Zum Risiko der Scheinselbstständigkeit bei Werkverträgen in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht
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In den letzten Wochen gerieten Beschäftigungsverhältnisse auf der Grundlage von Werkverträgen verstärkt in die öffentliche Diskussion. In der Berichterstattung standen Fragen des Arbeitsrechts im Vordergrund. Dabei wird übersehen, dass die Problematik auch Auswirkungen auf die Sozialversicherung haben kann.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete am 17.11.2013 über das Ergebnis einer Studie der IG-Metall, wonach in der deutschen Automobilbranche Leih- und Zeitarbeit eine bedeutende Rolle spielen. Dort stünden 763.000 Stammbeschäftigten mittlerweile 100.000 Leiharbeitskräfte und 250.000 Werkvertrags-Beschäftigte gegenüber.
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/koalitionsverhandlungen-autobauer-kritisieren-schwarz-rote-wirtschaftsplaene-12668178.html
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschied in einem Urteil vom 1.8.2013 (2 Sa 6/13) gegen die Firma Daimler, dass zwei IT-Experten, die seit Jahren auf der Grundlage von Werkverträgen als Subunternehmer eines für Daimler tätigen IT-Dienstleisters tätig waren, tatsächlich Arbeitnehmer der Daimler AG seien. Bei einer wertenden Gesamtbetrachtung sei von einem Scheinwerkvertrag/-dienstvertrag auszugehen. Es habe sich um gewerbsmäßige nicht genehmigte Arbeitnehmerüberlassung gehandelt. Der erste Leitsatz lautet: Für die rechtliche Abgrenzung des Werk- oder Dienstvertrags zur Arbeitnehmerüberlassung ist allein die tatsächliche Durchführung des Vertrages maßgebend. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Die Revision wurde zugelassen.
Das vollständige Urteil ist auf der Website der Justiz Baden-Württemberg veröffentlicht: http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Datum=2013&nr=17150&Blank=1
Über den arbeitsrechtlichen Aspekt besteht grundsätzlich die Gefahr, dass die Versicherungsträger im Rahmen von Betriebsprüfungen solche Vertragsmodelle als sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigungen werten. Dementsprechend können von den Auftraggebern Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert werden.
Die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit erfolgt im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich einzelfallbezogen. Eine gesetzliche Regelung, die alle Einzelfälle rechtssicher abdeckt, gibt es nicht. Eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist nach der gesetzlichen Regelung des § 7 SGB IV die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Das Bundessozialgericht hat ergänzend für alle Zweige der gesetzlichen Sozialversicherung eine Formel entwickelt, nach der sich alle Sozialgerichte einheitlich richten. Eine Beschäftigung setzt demnach voraus „dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte und eigener Betriebsmittel, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen freigestellte Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben letztere den Ausschlag."
Die Beurteilung erfolgt durch eine Gesamtwürdigung des Einzelfalles anhand von Merkmalen und Kriterien, die von den Sozialgerichten in langjähriger Rechtsprechung entwickelt wurden.
Das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt und sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt, bildet den Ausgangspunkt der Prüfung. Steht die tatsächliche Beziehung zu den ursprünglich getroffenen Vereinbarungen in Widerspruch und ergeben sich daraus Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung, gehen die tatsächlichen Verhältnisse vor. D.h., die tatsächlichen Verhältnisse geben den Ausschlag, wenn sie von den Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung danach so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist. Auf Details der vertraglichen Vereinbarungen, z.B. Fehlen eines vertraglichen Urlaubsanspruchs oder eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung kommt es nicht entscheidend an. Maßgebend ist vielmehr das Gesamtbild der Arbeitsleistung nach den tatsächlichen Verhältnissen. Regelmäßig sind die tatsächlichen Verhältnisse entscheidend, wenn sie von den vertraglichen Vereinbarungen abweichen, letztere müssen jedoch dann beachtet werden, wenn die tatsächlichen Verhältnisse weder in die eine noch in die andere Richtung deuten (z.B. BSG, U.v. 22. Juni 2005 - B 12 KR 28/03 R).
Wirksamen Schutz vor Beitragsnachforderungen bietet nur eine Statusklärung bei den zuständigen Versicherungsträgern vor Aufnahme der Tätigkeit.
Anderenfalls besteht die Gefahr, dass im Rahmen einer Betriebsprüfung der Rentenversicherungsträger oder sogar im Rahmen von Strafermittlungen der Zollbehörden die Werkverträge einer genauen Prüfung unterzogen und als verdeckte Beschäftigungsverhältnisse gewertet werden.
Dieser Beitrag dient zur allgemeinen Information und entspricht dem Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Eine individuelle Beratung wird dadurch nicht ersetzt. Jeder einzelne Fall erfordert fachbezogenen Rat unter Berücksichtigung seiner konkreten Umstände. Ohne detaillierte Beratung kann keine Haftung für die Richtigkeit übernommen werden. Vervielfältigung und Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung des Verfassers.
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