Arbeitsrecht und Erkrankung - Lohnzahlung und Arbeitsunfähigkeit - Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

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Lohnzahlung – Annahmeverzug – Schadenersatz – „leidensgerechter“ Arbeitsplatz, LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. November 2015 – 9 Sa 1297/15

Kompliziert ausgedrückt: Kann ein Arbeitnehmer aufgrund seines Gesundheitszustands die bisher getätigte, vertraglich vereinbarte Arbeit nicht mehr ausüben und bietet daraufhin dem Arbeitgeber die Ausübung einer „leidensgerechten“ Tätigkeit an, setzt dies den Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, weil dieses Angebot nicht die zu bewirkende Arbeitsleistung betrifft, § 294 BGB

Was muss also der Arbeitnehmer tun, der auf sich eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit zukommen sieht?

So wies das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 13. November 2015 (9 Sa 1297/15) die Berufung einer Arbeitnehmerin zurück, die gegen ihren Arbeitgeber – das Land Berlin – auf Zahlung ihres Arbeitsentgelts und weitergehend auf Ausstellung der entsprechenden Abrechnungen klagte. Die seit 1999 beim beklagten Land Berlin zu einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von 2433,25 Euro als Schulhausmeisterin in Vollzeit beschäftigte 64-jährige Klägerin war seit Dezember 2012 arbeitsunfähig erkrankt. Das im März 2013 seitens des beklagten Landes angebotene betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) i.S.d. § 84 Abs. 2 SGB IX lehnte die Arbeitnehmerin ab. Nachdem festgestellt wurde, dass die Arbeitnehmerin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sei, die Tätigkeit als Schulhausmeisterin auszuführen, bot sie ihre Arbeitskraft für eine „leidensgerechte“ Beschäftigung unter Berücksichtigung der sich aus dem ärztlichen Entlassungsbericht ergebenden Einschränkungen an. 

Untersuchung durch den Vertrauensarzt

Die in der Folgezeit durchgeführten vertrauensärztlichen Untersuchungen ergaben, dass für die arbeitsvertraglich obliegenden Aufgaben dauernde Arbeitsunfähigkeit vorlag und die Arbeitnehmerin als Schulhausmeisterin vielmehr nur noch unter drei Stunden täglich belastbar war. 

Eine Beschäftigung war nur noch drei Stunden täglich möglich. Die Lohnzahlungsklage folgte

Die Arbeitnehmerin machte schließlich klageweise Ansprüche gegen ihren Arbeitgeber geltend und verlangte die Zahlung von Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 15.816,00 Euro für den Zeitraum von Mitte Juli 2014 bis Ende Dezember 2014 sowie ihr unter Berücksichtigung dieses Zahlungsantrages Lohnabrechnungen für die Monate Juli 2014 bis Dezember 2014 zu erteilen.

Die Arbeitnehmerin wollte es dabei jedoch nicht bewenden lassen und verfolgt mit der Berufung gegen das klageabweisende Urteil der ersten Instanz ihre Ansprüche weiter.

Allerdings sah auch das LArbG Berlin-Brandenburg die Klage als unbegründet an und wies die Berufung zurück. Einerseits fehle für die verlangte Zahlung an sich eine Anspruchsgrundlage, da ihre Ansprüche in der Höhe, in der die Arbeitnehmerin in dem streitgegenständlichen Zeitraum Arbeitslosengeld bezogen habe, gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf den Leistungsträger übergegangen seien. Andererseits bestehe – auch soweit kein Anspruchsübergang vorliege – kein Anspruch auf Zahlung von Arbeitsvergütung gemäß §§ 615 S. 1, 611 Abs. 1 BGB, da sich das beklagte Land während des streitigen Klagezeitraums nicht im Annahmeverzug befand. Dabei führte das LArbG aus, dass die Arbeitnehmerin die ihr bisher zugewiesene Tätigkeit als Schulhausmeisterin nicht angeboten habe und auch das Angebot einer „leidensgerechten“ Arbeit das beklagte Land nicht in Annahmeverzug setze, weil es nicht die zu bewirkende Arbeitsleistung betraf, § 294 BGB. Im Übrigen stellt die Angabe einer Leistungsfähigkeit von „unter drei Stunden täglich“ kein hinreichend bestimmtes Angebot der Arbeitskraft dar, weil keine Stundenanzahl angegeben wurde.

Auch einen Schadensersatzanspruch sah das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg nicht

Es liege darüber hinaus auch kein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB vor. Auch wenn das gesetzlich vorgesehene BEM nicht durchgeführt wurde, ist dem Arbeitgeber diesbezüglich keine Pflichtverletzung vorzuwerfen. Die Durchführung eines BEM setze zwingend das Einverständnis der Betroffenen voraus. Indem die Arbeitnehmerin das Angebot eines BEM abgelehnt habe, wäre der Arbeitgeber erst wieder zum Angebot eines BEM verpflichtet, wenn die Betroffene erklärt, dass sie nunmehr mit der Durchführung eines solchen einverstanden sei. So eine Erklärung wurde allerdings weder ausdrücklich noch konkludent abgegeben.

Mitwirkung am betrieblichen Eingliederungsmanagement

Dem Arbeitgeber kann ebenfalls nicht vorgeworfen werden, er habe der Arbeitnehmerin pflichtwidrig keinen leidensgerechten Arbeitsplatz zugewiesen. Dazu führt das LArbG aus: „Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Neubestimmung der Tätigkeit des Arbeitnehmers setzt voraus, dass der Arbeitnehmer die Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz verlangt und dem Arbeitgeber mitgeteilt hat, wie er sich seine weitere, die aufgetretenen Leistungshindernisse ausräumende Beschäftigung vorstellt. Eine solche Erklärung hat die Arbeitnehmerin nicht abgegeben. Die bloße Geltendmachung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes reiche hierfür nicht aus. Dabei hätte die Arbeitnehmerin zumindest mitteilen müssen, welche möglichen Tätigkeiten in Betracht kommen.

Indem die Arbeitnehmerin den Antrag auf Erteilung der Abrechnungen mit der Angabe der jeweiligen Höhe des Abrechnungsbetrages im entsprechenden Monat konkretisiert hat, war dieser im Gegensatz zum Antrag in der ersten Instanz zwar hinreichend bestimmt und damit zulässig.

Mangels Zahlungsanspruch besteht aber auch kein Anspruch auf Erteilung von Abrechnungen.

Fazit: Zahlungsansprüche eines Arbeitnehmers bedürfen stets der genauen Prüfung. Der einzelne Arbeitnehmer muss genau wissen wie er sich im Falle einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit gegenüber seinem Arbeitgeber zu verhalten hat. Eine genaue und zielgerichtete Reaktion des Arbeitnehmers sollte immer erfolgen.

Rechtsanwalt Stephan Kersten

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwälte Lindemann Bruss & Kollegen Berlin 


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