Betreuungsvertrag. Der enthielt unter anderem eine Klausel, wonach Eingewöhnungsschwierigkeiten des Kindes die Eltern nicht zur fristlosen Kündigung des Vertrags berechtigten. Vielmehr sollte eine Kündigung nur mit einer dreimonatigen Frist zum 31.01. bzw. 31.07. eines Jahres möglich sein. Dagegen sollte die Kita das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund fristlos beenden dürfen, etwa wenn eine Integration des Kindes in die Gruppe nicht erreicht werden kann.

Bereits die ersten Kita-Besuche ab dem 08.09.2014 erwiesen sich jedoch als schwierig: Die Mutter konnte ihren kleinen Sohn nicht lange alleine im Gruppenraum lassen, weil er ansonsten weinte. Die Situation verschlechterte sich in der vierten Woche weiter, als der Kleine sich bereits auf dem Parkplatz weigerte, die Kita zu betreten, dabei schrie, weinte und um sich trat. Dieses Verhalten änderte sich auch in der fünften Woche, also Anfang Oktober, nicht: Der Junge blieb nur für kurze Zeit in der Gruppe und wirkte danach sogar teilnahmslos.

Daraufhin kündigten die Eltern den Betreuungsvertrag Mitte Oktober zum Ende des Monats – schließlich sei eine Eingewöhnung ihres Sohnes in die Kindergruppe gescheitert. Weil sie ab November keine Rechnung mehr bezahlten, zog der Betreiber der Kita vor Gericht. Die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil kein wichtiger Grund – schon gar keine Eingewöhnungsschwierigkeit – vorlag.

Fristlose Vertragskündigung war zulässig

Das Amtsgericht (AG) Bonn wies sämtliche Ansprüche des Kita-Betreibers auf Zahlung des Betreuungsentgelts zurück. Schließlich hatten die Eltern des kleinen Jungen den Vertrag wirksam mit Ablauf des Monats Oktober gekündigt.

Bei dem Betreuungsvertrag handelt es sich um einen sog. typengemischten Vertrag, der Elemente verschiedener Vertragstypen – hier miet- und dienstvertragliche – beinhaltet. Weil vorliegend die Elemente eines Dienstvertrags nach den §§ 611 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) überwogen, konnten die Eltern eine fristlose Kündigung nach § 626 I BGB aussprechen.

Unwirksame AGB-Klausel

Die war auch nicht ausgeschlossen, weil Eingewöhnungsschwierigkeiten laut Betreuungsvertrag eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigten. Die betreffende Klausel war nämlich nach § 307 II Nr. 1 BGB unwirksam. Da § 626 BGB zwingendes Recht darstellt, darf der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht einfach eingeschränkt werden – es ist also unzulässig, bestimmte Situationen pauschal als wichtigen Grund auszuschließen. Die Einschränkung durch den Kita-Betreiber, wonach Eingewöhnungsschwierigkeiten nicht zur fristlosen Kündigung berechtigen, war daher nicht erlaubt.

Anderenfalls wären die Eltern der kleinen Kita-Besucher gegenüber dem Betreiber der Einrichtung benachteiligt, vgl. § 307 I 1 BGB: Der Kita-Betreiber dürfte wegen gescheiterter Integration eines Kindes den Betreuungsvertrag fristlos kündigen, die Eltern dagegen nicht. Sie dürften vielmehr nur an zwei Terminen im Jahr und unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist das Vertragsverhältnis beenden.

Kindeswohl ist maßgeblich

Für die Eltern wäre dieses Vorgehen aber fatal. Sie könnten nicht fristlos kündigen, obwohl sie genau wissen, dass ihr Kind in der Kita unglücklich ist. Ihnen blieben bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nur die Möglichkeiten, ihren Sprössling nicht mehr in die Kita zu schicken und dennoch die Rechnung zu bezahlen oder aber weiterhin die Betreuungsleistung in Anspruch zu nehmen. Letzteres könnte aber dem Kindeswohl widersprechen, wenn das Kind trotz starker Abwehrreaktionen und damit gegen seinen Willen gezwungen wird, in die Kita zu gehen – und ist Eltern somit unzumutbar. Ihnen muss vielmehr die Möglichkeit verbleiben, bei gescheiterter Integration ihres Kindes den Betreuungsvertrag fristlos zu kündigen.

Allerdings müssen sie nachweisen, dass eine Eingewöhnung tatsächlich nicht möglich war. Diesen Beweis konnten die Eltern des einjährigen Buben vorliegend erbringen: So war es ihnen nicht möglich, den Kleinen länger als zwei Stunden ohne Bezugsperson im Gruppenraum zu lassen – anderenfalls weinte er. Auch konnte er keine Beziehung zu den Mitarbeitern aufbauen. Letzten Endes weigerte er sich sogar mit Händen und Füßen, das Kita-Gebäude zu betreten. Müsste der Junge dennoch die Kita besuchen, könnte sich dies negativ auf seine Psyche und damit auf das Kindeswohl auswirken.

Dagegen konnte der Kita-Betreiber nicht erläutern, welche Maßnahmen er zum Zwecke der Eingewöhnung des Jungen überhaupt ergriffen hat. Es wäre daher unbillig, wenn er weiterhin ein Entgelt verlangen könnte, obwohl die Eltern ihren Sohn nicht mehr in die Kita bringen und daher die zu bezahlende Leistung gar nicht mehr in Anspruch nehmen. Zwar konnte das Gericht verstehen, dass der Kita-Betreiber eine gewisse Planungssicherheit braucht – daneben werden in einer Kita aber regelmäßig sehr kleine Kinder betreut, die noch stark an ihren Bezugspersonen hängen. Dass eine Integration einiger Kleinkinder auch scheitern kann, hätte dem Kita-Betreiber nach Ansicht des Gerichts deshalb eigentlich klar sein müssen.

(AG Bonn, Urteil v. 28.07.2015, Az.: 114 C 151/15)

BGH: Viele unwirksame Klauseln im Betreuungsvertrag

Ein weiterer Fall, in dem ein Kind den Besuch der Kita verweigerte, schaffte es nun bis vor den BGH. Der verhandelte heute unter anderem darüber, ob Eltern ein sofortiges Kündigungsrecht zusteht, wenn ihr Kind nicht in die Kita will. Das lehnte der BGH zumindest bei der relativ kurzen Kündigungsfrist von zwei Monaten ab.

Dagegen hielten die Richter die Klausel, wonach Eltern regelmäßig eine Kaution in Form eines „Darlehens“ leisten mussten, für unwirksam. Gleiches galt für die Regelung, die den Abzug ersparter Aufwendungen des Krippenbetreibers verbot. Schicken Eltern ihren Nachwuchs nämlich nicht in die Kita, fallen z. B. auch keine Kosten für die Verpflegung des Kindes an. Diese ersparten Beträge stehen den Eltern zu – nicht dem Kitabetreiber. Eltern dürfen sie deshalb von der nächsten Rechnung abziehen. Anderes gilt allerdings, wenn die Parteien feste Pauschalbeträge vereinbart haben, die unter anderem auch Kosten für Verpflegung umfassen.

Unwirksam war letztendlich auch die Klausel, wonach dem Krippenbetreiber Schadenersatz zusteht, wenn die Eltern ihr Kind nicht regelmäßig in die Kita bringen und der Kitabetreiber damit eventuell Förderungsmittel zurückzahlen muss. Alles andere würde nämlich erheblich in das Pflege- und Erziehungsrecht der Eltern nach Art. 6 II 1 Grundgesetz (GG) eingreifen. Schließlich haben allein die Eltern das Recht, darüber zu entscheiden, ob sie ihr Kind in die Krippe bringen oder nicht.

(BGH, Urteil v. 18.02.2016, Az.: III ZR 126/15)

(VOI)

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