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Basar im Strafprozess? Der „Deal“ und die neue Kronzeugenregelung werden Gesetz

  • 7 Minuten Lesezeit
Monique Michel anwalt.de-Redaktion

Schon seit einigen Jahren hat sich weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit der sog. „Deal“ im deutschen Strafprozess eingeschlichen. Bei einem strafrechtlichen Deal verständigen sich die Prozessbeteiligten über den Ausgang des Strafverfahrens – in der Regel wird dem Angeklagten eine mildere Strafe zugesichert, wenn er im Gegenzug ein Geständnis ablegt. Ein solches „Aushandeln“ des Prozessergebnisses war bislang nicht gesetzlich geregelt. Weil ein Strafrechts-Deal auch an die Grenzen der strafrechtlichen Grundsätze stößt, war lange unklar, ob er überhaupt zulässig ist. Mit der aktuell verabschiedeten Reform legt der Gesetzgeber nun die gesetzliche Grundlage für den Deal im Strafprozess und lässt zugleich die sog. Kronzeugenregelung wieder aufleben.

[image] Überblick über den Ablauf eines Strafverfahrens

Der Verurteilung oder dem Freispruch eines Angeklagten geht ein klar strukturiertes Strafverfahren voraus, das sich in verschiedene Abschnitte gliedert. Ausgangspunkt ist das Ermittlungsverfahren, das eingeleitet wird, wenn Staatsanwaltschaft oder Polizei z.B. durch Strafanzeige oder Strafantrag von einer möglichen Straftat erfahren. Die Staatsanwaltschaft entscheidet schließlich, ob sie Anklage zu Gericht erhebt und damit das Eröffnungsverfahren beginnt oder das Verfahren einstellt. Im Eröffnungsverfahren kann das zuständige Strafgericht anordnen, dass weitere Beweise erhoben werden. Hält das Gericht den Angeschuldigten für hinreichend verdächtig, so eröffnet es das sog. Hauptverfahren. Anderenfalls lehnt es die Eröffnung durch Beschluss ab.

Das Hauptverfahren ist das Herzstück des Strafprozesses, an dessen Ende das Gericht entscheidet, ob und für welche Straftaten der Angeklagte verurteilt wird und welche Strafe angemessen ist. Wenn weder Staatsanwaltschaft noch der Verurteilte Rechtsmittel einlegen, schließt sich zuletzt die Strafvollstreckung an, die den gesamten Strafprozess beendet.

Am Strafprozess beteiligt sind die Staatsanwaltschaft (unterstützt durch die Polizei als Ermittlungsbehörde), der Angeklagte, seine Verteidigung und die Richter. Zusätzlich können auch Opfer der Straftat als sog. Nebenkläger am Prozess teilnehmen. Nicht beteiligt im engeren Sinn, aber unerlässlich in den meisten Verfahren, sind Zeugen und Sachverständige.

Strafzumessung: Welche Strafe erhält der Angeklagte?

Zwei Kernfragen muss das Strafgericht beantworten. Erstens: Hat sich der Angeklagte strafbar gemacht? Zweitens: Wie ist er wegen seiner Tat zu bestrafen? Bei der ersten Frage hat das Gericht keinen Spielraum, es kann nur entscheiden, ob der Täter sich strafbar gemacht hat oder nicht. Bei der zweiten Frage, der Strafzumessung, räumen ihm die Strafvorschriften viel Spielraum ein, um die Strafe individuell auf den Angeklagten anzupassen.

Berücksichtigt werden bei der Strafe das individuelle Maß der Pflichtwidrigkeit und das Maß der Schuld, die Motive des Täters, die Art und Begehungsweise, das Vorleben des Täters und seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Auch sein Verhalten im Anschluss an die Tat, z.B. Wiedergutmachungsversuche, können in das Strafmaß einfließen.

Probleme der Praxis: Handlungsbedarf des Gesetzgebers

In der Praxis stellen sich jedoch häufig die wesentlichen Probleme schon bei der Ermittlung des Sachverhaltes. Oftmals liegen nicht ausreichend Beweise für die angeklagte Tat vor oder sie können nur mit hohem Aufwand erhoben werden.

Hier hat sich in der Praxis der Strafgerichte der sog. Deal etabliert. Wenn der Angeklagte sich zu einem Geständnis bereit erklärt, wird ihm im Gegenzug durch Staatsanwaltschaft und Gericht ein (meist niedrigerer) Strafrahmen zugesichert.

Ohne gesetzliche Grundlage war die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens jedoch sehr fragwürdig. Erst der Große Strafsenat des BGH hat in einer Grundsatzentscheidung von 2005 Absprachen im Strafprozess für grundsätzlich zulässig erklärt (BGH, Beschluss vom 03.03.2005, Az.: GSSt 1/04). Argument: Absprachen im Strafprozess seien unerlässlich, um angesichts der hohen Justizbelastung Verfahren ökonomisch zu beenden, und dienten häufig auch dem Zeugen- und Opferschutz, wenn durch die Absprache deren Vernehmung überflüssig wird.

Wegen der vielfach aber offenen Fragen, hat er zugleich an den Gesetzgeber appelliert, Absprachen im Strafprozess gesetzlich zu regeln. Erst jetzt und nach langen Diskussionen ist der Gesetzgeber diesem Aufruf nachgekommen und hat sich dabei an den Vorschlägen des BGH orientiert.

Deal“ im Strafverfahren: § 257c StPO

Neu eingeführt werden § 257b und § 257c StPO (Strafprozessordnung). § 257b StPO erlaubt dem Gericht ausdrücklich, mit den weiteren Prozessbeteiligten den Stand des Verfahrens zu erörtern, wenn dies den weiteren Prozessverlauf fördern könnte. Der nachfolgende § 257c StPO ermöglicht es dem Gericht, sich darüber hinaus mit den Verfahrensbeteiligten „über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens zu verständigen.“ Der Deal im Strafprozess ist jedoch nicht völlig frei, sondern nur eingeschränkt möglich:

  • Die Absprache darf sich nur auf die Rechtsfolgen beziehen, d.h. auf das Strafmaß, nicht jedoch auf die Strafbarkeit selbst. Ob jemand strafbar ist und aufgrund welcher Vorschrift ist nicht verhandelbar. Auch die Maßregeln der Besserung und Sicherung (z.B. Unterbringung in einer Psychiatrie) sind vom Deal ausgeschlossen.

  • Das Gericht muss bei einem Geständnis auch tatsächlich von dessen Richtigkeit überzeugt sein. Ein Angeklagter soll nicht durch ein „falsches“ Geständnis sich oder andere einem gerechten Urteil entziehen können.

  • In einem Deal kann auch vereinbart werden, dass weitere Beweisanträge oder Beweiserhebungen unterbleiben, der Angeklagte Wiedergutmachung verspricht oder ob das Verfahren teilweise eingestellt wird.

  • Dem Deal müssen Staatsanwaltschaft, Gericht und die Verteidigung zustimmen. Nebenkläger werden nicht beteiligt, weil sie grundsätzlich keinen Einfluss auf das Strafmaß haben und auch kein Rechtsmittel einlegen können, wenn sie nur mit der Höhe der Strafe unzufrieden sind.

  • Damit der Deal transparent für die Öffentlichkeit ist, kann er nur in der öffentlichen Hauptverhandlung geschlossen werden. Die Verhandlungen dazu dürfen jedoch auch außerhalb stattfinden. Der Richter muss in der Hauptverhandlung jedoch über die Verhandlungen berichten, damit sie ebenfalls protokolliert werden und der Deal im Rahmen einer Revision überprüft werden kann.

Die Verständigung kommt zu Stande, indem das Gericht einen konkreten Vorschlag für die Absprache macht, dabei eine Ober- und Untergrenze der Strafe angibt und der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft diesem Vorschlag zustimmen. Die Initiative zu einer Absprache darf aber auch von den anderen Prozessbeteiligten ausgehen.

Die neue Kronzeugenregelung

Mit der Erweiterung der Kronzeugenregelung hat der Gesetzgeber zugleich eine dem Deal sehr ähnliche Regelung verstärkt. Die Kronzeugenregelung trat erstmals 1989 in Kraft, um gezielter gegen organisierte Kriminalität vorgehen zu können.

Ein Kronzeuge tritt im Strafprozess als Zeuge der Anklage, d.h. der Staatsanwaltschaft auf. Er kann Mittäter der angeklagten Taten sein oder ist selbst wegen anderer ähnlicher Taten inhaftiert oder angeklagt. Im Gegenzug zu seiner Aussage als Kronzeuge sichert die Staatsanwaltschaft ihm für seine Strafbeteiligung oder andere Straftaten Strafmilderung bis hin zur Straffreiheit zu.

Nachdem die Kronzeugenregelung grundsätzlich 1999 ausgelaufen war, kam sie nach dem 11. September 2001 wieder ins Gespräch und wird jetzt insbesondere durch die neue Strafzumessungsregel § 46b StGB wieder ausgeweitet. Bislang war die Kronzeugenregelung nur auf bestimmte Delikte beschränkt, z.B. Geldwäsche § 261 StGB (Strafgesetzbuch), Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung §§ 129, 129a StGB oder Drogendelikte (Betäubungsmittelstrafrecht).

Künftig ist die Kronzeugenregelung unter folgenden Voraussetzungen möglich:

  • Der Kronzeuge ist Täter eine mittelschweren oder schweren Tat und trägt durch seine Zeugenaussage wesentlich zur Aufklärung oder Verhinderung einer ebenfalls schweren Straftat i.S.d. § 100a Abs. 2 StPO (Mord, Totschlag, Hochverrat, Raub, Erpressung u.a.) bei.

  • Eine Strafmilderung für den Kronzeugen ist nur möglich, wenn er sein Wissen noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn selbst (d.h. vor Anklageerhebung, s. oben) preisgibt.

  • Ist die Tat des Kronzeugen mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht, so darf das Gericht bei seiner Verurteilung die Strafe höchstens auf 10 Jahre reduzieren.

  • Das Gericht darf nicht automatisch die Strafe für eine Kronzeugenaussage mildern, sondern muss genau zwischen dem Nutzen der Aussage, der Schwere der aufgeklärten oder verhinderten Tat und der Schuld des Kronzeugen bei den eigenen Taten abwägen. Es kann auch ganz auf die Strafmilderung verzichten.

Die bisherigen „kleinen“ Kronzeugenregelungen in einzelnen Straftaten werden mit Einführung der allgemeinen Kronzeugenregelung angepasst bzw. aufgehoben. Vorteil der neuen großen Kronzeugenregelung ist, dass der Katalog der Straftaten, für die sie gilt, erweitert ist und das Delikt des Kronzeugen nicht der gleichen Deliktsgruppe des bereits angeklagten Täters entsprechen muss.

Kritik an der Reform

An beiden Neuerungen im Strafprozess ist bereits im Vorfeld und auch nach Gesetzesbeschluss viel Kritik geübt worden, u.a. auch aus den Reihen der Rechtsanwälte, der Richterschaft und der Wissenschaft. So wird z.T. befürchtet, dass Angeklagte sich zum Geständnis genötigt sehen, das Gericht vielleicht seinen Aufklärungspflichten nicht mehr ausreichend nachgeht, wenn ein Geständnis vorliegt oder Angeklagte in Versuchung geraten, Dritte mit Taten zu belasten, die diese gar nicht begangen haben.

Ob und inwieweit sich die neuen Regeln in der Praxis bewähren oder ob die Kritiker Recht behalten, wird erst die Zeit zeigen.

(MIC)

Foto(s): ©iStockphoto.com

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